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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Friede von Campo Formio.
und die Führerstellung unter den romanischen Völkern sichern; nach un-
mittelbarer Beherrschung des Welttheils strebte sie nicht. Jener Uner-
sättliche aber, der jetzt in Italien seinen byzantinischen Hof hielt, die er-
oberten Gebiete nach Gefallen zu Vasallenstaaten zusammenballte, jeden
Widerspruch des Directoriums bald durch Drohungen bald durch reiche
Beutesendungen beschwichtigte, war ein Mann ohne Vaterland. Als
Jüngling hatte er einst für die Befreiung seiner italienischen Heimath
geschwärmt, doch seine frühreife Weltklugheit überwand die jugendlichen
Träume schnell; unbedenklich trat er bei den Eroberern Corsicas in Dienst,
weil er einsah, daß die Auflösung aller alten Ordnung in dem revolutio-
nären Frankreich hier der höchsten Begabung die höchsten Erfolge verhieß.
Nun fühlte er sich als den geborenen Herrscher, in der Kraft des Wollens
und Vollbringens allen anderen Sterblichen überlegen. Er schwelgte in
dem Hochgefühle der einzigen Größe dieser Zeit, die das Unmögliche zu
ermöglichen schien, und in dem stolzen Bewußtsein, daß ihm, ihm allein
auferlegt sei, den Rathschluß eines fürchterlichen Schicksals zu vollziehen.
Er sah vor sich das alte Europa, zertheilt durch streitige Interessen, ge-
lähmt durch ein schwerfälliges Heerwesen und durch veraltete Verfassungen
-- eine erstarrte Staatenwelt, die das Recht ihres Daseins nur noch auf
den historischen Bestand zu stützen wußte; hinter sich die gewaltigen kriege-
rischen Kräfte des französischen Volkes, das mit seiner Vergangenheit ge-
brochen hatte und sich vermaß der weiten Erde Gesetze zu geben.

So ist in dem Kopfe des großen Heimathlosen, dem das Seelenleben
der Völker, die Welt der Ideen immer unverständlich blieb, jetzt schon der
entsetzliche Gedanke eines neuen Weltreichs entstanden. Die Bilder der
Caesaren und der Karolinger standen leuchtend vor seinem Geiste; die reiche
Geschichte eines Jahrtausends sollte durch ein gigantisches Abenteuer ver-
nichtet werden, die vielgestaltige Culturwelt des Abendlandes dem Macht-
gebote eines ungeheuren Menschen gehorchen. Mit einer wunderbaren
Sicherheit und Gewissensfreiheit stürmte diese neue, durchaus unfranzösische
Politik der Welteroberung ihren Zielen entgegen. Bonapartes Scharfblick
erkannte sofort, durch welche Mittel das in Deutschland siegreiche, in Italien
besiegte Oesterreich zu einem vorläufigen Frieden zu zwingen sei; er durch-
schaute Thuguts adriatische Pläne, verschaffte sich durch unerhörten Ver-
rath den Vorwand die neutrale Republik Venedig zu bekriegen, warf die
waffenlose nieder und bot dann für Mailand, Belgien und das linke
Rheinufer dem kaiserlichen Hofe den Besitz Venetiens an -- eine Ab-
rundung, die für Oesterreich fast willkommener war als die verlorenen
unhaltbaren Außenposten. Außerdem wurde dem Kaiser das secularisirte
Hochstift Salzburg und Baiern bis zum Inn, seinem aus Modena ver-
triebenen Vetter der Breisgau versprochen. Auf solche Bedingungen hin
wurde am 17. October 1797 der Friede von Campo Formio geschlossen.

Wieder einmal sollte das heilige Reich die Buße zahlen für Oester-

Friede von Campo Formio.
und die Führerſtellung unter den romaniſchen Völkern ſichern; nach un-
mittelbarer Beherrſchung des Welttheils ſtrebte ſie nicht. Jener Uner-
ſättliche aber, der jetzt in Italien ſeinen byzantiniſchen Hof hielt, die er-
oberten Gebiete nach Gefallen zu Vaſallenſtaaten zuſammenballte, jeden
Widerſpruch des Directoriums bald durch Drohungen bald durch reiche
Beuteſendungen beſchwichtigte, war ein Mann ohne Vaterland. Als
Jüngling hatte er einſt für die Befreiung ſeiner italieniſchen Heimath
geſchwärmt, doch ſeine frühreife Weltklugheit überwand die jugendlichen
Träume ſchnell; unbedenklich trat er bei den Eroberern Corſicas in Dienſt,
weil er einſah, daß die Auflöſung aller alten Ordnung in dem revolutio-
nären Frankreich hier der höchſten Begabung die höchſten Erfolge verhieß.
Nun fühlte er ſich als den geborenen Herrſcher, in der Kraft des Wollens
und Vollbringens allen anderen Sterblichen überlegen. Er ſchwelgte in
dem Hochgefühle der einzigen Größe dieſer Zeit, die das Unmögliche zu
ermöglichen ſchien, und in dem ſtolzen Bewußtſein, daß ihm, ihm allein
auferlegt ſei, den Rathſchluß eines fürchterlichen Schickſals zu vollziehen.
Er ſah vor ſich das alte Europa, zertheilt durch ſtreitige Intereſſen, ge-
lähmt durch ein ſchwerfälliges Heerweſen und durch veraltete Verfaſſungen
— eine erſtarrte Staatenwelt, die das Recht ihres Daſeins nur noch auf
den hiſtoriſchen Beſtand zu ſtützen wußte; hinter ſich die gewaltigen kriege-
riſchen Kräfte des franzöſiſchen Volkes, das mit ſeiner Vergangenheit ge-
brochen hatte und ſich vermaß der weiten Erde Geſetze zu geben.

So iſt in dem Kopfe des großen Heimathloſen, dem das Seelenleben
der Völker, die Welt der Ideen immer unverſtändlich blieb, jetzt ſchon der
entſetzliche Gedanke eines neuen Weltreichs entſtanden. Die Bilder der
Caeſaren und der Karolinger ſtanden leuchtend vor ſeinem Geiſte; die reiche
Geſchichte eines Jahrtauſends ſollte durch ein gigantiſches Abenteuer ver-
nichtet werden, die vielgeſtaltige Culturwelt des Abendlandes dem Macht-
gebote eines ungeheuren Menſchen gehorchen. Mit einer wunderbaren
Sicherheit und Gewiſſensfreiheit ſtürmte dieſe neue, durchaus unfranzöſiſche
Politik der Welteroberung ihren Zielen entgegen. Bonapartes Scharfblick
erkannte ſofort, durch welche Mittel das in Deutſchland ſiegreiche, in Italien
beſiegte Oeſterreich zu einem vorläufigen Frieden zu zwingen ſei; er durch-
ſchaute Thuguts adriatiſche Pläne, verſchaffte ſich durch unerhörten Ver-
rath den Vorwand die neutrale Republik Venedig zu bekriegen, warf die
waffenloſe nieder und bot dann für Mailand, Belgien und das linke
Rheinufer dem kaiſerlichen Hofe den Beſitz Venetiens an — eine Ab-
rundung, die für Oeſterreich faſt willkommener war als die verlorenen
unhaltbaren Außenpoſten. Außerdem wurde dem Kaiſer das ſeculariſirte
Hochſtift Salzburg und Baiern bis zum Inn, ſeinem aus Modena ver-
triebenen Vetter der Breisgau verſprochen. Auf ſolche Bedingungen hin
wurde am 17. October 1797 der Friede von Campo Formio geſchloſſen.

Wieder einmal ſollte das heilige Reich die Buße zahlen für Oeſter-

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[165/0181] Friede von Campo Formio. und die Führerſtellung unter den romaniſchen Völkern ſichern; nach un- mittelbarer Beherrſchung des Welttheils ſtrebte ſie nicht. Jener Uner- ſättliche aber, der jetzt in Italien ſeinen byzantiniſchen Hof hielt, die er- oberten Gebiete nach Gefallen zu Vaſallenſtaaten zuſammenballte, jeden Widerſpruch des Directoriums bald durch Drohungen bald durch reiche Beuteſendungen beſchwichtigte, war ein Mann ohne Vaterland. Als Jüngling hatte er einſt für die Befreiung ſeiner italieniſchen Heimath geſchwärmt, doch ſeine frühreife Weltklugheit überwand die jugendlichen Träume ſchnell; unbedenklich trat er bei den Eroberern Corſicas in Dienſt, weil er einſah, daß die Auflöſung aller alten Ordnung in dem revolutio- nären Frankreich hier der höchſten Begabung die höchſten Erfolge verhieß. Nun fühlte er ſich als den geborenen Herrſcher, in der Kraft des Wollens und Vollbringens allen anderen Sterblichen überlegen. Er ſchwelgte in dem Hochgefühle der einzigen Größe dieſer Zeit, die das Unmögliche zu ermöglichen ſchien, und in dem ſtolzen Bewußtſein, daß ihm, ihm allein auferlegt ſei, den Rathſchluß eines fürchterlichen Schickſals zu vollziehen. Er ſah vor ſich das alte Europa, zertheilt durch ſtreitige Intereſſen, ge- lähmt durch ein ſchwerfälliges Heerweſen und durch veraltete Verfaſſungen — eine erſtarrte Staatenwelt, die das Recht ihres Daſeins nur noch auf den hiſtoriſchen Beſtand zu ſtützen wußte; hinter ſich die gewaltigen kriege- riſchen Kräfte des franzöſiſchen Volkes, das mit ſeiner Vergangenheit ge- brochen hatte und ſich vermaß der weiten Erde Geſetze zu geben. So iſt in dem Kopfe des großen Heimathloſen, dem das Seelenleben der Völker, die Welt der Ideen immer unverſtändlich blieb, jetzt ſchon der entſetzliche Gedanke eines neuen Weltreichs entſtanden. Die Bilder der Caeſaren und der Karolinger ſtanden leuchtend vor ſeinem Geiſte; die reiche Geſchichte eines Jahrtauſends ſollte durch ein gigantiſches Abenteuer ver- nichtet werden, die vielgeſtaltige Culturwelt des Abendlandes dem Macht- gebote eines ungeheuren Menſchen gehorchen. Mit einer wunderbaren Sicherheit und Gewiſſensfreiheit ſtürmte dieſe neue, durchaus unfranzöſiſche Politik der Welteroberung ihren Zielen entgegen. Bonapartes Scharfblick erkannte ſofort, durch welche Mittel das in Deutſchland ſiegreiche, in Italien beſiegte Oeſterreich zu einem vorläufigen Frieden zu zwingen ſei; er durch- ſchaute Thuguts adriatiſche Pläne, verſchaffte ſich durch unerhörten Ver- rath den Vorwand die neutrale Republik Venedig zu bekriegen, warf die waffenloſe nieder und bot dann für Mailand, Belgien und das linke Rheinufer dem kaiſerlichen Hofe den Beſitz Venetiens an — eine Ab- rundung, die für Oeſterreich faſt willkommener war als die verlorenen unhaltbaren Außenpoſten. Außerdem wurde dem Kaiſer das ſeculariſirte Hochſtift Salzburg und Baiern bis zum Inn, ſeinem aus Modena ver- triebenen Vetter der Breisgau verſprochen. Auf ſolche Bedingungen hin wurde am 17. October 1797 der Friede von Campo Formio geſchloſſen. Wieder einmal ſollte das heilige Reich die Buße zahlen für Oeſter-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/181>, abgerufen am 25.11.2024.