selber hatte der Bewegung die Schleußen geöffnet durch die geplante Ein- verleibung des Salzburger Hochstiftes. In wilder Gier drängten sich die reichsfürstlichen Gesandten an die Bevollmächtigten des Directoriums heran um durch die Gunst des Reichsfeindes ein reiches Stück aus den Gebieten ihrer geistlichen Mitstände zu gewinnen.
Nach Thuguts Absicht sollte Preußen bei dieser Beraubung der geist- lichen Fürsten leer ausgehen. In den geheimen Artikeln von Campo Formio war ausdrücklich nur die Abtretung des linken Rheinufers von Basel bis zur Nette bewilligt worden, damit Preußen seine niederrheinischen Besitzungen behielte und keinen Anspruch auf Entschädigung erheben könne. Die Verabredung stand in offenbarem Widerspruche mit jenem August- vertrage von 1796, der dem Berliner Hofe für den Fall der Abtretung des linken Rheinufers eine vortheilhafte Abrundung versprochen hatte. So hatte denn Frankreich durch zwei widersprechende geheime Verträge die beiden verfeindeten deutschen Großmächte an sich gekettet, von denen die eine aus ihren Niederlagen, die andere aus ihrer Unthätigkeit Vortheil zu ziehen dachte. Unvermeidlich mußte jene dritte Macht, die ihre An- sprüche auf ihr siegreiches Schwert stützte, in solchem widerwärtigen Streite die Oberhand behaupten.
Für eine entschlossene preußische Politik war der Weg, nach Allem was geschehen, klar vorgezeichnet. Preußens niederrheinischer Besitz wurde unhaltbar, seit der Kaiser Belgien, Mainz und die Mosellande an Frank- reich abgetreten. Das gesammte linke Ufer war durch die Verträge von Campo Formio für Deutschland verloren. Man mußte sich diese That- sache eingestehen und versuchen, mindestens dem rechtsrheinischen Deutsch- land eine haltbare weltliche Verfassung zu geben. Es war an Preußen, dem natürlichen Gegner der geistlichen Staaten, das nunmehr unver- meidliche Werk der allgemeinen Secularisation, der Verweltlichung des heiligen Reichs, selber in die Hand zu nehmen, die Macht der Hofburg in Deutschland durch die Vernichtung ihres geistlichen Anhangs zu brechen, das Reich in einen Fürstenbund unter Preußens Führung zu verwandeln. Nicht aus Frankreichs, sondern aus Preußens Händen mußten die kleinen weltlichen Fürsten ihre Entschädigung empfangen; es galt, sie durch das einzige Band, das ihnen heilig war, durch das dynastische Interesse für die preußische Sache zu gewinnen. In der That hat Dohm, der Gesandte in Rastatt, seinem Könige gerathen, die Secularisation also in großem Stile zu betreiben, als ein Mittel zu einer umfassenden Reichsreform nicht zur Befriedigung kleinlicher Habgier. Aber der rathlosen Gedanken- armuth des Berliner Hofes blieb jede kühne Entschließung unfaßbar. Die preußische Politik war während des Krieges wohlmeinend bemüht gewesen, auf der Grundlage der Reichsintegrität den Frieden zwischen Oesterreich und Frankreich herbeizuführen; man hatte sie schroff zurückgewiesen, weil Thugut sein finsteres Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden konnte,
Raſtatter Congreß.
ſelber hatte der Bewegung die Schleußen geöffnet durch die geplante Ein- verleibung des Salzburger Hochſtiftes. In wilder Gier drängten ſich die reichsfürſtlichen Geſandten an die Bevollmächtigten des Directoriums heran um durch die Gunſt des Reichsfeindes ein reiches Stück aus den Gebieten ihrer geiſtlichen Mitſtände zu gewinnen.
Nach Thuguts Abſicht ſollte Preußen bei dieſer Beraubung der geiſt- lichen Fürſten leer ausgehen. In den geheimen Artikeln von Campo Formio war ausdrücklich nur die Abtretung des linken Rheinufers von Baſel bis zur Nette bewilligt worden, damit Preußen ſeine niederrheiniſchen Beſitzungen behielte und keinen Anſpruch auf Entſchädigung erheben könne. Die Verabredung ſtand in offenbarem Widerſpruche mit jenem Auguſt- vertrage von 1796, der dem Berliner Hofe für den Fall der Abtretung des linken Rheinufers eine vortheilhafte Abrundung verſprochen hatte. So hatte denn Frankreich durch zwei widerſprechende geheime Verträge die beiden verfeindeten deutſchen Großmächte an ſich gekettet, von denen die eine aus ihren Niederlagen, die andere aus ihrer Unthätigkeit Vortheil zu ziehen dachte. Unvermeidlich mußte jene dritte Macht, die ihre An- ſprüche auf ihr ſiegreiches Schwert ſtützte, in ſolchem widerwärtigen Streite die Oberhand behaupten.
Für eine entſchloſſene preußiſche Politik war der Weg, nach Allem was geſchehen, klar vorgezeichnet. Preußens niederrheiniſcher Beſitz wurde unhaltbar, ſeit der Kaiſer Belgien, Mainz und die Moſellande an Frank- reich abgetreten. Das geſammte linke Ufer war durch die Verträge von Campo Formio für Deutſchland verloren. Man mußte ſich dieſe That- ſache eingeſtehen und verſuchen, mindeſtens dem rechtsrheiniſchen Deutſch- land eine haltbare weltliche Verfaſſung zu geben. Es war an Preußen, dem natürlichen Gegner der geiſtlichen Staaten, das nunmehr unver- meidliche Werk der allgemeinen Seculariſation, der Verweltlichung des heiligen Reichs, ſelber in die Hand zu nehmen, die Macht der Hofburg in Deutſchland durch die Vernichtung ihres geiſtlichen Anhangs zu brechen, das Reich in einen Fürſtenbund unter Preußens Führung zu verwandeln. Nicht aus Frankreichs, ſondern aus Preußens Händen mußten die kleinen weltlichen Fürſten ihre Entſchädigung empfangen; es galt, ſie durch das einzige Band, das ihnen heilig war, durch das dynaſtiſche Intereſſe für die preußiſche Sache zu gewinnen. In der That hat Dohm, der Geſandte in Raſtatt, ſeinem Könige gerathen, die Seculariſation alſo in großem Stile zu betreiben, als ein Mittel zu einer umfaſſenden Reichsreform nicht zur Befriedigung kleinlicher Habgier. Aber der rathloſen Gedanken- armuth des Berliner Hofes blieb jede kühne Entſchließung unfaßbar. Die preußiſche Politik war während des Krieges wohlmeinend bemüht geweſen, auf der Grundlage der Reichsintegrität den Frieden zwiſchen Oeſterreich und Frankreich herbeizuführen; man hatte ſie ſchroff zurückgewieſen, weil Thugut ſein finſteres Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden konnte,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0183"n="167"/><fwplace="top"type="header">Raſtatter Congreß.</fw><lb/>ſelber hatte der Bewegung die Schleußen geöffnet durch die geplante Ein-<lb/>
verleibung des Salzburger Hochſtiftes. In wilder Gier drängten ſich die<lb/>
reichsfürſtlichen Geſandten an die Bevollmächtigten des Directoriums heran<lb/>
um durch die Gunſt des Reichsfeindes ein reiches Stück aus den Gebieten<lb/>
ihrer geiſtlichen Mitſtände zu gewinnen.</p><lb/><p>Nach Thuguts Abſicht ſollte Preußen bei dieſer Beraubung der geiſt-<lb/>
lichen Fürſten leer ausgehen. In den geheimen Artikeln von Campo<lb/>
Formio war ausdrücklich nur die Abtretung des linken Rheinufers von<lb/>
Baſel bis zur Nette bewilligt worden, damit Preußen ſeine niederrheiniſchen<lb/>
Beſitzungen behielte und keinen Anſpruch auf Entſchädigung erheben könne.<lb/>
Die Verabredung ſtand in offenbarem Widerſpruche mit jenem Auguſt-<lb/>
vertrage von 1796, der dem Berliner Hofe für den Fall der Abtretung<lb/>
des linken Rheinufers eine vortheilhafte Abrundung verſprochen hatte. So<lb/>
hatte denn Frankreich durch zwei widerſprechende geheime Verträge die<lb/>
beiden verfeindeten deutſchen Großmächte an ſich gekettet, von denen die<lb/>
eine aus ihren Niederlagen, die andere aus ihrer Unthätigkeit Vortheil<lb/>
zu ziehen dachte. Unvermeidlich mußte jene dritte Macht, die ihre An-<lb/>ſprüche auf ihr ſiegreiches Schwert ſtützte, in ſolchem widerwärtigen Streite<lb/>
die Oberhand behaupten.</p><lb/><p>Für eine entſchloſſene preußiſche Politik war der Weg, nach Allem<lb/>
was geſchehen, klar vorgezeichnet. Preußens niederrheiniſcher Beſitz wurde<lb/>
unhaltbar, ſeit der Kaiſer Belgien, Mainz und die Moſellande an Frank-<lb/>
reich abgetreten. Das geſammte linke Ufer war durch die Verträge von<lb/>
Campo Formio für Deutſchland verloren. Man mußte ſich dieſe That-<lb/>ſache eingeſtehen und verſuchen, mindeſtens dem rechtsrheiniſchen Deutſch-<lb/>
land eine haltbare weltliche Verfaſſung zu geben. Es war an Preußen,<lb/>
dem natürlichen Gegner der geiſtlichen Staaten, das nunmehr unver-<lb/>
meidliche Werk der allgemeinen Seculariſation, der Verweltlichung des<lb/>
heiligen Reichs, ſelber in die Hand zu nehmen, die Macht der Hofburg<lb/>
in Deutſchland durch die Vernichtung ihres geiſtlichen Anhangs zu brechen,<lb/>
das Reich in einen Fürſtenbund unter Preußens Führung zu verwandeln.<lb/>
Nicht aus Frankreichs, ſondern aus Preußens Händen mußten die kleinen<lb/>
weltlichen Fürſten ihre Entſchädigung empfangen; es galt, ſie durch das<lb/>
einzige Band, das ihnen heilig war, durch das dynaſtiſche Intereſſe für<lb/>
die preußiſche Sache zu gewinnen. In der That hat Dohm, der Geſandte<lb/>
in Raſtatt, ſeinem Könige gerathen, die Seculariſation alſo in großem<lb/>
Stile zu betreiben, als ein Mittel zu einer umfaſſenden Reichsreform<lb/>
nicht zur Befriedigung kleinlicher Habgier. Aber der rathloſen Gedanken-<lb/>
armuth des Berliner Hofes blieb jede kühne Entſchließung unfaßbar. Die<lb/>
preußiſche Politik war während des Krieges wohlmeinend bemüht geweſen,<lb/>
auf der Grundlage der Reichsintegrität den Frieden zwiſchen Oeſterreich<lb/>
und Frankreich herbeizuführen; man hatte ſie ſchroff zurückgewieſen, weil<lb/>
Thugut ſein finſteres Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden konnte,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[167/0183]
Raſtatter Congreß.
ſelber hatte der Bewegung die Schleußen geöffnet durch die geplante Ein-
verleibung des Salzburger Hochſtiftes. In wilder Gier drängten ſich die
reichsfürſtlichen Geſandten an die Bevollmächtigten des Directoriums heran
um durch die Gunſt des Reichsfeindes ein reiches Stück aus den Gebieten
ihrer geiſtlichen Mitſtände zu gewinnen.
Nach Thuguts Abſicht ſollte Preußen bei dieſer Beraubung der geiſt-
lichen Fürſten leer ausgehen. In den geheimen Artikeln von Campo
Formio war ausdrücklich nur die Abtretung des linken Rheinufers von
Baſel bis zur Nette bewilligt worden, damit Preußen ſeine niederrheiniſchen
Beſitzungen behielte und keinen Anſpruch auf Entſchädigung erheben könne.
Die Verabredung ſtand in offenbarem Widerſpruche mit jenem Auguſt-
vertrage von 1796, der dem Berliner Hofe für den Fall der Abtretung
des linken Rheinufers eine vortheilhafte Abrundung verſprochen hatte. So
hatte denn Frankreich durch zwei widerſprechende geheime Verträge die
beiden verfeindeten deutſchen Großmächte an ſich gekettet, von denen die
eine aus ihren Niederlagen, die andere aus ihrer Unthätigkeit Vortheil
zu ziehen dachte. Unvermeidlich mußte jene dritte Macht, die ihre An-
ſprüche auf ihr ſiegreiches Schwert ſtützte, in ſolchem widerwärtigen Streite
die Oberhand behaupten.
Für eine entſchloſſene preußiſche Politik war der Weg, nach Allem
was geſchehen, klar vorgezeichnet. Preußens niederrheiniſcher Beſitz wurde
unhaltbar, ſeit der Kaiſer Belgien, Mainz und die Moſellande an Frank-
reich abgetreten. Das geſammte linke Ufer war durch die Verträge von
Campo Formio für Deutſchland verloren. Man mußte ſich dieſe That-
ſache eingeſtehen und verſuchen, mindeſtens dem rechtsrheiniſchen Deutſch-
land eine haltbare weltliche Verfaſſung zu geben. Es war an Preußen,
dem natürlichen Gegner der geiſtlichen Staaten, das nunmehr unver-
meidliche Werk der allgemeinen Seculariſation, der Verweltlichung des
heiligen Reichs, ſelber in die Hand zu nehmen, die Macht der Hofburg
in Deutſchland durch die Vernichtung ihres geiſtlichen Anhangs zu brechen,
das Reich in einen Fürſtenbund unter Preußens Führung zu verwandeln.
Nicht aus Frankreichs, ſondern aus Preußens Händen mußten die kleinen
weltlichen Fürſten ihre Entſchädigung empfangen; es galt, ſie durch das
einzige Band, das ihnen heilig war, durch das dynaſtiſche Intereſſe für
die preußiſche Sache zu gewinnen. In der That hat Dohm, der Geſandte
in Raſtatt, ſeinem Könige gerathen, die Seculariſation alſo in großem
Stile zu betreiben, als ein Mittel zu einer umfaſſenden Reichsreform
nicht zur Befriedigung kleinlicher Habgier. Aber der rathloſen Gedanken-
armuth des Berliner Hofes blieb jede kühne Entſchließung unfaßbar. Die
preußiſche Politik war während des Krieges wohlmeinend bemüht geweſen,
auf der Grundlage der Reichsintegrität den Frieden zwiſchen Oeſterreich
und Frankreich herbeizuführen; man hatte ſie ſchroff zurückgewieſen, weil
Thugut ſein finſteres Mißtrauen gegen Preußen nicht überwinden konnte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/183>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.