Alle, die Guten wie die Bösen, wurden in das wüste Treiben hinein- gerissen; denn von den Regensburger Verhandlungen stand doch nichts zu erwarten, und wer hier in Paris nicht mit dreisten Händen zugriff, ward von den Nachdrängenden unerbittlich unter die Füße getreten. Selbst der Wackerste der deutschen Kleinfürsten, der alte Karl Friedrich von Baden, mußte seine feilschenden Unterhändler gewähren lassen. Mitten im Ge- tümmel der bittenden und bietenden Kleinen stand mit selbstgewisser Gönner- miene der vielumworbene preußische Gesandte Lucchesini; der pfiffige Luc- chese traute sichs zu den Meister aller Listen selber zu überlisten und bemerkte nicht, wie schwer Preußen sein eigenes Ansehen schädigte durch die Begünstigung eines unsauberen Schachers, der an den Reichstag von Grodno, an die schmachvolle Selbstvernichtung des polnischen Adels er- innerte. Dieser Wettkampf der dynastischen Habgier vernichtete was im Reiche noch übrig war von Treu und Glauben, von Pflicht und Ehre. Bonaparte frohlockte: kein sittliches Band hielt den alten deutschen Staat mehr zusammen. Jeder Hof forderte ungescheut was ihm bequem und gelegen schien; die Entschädigung für wirklich erlittene Verluste diente kaum noch als Vorwand. Bald ergab sich, daß die rechtsrheinischen geistlichen Gebiete zur Befriedigung aller dieser begehrlichen Wünsche nicht aus- reichten, und man ward einig, auch den Reichsstädten den Garaus zu machen, da ja die Reichsstädte des linken Ufers ebenfalls ohne Ent- schädigung vernichtet waren. Endlich wurde die große Länder-Versteigerung geschlossen; der Zuschlag erfolgte theils an die Meistbietenden, theils an die Günstlinge Preußens und Rußlands, vornehmlich aber an jene Höfe, welche sich Bonaparte zu Stützen seiner deutschen Politik auserlesen hatte. Unumwunden schrieb er nach vollzogenem Geschäfte dem mit dem Czaren nahe verwandten Markgrafen Karl Friedrich: das badische Haus habe nun- mehr den Rang erlangt, "welchen seine vornehme Verwandtschaft und das wahre Interesse Frankreichs erheischen".
Nachdem in Paris das Wesentliche geordnet war, schritten Frankreich und Rußland in Regensburg als Vermittler ein; Bonaparte ließ dem Czaren eine scheinbare Mitwirkung um dessen Eifersucht zu beschwichtigen und einen Wunsch Preußens zu erfüllen. Die Mediatoren erklärten mit gutem Grunde, die Eifersucht und der Gegensatz der Interessen am Reichs- tage mache ihre Vermittlung nothwendig; sie legten ihren Entschädigungs- plan vor und schlossen herrisch: es sei ihr Wille, daß nichts daran ge- ändert werde. Der Kaiser widerstrebte noch immer und gab erst nach, als Preußen und Baiern mit Frankreich ein förmliches Bündniß schlossen und eine drohende Note aus Petersburg eintraf; dann aber trug der uneigennützige Beschützer der geistlichen Staaten kein Bedenken, seine Erb- lande durch die Bisthümer Trient und Brixen abzurunden. In der Reichsdeputation währte der landesübliche Hader noch eine Weile fort. Die russischen Staatsmänner klagten voll Ekels, wie langweilig und ermüdend
Der Länderhandel in Paris.
Alle, die Guten wie die Böſen, wurden in das wüſte Treiben hinein- geriſſen; denn von den Regensburger Verhandlungen ſtand doch nichts zu erwarten, und wer hier in Paris nicht mit dreiſten Händen zugriff, ward von den Nachdrängenden unerbittlich unter die Füße getreten. Selbſt der Wackerſte der deutſchen Kleinfürſten, der alte Karl Friedrich von Baden, mußte ſeine feilſchenden Unterhändler gewähren laſſen. Mitten im Ge- tümmel der bittenden und bietenden Kleinen ſtand mit ſelbſtgewiſſer Gönner- miene der vielumworbene preußiſche Geſandte Luccheſini; der pfiffige Luc- cheſe traute ſichs zu den Meiſter aller Liſten ſelber zu überliſten und bemerkte nicht, wie ſchwer Preußen ſein eigenes Anſehen ſchädigte durch die Begünſtigung eines unſauberen Schachers, der an den Reichstag von Grodno, an die ſchmachvolle Selbſtvernichtung des polniſchen Adels er- innerte. Dieſer Wettkampf der dynaſtiſchen Habgier vernichtete was im Reiche noch übrig war von Treu und Glauben, von Pflicht und Ehre. Bonaparte frohlockte: kein ſittliches Band hielt den alten deutſchen Staat mehr zuſammen. Jeder Hof forderte ungeſcheut was ihm bequem und gelegen ſchien; die Entſchädigung für wirklich erlittene Verluſte diente kaum noch als Vorwand. Bald ergab ſich, daß die rechtsrheiniſchen geiſtlichen Gebiete zur Befriedigung aller dieſer begehrlichen Wünſche nicht aus- reichten, und man ward einig, auch den Reichsſtädten den Garaus zu machen, da ja die Reichsſtädte des linken Ufers ebenfalls ohne Ent- ſchädigung vernichtet waren. Endlich wurde die große Länder-Verſteigerung geſchloſſen; der Zuſchlag erfolgte theils an die Meiſtbietenden, theils an die Günſtlinge Preußens und Rußlands, vornehmlich aber an jene Höfe, welche ſich Bonaparte zu Stützen ſeiner deutſchen Politik auserleſen hatte. Unumwunden ſchrieb er nach vollzogenem Geſchäfte dem mit dem Czaren nahe verwandten Markgrafen Karl Friedrich: das badiſche Haus habe nun- mehr den Rang erlangt, „welchen ſeine vornehme Verwandtſchaft und das wahre Intereſſe Frankreichs erheiſchen“.
Nachdem in Paris das Weſentliche geordnet war, ſchritten Frankreich und Rußland in Regensburg als Vermittler ein; Bonaparte ließ dem Czaren eine ſcheinbare Mitwirkung um deſſen Eiferſucht zu beſchwichtigen und einen Wunſch Preußens zu erfüllen. Die Mediatoren erklärten mit gutem Grunde, die Eiferſucht und der Gegenſatz der Intereſſen am Reichs- tage mache ihre Vermittlung nothwendig; ſie legten ihren Entſchädigungs- plan vor und ſchloſſen herriſch: es ſei ihr Wille, daß nichts daran ge- ändert werde. Der Kaiſer widerſtrebte noch immer und gab erſt nach, als Preußen und Baiern mit Frankreich ein förmliches Bündniß ſchloſſen und eine drohende Note aus Petersburg eintraf; dann aber trug der uneigennützige Beſchützer der geiſtlichen Staaten kein Bedenken, ſeine Erb- lande durch die Bisthümer Trient und Brixen abzurunden. In der Reichsdeputation währte der landesübliche Hader noch eine Weile fort. Die ruſſiſchen Staatsmänner klagten voll Ekels, wie langweilig und ermüdend
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[185/0201]
Der Länderhandel in Paris.
Alle, die Guten wie die Böſen, wurden in das wüſte Treiben hinein-
geriſſen; denn von den Regensburger Verhandlungen ſtand doch nichts
zu erwarten, und wer hier in Paris nicht mit dreiſten Händen zugriff,
ward von den Nachdrängenden unerbittlich unter die Füße getreten. Selbſt
der Wackerſte der deutſchen Kleinfürſten, der alte Karl Friedrich von Baden,
mußte ſeine feilſchenden Unterhändler gewähren laſſen. Mitten im Ge-
tümmel der bittenden und bietenden Kleinen ſtand mit ſelbſtgewiſſer Gönner-
miene der vielumworbene preußiſche Geſandte Luccheſini; der pfiffige Luc-
cheſe traute ſichs zu den Meiſter aller Liſten ſelber zu überliſten und
bemerkte nicht, wie ſchwer Preußen ſein eigenes Anſehen ſchädigte durch
die Begünſtigung eines unſauberen Schachers, der an den Reichstag von
Grodno, an die ſchmachvolle Selbſtvernichtung des polniſchen Adels er-
innerte. Dieſer Wettkampf der dynaſtiſchen Habgier vernichtete was im
Reiche noch übrig war von Treu und Glauben, von Pflicht und Ehre.
Bonaparte frohlockte: kein ſittliches Band hielt den alten deutſchen Staat
mehr zuſammen. Jeder Hof forderte ungeſcheut was ihm bequem und
gelegen ſchien; die Entſchädigung für wirklich erlittene Verluſte diente kaum
noch als Vorwand. Bald ergab ſich, daß die rechtsrheiniſchen geiſtlichen
Gebiete zur Befriedigung aller dieſer begehrlichen Wünſche nicht aus-
reichten, und man ward einig, auch den Reichsſtädten den Garaus zu
machen, da ja die Reichsſtädte des linken Ufers ebenfalls ohne Ent-
ſchädigung vernichtet waren. Endlich wurde die große Länder-Verſteigerung
geſchloſſen; der Zuſchlag erfolgte theils an die Meiſtbietenden, theils an
die Günſtlinge Preußens und Rußlands, vornehmlich aber an jene Höfe,
welche ſich Bonaparte zu Stützen ſeiner deutſchen Politik auserleſen hatte.
Unumwunden ſchrieb er nach vollzogenem Geſchäfte dem mit dem Czaren
nahe verwandten Markgrafen Karl Friedrich: das badiſche Haus habe nun-
mehr den Rang erlangt, „welchen ſeine vornehme Verwandtſchaft und das
wahre Intereſſe Frankreichs erheiſchen“.
Nachdem in Paris das Weſentliche geordnet war, ſchritten Frankreich
und Rußland in Regensburg als Vermittler ein; Bonaparte ließ dem
Czaren eine ſcheinbare Mitwirkung um deſſen Eiferſucht zu beſchwichtigen
und einen Wunſch Preußens zu erfüllen. Die Mediatoren erklärten mit
gutem Grunde, die Eiferſucht und der Gegenſatz der Intereſſen am Reichs-
tage mache ihre Vermittlung nothwendig; ſie legten ihren Entſchädigungs-
plan vor und ſchloſſen herriſch: es ſei ihr Wille, daß nichts daran ge-
ändert werde. Der Kaiſer widerſtrebte noch immer und gab erſt nach,
als Preußen und Baiern mit Frankreich ein förmliches Bündniß ſchloſſen
und eine drohende Note aus Petersburg eintraf; dann aber trug der
uneigennützige Beſchützer der geiſtlichen Staaten kein Bedenken, ſeine Erb-
lande durch die Bisthümer Trient und Brixen abzurunden. In der
Reichsdeputation währte der landesübliche Hader noch eine Weile fort. Die
ruſſiſchen Staatsmänner klagten voll Ekels, wie langweilig und ermüdend
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/201>, abgerufen am 24.11.2024.
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