selber, die durch zwei Jahrzehnte der Entehrung und der Noth, durch beispiellose Opfer und Kämpfe gebüßt worden ist.
Als der Mehrer des Reichs war dies Preußen über die Nichtigkeit des Kleinstaatenthums hinausgewachsen; keine Niederlage in freier Feld- schlacht konnte diesen Staat je tiefer beugen als er sich selber demüthigte, da er ungeschlagen seine Hand abzog von der deutschen Westmark und das soeben erst durch Preußens Heer dem Reiche wiedergeschenkte Mainz einem ungewissen Schicksale preisgab. Durch die Kraft des Willens hatte Preußen sich allezeit unter übermächtigen Nachbarn behauptet; unziem- licher sogar als ein offener Bund mit dem Reichsfeinde war für diese Macht der träge Kleinmuth, der gemächlich abwarten wollte, ob vielleicht Oesterreich noch die Franzosen aus dem Reiche hinausschlüge. Ein ehren- haftes Gefühl reichsfürstlichen Stolzes bewog den König dem Baseler Friedenswerke bis zum letzten Augenblicke zu widersprechen: er war der Erbe jenes großen Kurfürsten, der, nicht minder schnöde von Oesterreich betrogen, doch immer wieder den Kampf um die rheinischen Lande gewagt hatte; zudem empfand er dunkel, wie der wackere alte Minister Finken- stein, daß die Behauptung der Westgrenze des Reichs für die Macht- stellung Preußens weit wichtiger war als der Besitz von Sandomierz und Krakau. Verrathen von seinen Verbündeten war er unzweifelhaft berech- tigt von der Coalition zurückzutreten sobald Frankreich einen ehrenvollen Frieden bot und die alten Grenzen des Reichs anerkannte; doch ein solcher Friedeließ sich nur erreichen wenn man den Willen hatte einen vierten rheinischen Feldzug zu wagen. Noch hatte der Krieg die Kernlande der Monarchie nicht berührt; der Wohlstand zeigte überall ein nachhaltiges Gedeihen, obgleich der Mißwachs des Jahres 1794 augenblickliche Ver- legenheiten bereitete. Von einer Ueberbürdung des Volkes war keine Rede; das um tausende von Geviertmeilen vergrößerte Staatsgebiet brachte seinem gutherzigen Fürsten kaum eine Million Thaler mehr an jährlichen Ein- künften als einst der kleine Staat Friedrichs II. Ein großer Staatsmann mußte in solcher Lage die Mittel zu finden wissen für einen neuen Feld- zug, trotz der schwerfälligen Formen des Finanzwesens, trotz der üblen Erfahrungen, die man soeben mit einer ausländischen Anleihe gemacht hatte. Aber im Rathe des Königs fehlte ein schöpferischer Kopf; der un- glückliche Fürst sah keinen Ausweg mehr und beschwichtigte sein Gewissen mit dem trübseligen Troste, daß der Friede mindestens keine förmliche Ab- tretung deutschen Landes ausspreche.
Alle Berechnungen und Erwartungen seiner schlauen Rathgeber er- wiesen sich sofort als ein großer Irrthum. Sie dachten den Reichskrieg zu beendigen; Hardenberg glaubte, Frankreich werde freiwillig auf die Rheingrenze verzichten um nur mit dem Reiche sich abzufinden, und hoffte arglos auf ein dauerndes Freundschaftsverhältniß zwischen Preußen und der Republik. Wie ahnten sie doch so gar nichts von dem Charakter des
Baſeler Friede.
ſelber, die durch zwei Jahrzehnte der Entehrung und der Noth, durch beiſpielloſe Opfer und Kämpfe gebüßt worden iſt.
Als der Mehrer des Reichs war dies Preußen über die Nichtigkeit des Kleinſtaatenthums hinausgewachſen; keine Niederlage in freier Feld- ſchlacht konnte dieſen Staat je tiefer beugen als er ſich ſelber demüthigte, da er ungeſchlagen ſeine Hand abzog von der deutſchen Weſtmark und das ſoeben erſt durch Preußens Heer dem Reiche wiedergeſchenkte Mainz einem ungewiſſen Schickſale preisgab. Durch die Kraft des Willens hatte Preußen ſich allezeit unter übermächtigen Nachbarn behauptet; unziem- licher ſogar als ein offener Bund mit dem Reichsfeinde war für dieſe Macht der träge Kleinmuth, der gemächlich abwarten wollte, ob vielleicht Oeſterreich noch die Franzoſen aus dem Reiche hinausſchlüge. Ein ehren- haftes Gefühl reichsfürſtlichen Stolzes bewog den König dem Baſeler Friedenswerke bis zum letzten Augenblicke zu widerſprechen: er war der Erbe jenes großen Kurfürſten, der, nicht minder ſchnöde von Oeſterreich betrogen, doch immer wieder den Kampf um die rheiniſchen Lande gewagt hatte; zudem empfand er dunkel, wie der wackere alte Miniſter Finken- ſtein, daß die Behauptung der Weſtgrenze des Reichs für die Macht- ſtellung Preußens weit wichtiger war als der Beſitz von Sandomierz und Krakau. Verrathen von ſeinen Verbündeten war er unzweifelhaft berech- tigt von der Coalition zurückzutreten ſobald Frankreich einen ehrenvollen Frieden bot und die alten Grenzen des Reichs anerkannte; doch ein ſolcher Friedeließ ſich nur erreichen wenn man den Willen hatte einen vierten rheiniſchen Feldzug zu wagen. Noch hatte der Krieg die Kernlande der Monarchie nicht berührt; der Wohlſtand zeigte überall ein nachhaltiges Gedeihen, obgleich der Mißwachs des Jahres 1794 augenblickliche Ver- legenheiten bereitete. Von einer Ueberbürdung des Volkes war keine Rede; das um tauſende von Geviertmeilen vergrößerte Staatsgebiet brachte ſeinem gutherzigen Fürſten kaum eine Million Thaler mehr an jährlichen Ein- künften als einſt der kleine Staat Friedrichs II. Ein großer Staatsmann mußte in ſolcher Lage die Mittel zu finden wiſſen für einen neuen Feld- zug, trotz der ſchwerfälligen Formen des Finanzweſens, trotz der üblen Erfahrungen, die man ſoeben mit einer ausländiſchen Anleihe gemacht hatte. Aber im Rathe des Königs fehlte ein ſchöpferiſcher Kopf; der un- glückliche Fürſt ſah keinen Ausweg mehr und beſchwichtigte ſein Gewiſſen mit dem trübſeligen Troſte, daß der Friede mindeſtens keine förmliche Ab- tretung deutſchen Landes ausſpreche.
Alle Berechnungen und Erwartungen ſeiner ſchlauen Rathgeber er- wieſen ſich ſofort als ein großer Irrthum. Sie dachten den Reichskrieg zu beendigen; Hardenberg glaubte, Frankreich werde freiwillig auf die Rheingrenze verzichten um nur mit dem Reiche ſich abzufinden, und hoffte arglos auf ein dauerndes Freundſchaftsverhältniß zwiſchen Preußen und der Republik. Wie ahnten ſie doch ſo gar nichts von dem Charakter des
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Baſeler Friede.
ſelber, die durch zwei Jahrzehnte der Entehrung und der Noth, durch
beiſpielloſe Opfer und Kämpfe gebüßt worden iſt.
Als der Mehrer des Reichs war dies Preußen über die Nichtigkeit
des Kleinſtaatenthums hinausgewachſen; keine Niederlage in freier Feld-
ſchlacht konnte dieſen Staat je tiefer beugen als er ſich ſelber demüthigte,
da er ungeſchlagen ſeine Hand abzog von der deutſchen Weſtmark und
das ſoeben erſt durch Preußens Heer dem Reiche wiedergeſchenkte Mainz
einem ungewiſſen Schickſale preisgab. Durch die Kraft des Willens hatte
Preußen ſich allezeit unter übermächtigen Nachbarn behauptet; unziem-
licher ſogar als ein offener Bund mit dem Reichsfeinde war für dieſe
Macht der träge Kleinmuth, der gemächlich abwarten wollte, ob vielleicht
Oeſterreich noch die Franzoſen aus dem Reiche hinausſchlüge. Ein ehren-
haftes Gefühl reichsfürſtlichen Stolzes bewog den König dem Baſeler
Friedenswerke bis zum letzten Augenblicke zu widerſprechen: er war der
Erbe jenes großen Kurfürſten, der, nicht minder ſchnöde von Oeſterreich
betrogen, doch immer wieder den Kampf um die rheiniſchen Lande gewagt
hatte; zudem empfand er dunkel, wie der wackere alte Miniſter Finken-
ſtein, daß die Behauptung der Weſtgrenze des Reichs für die Macht-
ſtellung Preußens weit wichtiger war als der Beſitz von Sandomierz und
Krakau. Verrathen von ſeinen Verbündeten war er unzweifelhaft berech-
tigt von der Coalition zurückzutreten ſobald Frankreich einen ehrenvollen
Frieden bot und die alten Grenzen des Reichs anerkannte; doch ein ſolcher
Friedeließ ſich nur erreichen wenn man den Willen hatte einen vierten
rheiniſchen Feldzug zu wagen. Noch hatte der Krieg die Kernlande der
Monarchie nicht berührt; der Wohlſtand zeigte überall ein nachhaltiges
Gedeihen, obgleich der Mißwachs des Jahres 1794 augenblickliche Ver-
legenheiten bereitete. Von einer Ueberbürdung des Volkes war keine Rede;
das um tauſende von Geviertmeilen vergrößerte Staatsgebiet brachte ſeinem
gutherzigen Fürſten kaum eine Million Thaler mehr an jährlichen Ein-
künften als einſt der kleine Staat Friedrichs II. Ein großer Staatsmann
mußte in ſolcher Lage die Mittel zu finden wiſſen für einen neuen Feld-
zug, trotz der ſchwerfälligen Formen des Finanzweſens, trotz der üblen
Erfahrungen, die man ſoeben mit einer ausländiſchen Anleihe gemacht
hatte. Aber im Rathe des Königs fehlte ein ſchöpferiſcher Kopf; der un-
glückliche Fürſt ſah keinen Ausweg mehr und beſchwichtigte ſein Gewiſſen
mit dem trübſeligen Troſte, daß der Friede mindeſtens keine förmliche Ab-
tretung deutſchen Landes ausſpreche.
Alle Berechnungen und Erwartungen ſeiner ſchlauen Rathgeber er-
wieſen ſich ſofort als ein großer Irrthum. Sie dachten den Reichskrieg
zu beendigen; Hardenberg glaubte, Frankreich werde freiwillig auf die
Rheingrenze verzichten um nur mit dem Reiche ſich abzufinden, und hoffte
arglos auf ein dauerndes Freundſchaftsverhältniß zwiſchen Preußen und
der Republik. Wie ahnten ſie doch ſo gar nichts von dem Charakter des
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/155>, abgerufen am 25.12.2024.
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