Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. vermehrt; die Ausgaben freilich stiegen beträchtlich, auf 16--17 MillionenThaler, da der König Kost und Bekleidung der Mannschaft endlich etwas reichlicher, aber noch immer viel zu sparsam, bemessen ließ. Zur Ver- stärkung dieses ungenügenden Truppenbestandes sollte eine Land-Reserve von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klassen, gebildet wer- den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805 der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbst die Verminderung des schwerfälligen Trosses und ähnliche technische Verbesse- rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig schienen, stießen auf den zähen Widerstand der gravitätischen alten Herren mit den langen Westenschößen. Der leutselige Fürst war empört über den Hoch- muth seiner Offiziere, schärfte ihnen ein, sie sollten sich nicht unterstehen, "den geringsten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger sind es, nicht ich, die die Armee unterhalten". Doch er sah nicht, daß solche Mahnungen nichts fruchten konnten, so lange die alten Formen der Heeresverfassung bestanden und das Offizierscorps den anerkannt ersten Stand im Staate bildete. Wie sonderbar hatte sich doch das in seiner Härte und Rauheit so Der herrschende Ton blieb gleichwohl noch sehr geistlos. Die meisten I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. vermehrt; die Ausgaben freilich ſtiegen beträchtlich, auf 16—17 MillionenThaler, da der König Koſt und Bekleidung der Mannſchaft endlich etwas reichlicher, aber noch immer viel zu ſparſam, bemeſſen ließ. Zur Ver- ſtärkung dieſes ungenügenden Truppenbeſtandes ſollte eine Land-Reſerve von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klaſſen, gebildet wer- den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805 der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbſt die Verminderung des ſchwerfälligen Troſſes und ähnliche techniſche Verbeſſe- rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig ſchienen, ſtießen auf den zähen Widerſtand der gravitätiſchen alten Herren mit den langen Weſtenſchößen. Der leutſelige Fürſt war empört über den Hoch- muth ſeiner Offiziere, ſchärfte ihnen ein, ſie ſollten ſich nicht unterſtehen, „den geringſten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger ſind es, nicht ich, die die Armee unterhalten“. Doch er ſah nicht, daß ſolche Mahnungen nichts fruchten konnten, ſo lange die alten Formen der Heeresverfaſſung beſtanden und das Offizierscorps den anerkannt erſten Stand im Staate bildete. Wie ſonderbar hatte ſich doch das in ſeiner Härte und Rauheit ſo Der herrſchende Ton blieb gleichwohl noch ſehr geiſtlos. Die meiſten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0170" n="154"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 2. Revolution und Fremdherrſchaft.</fw><lb/> vermehrt; die Ausgaben freilich ſtiegen beträchtlich, auf 16—17 Millionen<lb/> Thaler, da der König Koſt und Bekleidung der Mannſchaft endlich etwas<lb/> reichlicher, aber noch immer viel zu ſparſam, bemeſſen ließ. Zur Ver-<lb/> ſtärkung dieſes ungenügenden Truppenbeſtandes ſollte eine Land-Reſerve<lb/> von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klaſſen, gebildet wer-<lb/> den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805<lb/> der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbſt die<lb/> Verminderung des ſchwerfälligen Troſſes und ähnliche techniſche Verbeſſe-<lb/> rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig ſchienen,<lb/> ſtießen auf den zähen Widerſtand der gravitätiſchen alten Herren mit den<lb/> langen Weſtenſchößen. Der leutſelige Fürſt war empört über den Hoch-<lb/> muth ſeiner Offiziere, ſchärfte ihnen ein, ſie ſollten ſich nicht unterſtehen,<lb/> „den geringſten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger ſind es, nicht ich,<lb/> die die Armee unterhalten“. Doch er ſah nicht, daß ſolche Mahnungen nichts<lb/> fruchten konnten, ſo lange die alten Formen der Heeresverfaſſung beſtanden<lb/> und das Offizierscorps den anerkannt erſten Stand im Staate bildete.</p><lb/> <p>Wie ſonderbar hatte ſich doch das in ſeiner Härte und Rauheit ſo<lb/> harmoniſche Heer der ſchleſiſchen Kriege verwandelt. Bereits wuchs eine<lb/> neue, an Talenten überreiche Generation heran; alle die Helden des<lb/> Befreiungskriegs gehörten längſt der Armee an, die meiſten ſchon als<lb/> Stabsoffiziere. In manchen Kreiſen des Offizierscorps rührte ſich ein<lb/> friſcher wiſſenſchaftlicher Sinn, ein lebendiges Verſtändniß für die Gegen-<lb/> wart. An der neuen Militär-Akademie hielt Oberſt Scharnhorſt ſeine<lb/> Vorleſungen — der niederſächſiſche Bauernſohn, der im adlichen Hannover-<lb/> lande kein Feld für ſeine Kraft gefunden hatte und endlich dem Rufe<lb/> des Königs nach Berlin gefolgt war; er lehrte ſchon die der alten be-<lb/> dachtſamen Kriegsweisheit unfaßbare Ketzerei, daß man „nie concentrirt<lb/> ſtehen, aber ſich immer concentrirt ſchlagen“ müſſe; er erläuterte ſeine<lb/> Sätze an den Kriegen Friedrichs und jenes jungen Bonaparte, den die<lb/> fridericianiſchen Veteranen kaum als einen Bürgergeneral gelten ließen.<lb/> Und vergeſſen in ſeiner kleinen ſchleſiſchen Garniſon ſaß der ewige Haupt-<lb/> mann Gneiſenau über ſeinen Karten, verfolgte mit geſpannten Blicken<lb/> jeden Schritt des Corſen ſeit dem erſten italieniſchen Feldzuge, lebte ſich<lb/> ein in die Eigenart des dämoniſchen Mannes, als ob er ahnte, daß er der-<lb/> einſt dem Unüberwindlichen entgegentreten ſollte. Das neue geiſtige Leben<lb/> der Nation begann endlich auch auf dieſe militäriſchen Kreiſe, die ihm<lb/> bisher ganz verſchloſſen geweſen, einzuwirken. Jede Richtung der Literatur<lb/> fand unter den jüngeren Offizieren einzelne Vertreter, ſogar der friedliche<lb/> Weltbürgergeiſt der Kantiſchen Philoſophie; beweglich klagte der Leutnant<lb/> Heinrich Kleiſt, wie er in den Rheinfeldzügen ſeine Zeit ſo unmoraliſch<lb/> töden müſſe.</p><lb/> <p>Der herrſchende Ton blieb gleichwohl noch ſehr geiſtlos. Die meiſten<lb/> alten Offiziere trugen gefliſſentlich ihren Bildungshaß zur Schau, ver-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [154/0170]
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
vermehrt; die Ausgaben freilich ſtiegen beträchtlich, auf 16—17 Millionen
Thaler, da der König Koſt und Bekleidung der Mannſchaft endlich etwas
reichlicher, aber noch immer viel zu ſparſam, bemeſſen ließ. Zur Ver-
ſtärkung dieſes ungenügenden Truppenbeſtandes ſollte eine Land-Reſerve
von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klaſſen, gebildet wer-
den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805
der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbſt die
Verminderung des ſchwerfälligen Troſſes und ähnliche techniſche Verbeſſe-
rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig ſchienen,
ſtießen auf den zähen Widerſtand der gravitätiſchen alten Herren mit den
langen Weſtenſchößen. Der leutſelige Fürſt war empört über den Hoch-
muth ſeiner Offiziere, ſchärfte ihnen ein, ſie ſollten ſich nicht unterſtehen,
„den geringſten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger ſind es, nicht ich,
die die Armee unterhalten“. Doch er ſah nicht, daß ſolche Mahnungen nichts
fruchten konnten, ſo lange die alten Formen der Heeresverfaſſung beſtanden
und das Offizierscorps den anerkannt erſten Stand im Staate bildete.
Wie ſonderbar hatte ſich doch das in ſeiner Härte und Rauheit ſo
harmoniſche Heer der ſchleſiſchen Kriege verwandelt. Bereits wuchs eine
neue, an Talenten überreiche Generation heran; alle die Helden des
Befreiungskriegs gehörten längſt der Armee an, die meiſten ſchon als
Stabsoffiziere. In manchen Kreiſen des Offizierscorps rührte ſich ein
friſcher wiſſenſchaftlicher Sinn, ein lebendiges Verſtändniß für die Gegen-
wart. An der neuen Militär-Akademie hielt Oberſt Scharnhorſt ſeine
Vorleſungen — der niederſächſiſche Bauernſohn, der im adlichen Hannover-
lande kein Feld für ſeine Kraft gefunden hatte und endlich dem Rufe
des Königs nach Berlin gefolgt war; er lehrte ſchon die der alten be-
dachtſamen Kriegsweisheit unfaßbare Ketzerei, daß man „nie concentrirt
ſtehen, aber ſich immer concentrirt ſchlagen“ müſſe; er erläuterte ſeine
Sätze an den Kriegen Friedrichs und jenes jungen Bonaparte, den die
fridericianiſchen Veteranen kaum als einen Bürgergeneral gelten ließen.
Und vergeſſen in ſeiner kleinen ſchleſiſchen Garniſon ſaß der ewige Haupt-
mann Gneiſenau über ſeinen Karten, verfolgte mit geſpannten Blicken
jeden Schritt des Corſen ſeit dem erſten italieniſchen Feldzuge, lebte ſich
ein in die Eigenart des dämoniſchen Mannes, als ob er ahnte, daß er der-
einſt dem Unüberwindlichen entgegentreten ſollte. Das neue geiſtige Leben
der Nation begann endlich auch auf dieſe militäriſchen Kreiſe, die ihm
bisher ganz verſchloſſen geweſen, einzuwirken. Jede Richtung der Literatur
fand unter den jüngeren Offizieren einzelne Vertreter, ſogar der friedliche
Weltbürgergeiſt der Kantiſchen Philoſophie; beweglich klagte der Leutnant
Heinrich Kleiſt, wie er in den Rheinfeldzügen ſeine Zeit ſo unmoraliſch
töden müſſe.
Der herrſchende Ton blieb gleichwohl noch ſehr geiſtlos. Die meiſten
alten Offiziere trugen gefliſſentlich ihren Bildungshaß zur Schau, ver-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |