Hoffnungen. So fiel die Entscheidung über Deutschlands Zukunft un- ausbleiblich dem fremden Sieger zu, der von sich rühmte: "ich allein, ich weiß, was ich zu thun habe." Der Regensburger Reichstag war den schläfrigen Gewohnheiten seines gespenstischen Daseins auch während dieser argen Jahre so treu geblieben, daß ein warmherziger Reichspatriot mitten im Reichskriege alles Ernstes über die Frage schreiben konnte: womit die hohe Reichsversammlung sich in der nächsten Zeit beschäftigen solle? Das Reich genehmigte den Luneviller Frieden, und die geistlichen Stände fanden nicht den Muth ihrem eigenen Todesurtheile zu widersprechen. Dann verging fast das ganze Jahr 1801, bis Oesterreich und Preußen endlich die Bildung einer Reichsdeputation durchsetzten; nach abermals acht Monaten waren die Berathungen dieses Ausschusses noch nicht eröffnet. Der zer- rüttete Körper des heiligen Reichs besaß nicht mehr die Kraft, mit eigenen Händen seinen letzten Willen aufzusetzen; der Kampf Aller gegen Alle und die Verblendung des österreichischen Hofes verhinderten jeden Beschluß.
Die Hofburg wollte noch immer nicht begreifen, daß sie selber in Luneville die geistlichen Stände preisgegeben hatte; sie versuchte Alles, die unausbleiblichen Folgen des Geschehenen rückgängig zu machen, ließ sogar eben jetzt durch ihre Anhänger einen Erzherzog auf die erledigten fürst- lichen Bischofstühle von Köln und Münster erwählen. Zugleich bewahrte sie ihren alten Widerwillen gegen jede Vergrößerung Preußens: man könne leichter, hieß es in Wien, auf drei reiche türkische Provinzen ver- zichten, als Münster und Hildesheim an die protestantische Großmacht überlassen. Und währenddem wurde der bairische Nachbar beständig durch österreichische Tausch- und Vergrößerungspläne geängstigt. Dieser Kaiser, der nicht Worte genug finden konnte um seine Entrüstung über die Ver- gewaltigung der geistlichen Stände zu bekunden, stellte dem Münchener Hofe frei, sich im Südwesten die Gebiete der benachbarten Reichsstädte, Grafen und Herren anzueignen, wenn nur Oesterreich dafür das östliche Baiern erhielte; er zuerst sprach das verhängnißvolle Wort: "Vernichtung der kleinen weltlichen Stände" aus, während bisher amtlich nur von der Secularisation der geistlichen Staaten die Rede gewesen. Es war die Folge dieser zugleich starr conservativen und rücksichtslos begehrlichen Hal- tung des kaiserlichen Hofes, daß Preußen und Baiern sich genöthigt sahen, ihre eigenen Entschädigungen durch Sonderverträge mit Frankreich sicher zu stellen. Der preußisch-französische Vertrag enthielt den vielsagenden Satz, die Krone Preußen erwerbe ihre Entschädigungslande "mit der un- beschränkten Landeshoheit und Souveränität auf den nämlichen Fuß, wie Se. Maj. ihre übrigen deutschen Staaten besitzen" -- während doch das Reichsrecht eine Souveränität der Reichsstände nicht kannte. Man hielt es nicht mehr der Mühe werth, auch nur den Schein der kaiserlichen Oberhoheit zu wahren. Des Reiches ungefragt nahm Preußen sodann am 3. August 1802 die ihm von Bonaparte zugestandenen Erwerbungen in Besitz.
Oeſterreichs Widerſtand.
Hoffnungen. So fiel die Entſcheidung über Deutſchlands Zukunft un- ausbleiblich dem fremden Sieger zu, der von ſich rühmte: „ich allein, ich weiß, was ich zu thun habe.“ Der Regensburger Reichstag war den ſchläfrigen Gewohnheiten ſeines geſpenſtiſchen Daſeins auch während dieſer argen Jahre ſo treu geblieben, daß ein warmherziger Reichspatriot mitten im Reichskriege alles Ernſtes über die Frage ſchreiben konnte: womit die hohe Reichsverſammlung ſich in der nächſten Zeit beſchäftigen ſolle? Das Reich genehmigte den Luneviller Frieden, und die geiſtlichen Stände fanden nicht den Muth ihrem eigenen Todesurtheile zu widerſprechen. Dann verging faſt das ganze Jahr 1801, bis Oeſterreich und Preußen endlich die Bildung einer Reichsdeputation durchſetzten; nach abermals acht Monaten waren die Berathungen dieſes Ausſchuſſes noch nicht eröffnet. Der zer- rüttete Körper des heiligen Reichs beſaß nicht mehr die Kraft, mit eigenen Händen ſeinen letzten Willen aufzuſetzen; der Kampf Aller gegen Alle und die Verblendung des öſterreichiſchen Hofes verhinderten jeden Beſchluß.
Die Hofburg wollte noch immer nicht begreifen, daß ſie ſelber in Luneville die geiſtlichen Stände preisgegeben hatte; ſie verſuchte Alles, die unausbleiblichen Folgen des Geſchehenen rückgängig zu machen, ließ ſogar eben jetzt durch ihre Anhänger einen Erzherzog auf die erledigten fürſt- lichen Biſchofſtühle von Köln und Münſter erwählen. Zugleich bewahrte ſie ihren alten Widerwillen gegen jede Vergrößerung Preußens: man könne leichter, hieß es in Wien, auf drei reiche türkiſche Provinzen ver- zichten, als Münſter und Hildesheim an die proteſtantiſche Großmacht überlaſſen. Und währenddem wurde der bairiſche Nachbar beſtändig durch öſterreichiſche Tauſch- und Vergrößerungspläne geängſtigt. Dieſer Kaiſer, der nicht Worte genug finden konnte um ſeine Entrüſtung über die Ver- gewaltigung der geiſtlichen Stände zu bekunden, ſtellte dem Münchener Hofe frei, ſich im Südweſten die Gebiete der benachbarten Reichsſtädte, Grafen und Herren anzueignen, wenn nur Oeſterreich dafür das öſtliche Baiern erhielte; er zuerſt ſprach das verhängnißvolle Wort: „Vernichtung der kleinen weltlichen Stände“ aus, während bisher amtlich nur von der Seculariſation der geiſtlichen Staaten die Rede geweſen. Es war die Folge dieſer zugleich ſtarr conſervativen und rückſichtslos begehrlichen Hal- tung des kaiſerlichen Hofes, daß Preußen und Baiern ſich genöthigt ſahen, ihre eigenen Entſchädigungen durch Sonderverträge mit Frankreich ſicher zu ſtellen. Der preußiſch-franzöſiſche Vertrag enthielt den vielſagenden Satz, die Krone Preußen erwerbe ihre Entſchädigungslande „mit der un- beſchränkten Landeshoheit und Souveränität auf den nämlichen Fuß, wie Se. Maj. ihre übrigen deutſchen Staaten beſitzen“ — während doch das Reichsrecht eine Souveränität der Reichsſtände nicht kannte. Man hielt es nicht mehr der Mühe werth, auch nur den Schein der kaiſerlichen Oberhoheit zu wahren. Des Reiches ungefragt nahm Preußen ſodann am 3. Auguſt 1802 die ihm von Bonaparte zugeſtandenen Erwerbungen in Beſitz.
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Oeſterreichs Widerſtand.
Hoffnungen. So fiel die Entſcheidung über Deutſchlands Zukunft un-
ausbleiblich dem fremden Sieger zu, der von ſich rühmte: „ich allein, ich
weiß, was ich zu thun habe.“ Der Regensburger Reichstag war den
ſchläfrigen Gewohnheiten ſeines geſpenſtiſchen Daſeins auch während dieſer
argen Jahre ſo treu geblieben, daß ein warmherziger Reichspatriot mitten
im Reichskriege alles Ernſtes über die Frage ſchreiben konnte: womit die
hohe Reichsverſammlung ſich in der nächſten Zeit beſchäftigen ſolle? Das
Reich genehmigte den Luneviller Frieden, und die geiſtlichen Stände fanden
nicht den Muth ihrem eigenen Todesurtheile zu widerſprechen. Dann
verging faſt das ganze Jahr 1801, bis Oeſterreich und Preußen endlich die
Bildung einer Reichsdeputation durchſetzten; nach abermals acht Monaten
waren die Berathungen dieſes Ausſchuſſes noch nicht eröffnet. Der zer-
rüttete Körper des heiligen Reichs beſaß nicht mehr die Kraft, mit eigenen
Händen ſeinen letzten Willen aufzuſetzen; der Kampf Aller gegen Alle und
die Verblendung des öſterreichiſchen Hofes verhinderten jeden Beſchluß.
Die Hofburg wollte noch immer nicht begreifen, daß ſie ſelber in
Luneville die geiſtlichen Stände preisgegeben hatte; ſie verſuchte Alles, die
unausbleiblichen Folgen des Geſchehenen rückgängig zu machen, ließ ſogar
eben jetzt durch ihre Anhänger einen Erzherzog auf die erledigten fürſt-
lichen Biſchofſtühle von Köln und Münſter erwählen. Zugleich bewahrte
ſie ihren alten Widerwillen gegen jede Vergrößerung Preußens: man
könne leichter, hieß es in Wien, auf drei reiche türkiſche Provinzen ver-
zichten, als Münſter und Hildesheim an die proteſtantiſche Großmacht
überlaſſen. Und währenddem wurde der bairiſche Nachbar beſtändig durch
öſterreichiſche Tauſch- und Vergrößerungspläne geängſtigt. Dieſer Kaiſer,
der nicht Worte genug finden konnte um ſeine Entrüſtung über die Ver-
gewaltigung der geiſtlichen Stände zu bekunden, ſtellte dem Münchener
Hofe frei, ſich im Südweſten die Gebiete der benachbarten Reichsſtädte,
Grafen und Herren anzueignen, wenn nur Oeſterreich dafür das öſtliche
Baiern erhielte; er zuerſt ſprach das verhängnißvolle Wort: „Vernichtung
der kleinen weltlichen Stände“ aus, während bisher amtlich nur von der
Seculariſation der geiſtlichen Staaten die Rede geweſen. Es war die
Folge dieſer zugleich ſtarr conſervativen und rückſichtslos begehrlichen Hal-
tung des kaiſerlichen Hofes, daß Preußen und Baiern ſich genöthigt ſahen,
ihre eigenen Entſchädigungen durch Sonderverträge mit Frankreich ſicher
zu ſtellen. Der preußiſch-franzöſiſche Vertrag enthielt den vielſagenden
Satz, die Krone Preußen erwerbe ihre Entſchädigungslande „mit der un-
beſchränkten Landeshoheit und Souveränität auf den nämlichen Fuß, wie
Se. Maj. ihre übrigen deutſchen Staaten beſitzen“ — während doch das
Reichsrecht eine Souveränität der Reichsſtände nicht kannte. Man hielt
es nicht mehr der Mühe werth, auch nur den Schein der kaiſerlichen
Oberhoheit zu wahren. Des Reiches ungefragt nahm Preußen ſodann am
3. Auguſt 1802 die ihm von Bonaparte zugeſtandenen Erwerbungen in Beſitz.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/199>, abgerufen am 24.11.2024.
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