vermehrt; die Ausgaben freilich stiegen beträchtlich, auf 16--17 Millionen Thaler, da der König Kost und Bekleidung der Mannschaft endlich etwas reichlicher, aber noch immer viel zu sparsam, bemessen ließ. Zur Ver- stärkung dieses ungenügenden Truppenbestandes sollte eine Land-Reserve von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klassen, gebildet wer- den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805 der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbst die Verminderung des schwerfälligen Trosses und ähnliche technische Verbesse- rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig schienen, stießen auf den zähen Widerstand der gravitätischen alten Herren mit den langen Westenschößen. Der leutselige Fürst war empört über den Hoch- muth seiner Offiziere, schärfte ihnen ein, sie sollten sich nicht unterstehen, "den geringsten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger sind es, nicht ich, die die Armee unterhalten". Doch er sah nicht, daß solche Mahnungen nichts fruchten konnten, so lange die alten Formen der Heeresverfassung bestanden und das Offizierscorps den anerkannt ersten Stand im Staate bildete.
Wie sonderbar hatte sich doch das in seiner Härte und Rauheit so harmonische Heer der schlesischen Kriege verwandelt. Bereits wuchs eine neue, an Talenten überreiche Generation heran; alle die Helden des Befreiungskriegs gehörten längst der Armee an, die meisten schon als Stabsoffiziere. In manchen Kreisen des Offizierscorps rührte sich ein frischer wissenschaftlicher Sinn, ein lebendiges Verständniß für die Gegen- wart. An der neuen Militär-Akademie hielt Oberst Scharnhorst seine Vorlesungen -- der niedersächsische Bauernsohn, der im adlichen Hannover- lande kein Feld für seine Kraft gefunden hatte und endlich dem Rufe des Königs nach Berlin gefolgt war; er lehrte schon die der alten be- dachtsamen Kriegsweisheit unfaßbare Ketzerei, daß man "nie concentrirt stehen, aber sich immer concentrirt schlagen" müsse; er erläuterte seine Sätze an den Kriegen Friedrichs und jenes jungen Bonaparte, den die fridericianischen Veteranen kaum als einen Bürgergeneral gelten ließen. Und vergessen in seiner kleinen schlesischen Garnison saß der ewige Haupt- mann Gneisenau über seinen Karten, verfolgte mit gespannten Blicken jeden Schritt des Corsen seit dem ersten italienischen Feldzuge, lebte sich ein in die Eigenart des dämonischen Mannes, als ob er ahnte, daß er der- einst dem Unüberwindlichen entgegentreten sollte. Das neue geistige Leben der Nation begann endlich auch auf diese militärischen Kreise, die ihm bisher ganz verschlossen gewesen, einzuwirken. Jede Richtung der Literatur fand unter den jüngeren Offizieren einzelne Vertreter, sogar der friedliche Weltbürgergeist der Kantischen Philosophie; beweglich klagte der Leutnant Heinrich Kleist, wie er in den Rheinfeldzügen seine Zeit so unmoralisch töden müsse.
Der herrschende Ton blieb gleichwohl noch sehr geistlos. Die meisten alten Offiziere trugen geflissentlich ihren Bildungshaß zur Schau, ver-
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
vermehrt; die Ausgaben freilich ſtiegen beträchtlich, auf 16—17 Millionen Thaler, da der König Koſt und Bekleidung der Mannſchaft endlich etwas reichlicher, aber noch immer viel zu ſparſam, bemeſſen ließ. Zur Ver- ſtärkung dieſes ungenügenden Truppenbeſtandes ſollte eine Land-Reſerve von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klaſſen, gebildet wer- den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805 der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbſt die Verminderung des ſchwerfälligen Troſſes und ähnliche techniſche Verbeſſe- rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig ſchienen, ſtießen auf den zähen Widerſtand der gravitätiſchen alten Herren mit den langen Weſtenſchößen. Der leutſelige Fürſt war empört über den Hoch- muth ſeiner Offiziere, ſchärfte ihnen ein, ſie ſollten ſich nicht unterſtehen, „den geringſten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger ſind es, nicht ich, die die Armee unterhalten“. Doch er ſah nicht, daß ſolche Mahnungen nichts fruchten konnten, ſo lange die alten Formen der Heeresverfaſſung beſtanden und das Offizierscorps den anerkannt erſten Stand im Staate bildete.
Wie ſonderbar hatte ſich doch das in ſeiner Härte und Rauheit ſo harmoniſche Heer der ſchleſiſchen Kriege verwandelt. Bereits wuchs eine neue, an Talenten überreiche Generation heran; alle die Helden des Befreiungskriegs gehörten längſt der Armee an, die meiſten ſchon als Stabsoffiziere. In manchen Kreiſen des Offizierscorps rührte ſich ein friſcher wiſſenſchaftlicher Sinn, ein lebendiges Verſtändniß für die Gegen- wart. An der neuen Militär-Akademie hielt Oberſt Scharnhorſt ſeine Vorleſungen — der niederſächſiſche Bauernſohn, der im adlichen Hannover- lande kein Feld für ſeine Kraft gefunden hatte und endlich dem Rufe des Königs nach Berlin gefolgt war; er lehrte ſchon die der alten be- dachtſamen Kriegsweisheit unfaßbare Ketzerei, daß man „nie concentrirt ſtehen, aber ſich immer concentrirt ſchlagen“ müſſe; er erläuterte ſeine Sätze an den Kriegen Friedrichs und jenes jungen Bonaparte, den die fridericianiſchen Veteranen kaum als einen Bürgergeneral gelten ließen. Und vergeſſen in ſeiner kleinen ſchleſiſchen Garniſon ſaß der ewige Haupt- mann Gneiſenau über ſeinen Karten, verfolgte mit geſpannten Blicken jeden Schritt des Corſen ſeit dem erſten italieniſchen Feldzuge, lebte ſich ein in die Eigenart des dämoniſchen Mannes, als ob er ahnte, daß er der- einſt dem Unüberwindlichen entgegentreten ſollte. Das neue geiſtige Leben der Nation begann endlich auch auf dieſe militäriſchen Kreiſe, die ihm bisher ganz verſchloſſen geweſen, einzuwirken. Jede Richtung der Literatur fand unter den jüngeren Offizieren einzelne Vertreter, ſogar der friedliche Weltbürgergeiſt der Kantiſchen Philoſophie; beweglich klagte der Leutnant Heinrich Kleiſt, wie er in den Rheinfeldzügen ſeine Zeit ſo unmoraliſch töden müſſe.
Der herrſchende Ton blieb gleichwohl noch ſehr geiſtlos. Die meiſten alten Offiziere trugen gefliſſentlich ihren Bildungshaß zur Schau, ver-
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[154/0170]
I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
vermehrt; die Ausgaben freilich ſtiegen beträchtlich, auf 16—17 Millionen
Thaler, da der König Koſt und Bekleidung der Mannſchaft endlich etwas
reichlicher, aber noch immer viel zu ſparſam, bemeſſen ließ. Zur Ver-
ſtärkung dieſes ungenügenden Truppenbeſtandes ſollte eine Land-Reſerve
von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klaſſen, gebildet wer-
den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805
der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Selbſt die
Verminderung des ſchwerfälligen Troſſes und ähnliche techniſche Verbeſſe-
rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig ſchienen,
ſtießen auf den zähen Widerſtand der gravitätiſchen alten Herren mit den
langen Weſtenſchößen. Der leutſelige Fürſt war empört über den Hoch-
muth ſeiner Offiziere, ſchärfte ihnen ein, ſie ſollten ſich nicht unterſtehen,
„den geringſten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger ſind es, nicht ich,
die die Armee unterhalten“. Doch er ſah nicht, daß ſolche Mahnungen nichts
fruchten konnten, ſo lange die alten Formen der Heeresverfaſſung beſtanden
und das Offizierscorps den anerkannt erſten Stand im Staate bildete.
Wie ſonderbar hatte ſich doch das in ſeiner Härte und Rauheit ſo
harmoniſche Heer der ſchleſiſchen Kriege verwandelt. Bereits wuchs eine
neue, an Talenten überreiche Generation heran; alle die Helden des
Befreiungskriegs gehörten längſt der Armee an, die meiſten ſchon als
Stabsoffiziere. In manchen Kreiſen des Offizierscorps rührte ſich ein
friſcher wiſſenſchaftlicher Sinn, ein lebendiges Verſtändniß für die Gegen-
wart. An der neuen Militär-Akademie hielt Oberſt Scharnhorſt ſeine
Vorleſungen — der niederſächſiſche Bauernſohn, der im adlichen Hannover-
lande kein Feld für ſeine Kraft gefunden hatte und endlich dem Rufe
des Königs nach Berlin gefolgt war; er lehrte ſchon die der alten be-
dachtſamen Kriegsweisheit unfaßbare Ketzerei, daß man „nie concentrirt
ſtehen, aber ſich immer concentrirt ſchlagen“ müſſe; er erläuterte ſeine
Sätze an den Kriegen Friedrichs und jenes jungen Bonaparte, den die
fridericianiſchen Veteranen kaum als einen Bürgergeneral gelten ließen.
Und vergeſſen in ſeiner kleinen ſchleſiſchen Garniſon ſaß der ewige Haupt-
mann Gneiſenau über ſeinen Karten, verfolgte mit geſpannten Blicken
jeden Schritt des Corſen ſeit dem erſten italieniſchen Feldzuge, lebte ſich
ein in die Eigenart des dämoniſchen Mannes, als ob er ahnte, daß er der-
einſt dem Unüberwindlichen entgegentreten ſollte. Das neue geiſtige Leben
der Nation begann endlich auch auf dieſe militäriſchen Kreiſe, die ihm
bisher ganz verſchloſſen geweſen, einzuwirken. Jede Richtung der Literatur
fand unter den jüngeren Offizieren einzelne Vertreter, ſogar der friedliche
Weltbürgergeiſt der Kantiſchen Philoſophie; beweglich klagte der Leutnant
Heinrich Kleiſt, wie er in den Rheinfeldzügen ſeine Zeit ſo unmoraliſch
töden müſſe.
Der herrſchende Ton blieb gleichwohl noch ſehr geiſtlos. Die meiſten
alten Offiziere trugen gefliſſentlich ihren Bildungshaß zur Schau, ver-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/170>, abgerufen am 23.07.2024.
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