Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach dem Untergange des alten Reichs wird die Darstellung allmäh-
lich ausführlicher, und mit den Tagen des ersten Pariser Friedens be-
ginnt dann die eingehende Geschichtserzählung, die ich im zweiten Bande
zunächst bis zum Jahre 1830 fortzuführen hoffe. Für diesen Zeitraum
habe ich, mit Erlaubniß des Fürsten Reichskanzlers und des Freiherrn
von Roggenbach, die Acten des Berliner Geh. Staatsarchivs und des
Auswärtigen Ministeriums in Carlsruhe benutzt. Ich kann nicht genug
danken für die freisinnige Bereitwilligkeit, die mir von der hiesigen Archiv-
verwaltung, erst unter Ihrer, dann unter H. von Sybels Leitung, immer
bewiesen wurde. Ich habe dies Vertrauen nicht mißbraucht weil ich es
nicht mißbrauchen konnte. In der Geschichte Preußens ist nichts zu be-
mänteln noch zu verschweigen. Was dieser Staat geirrt und gesündigt
hat weiß alle Welt schon längst, Dank der Mißgunst aller unserer Nach-
barn, Dank der Tadelsucht unseres eigenen Volks; ehrliche Forschung
führt in den meisten Fällen zu der Erkenntniß, daß seine Staatskunst
selbst in ihren schwachen Zeiten besser war als ihr Ruf.

Es giebt viele Arten Geschichte zu schreiben, und jede ist berechtigt
wenn sie nur ihren Stil rein und streng einhält. Dies Buch will einfach
erzählen und urtheilen. Sollte die Darstellung nicht völlig formlos wer-
den, so durfte ich den Lesern nur das fertige Ergebniß der Untersuchung
vorlegen ohne ihnen das Handwerkszeug der Forschung aufzuweisen oder
sie mit polemischen Auseinandersetzungen zu belästigen.

Indem ich noch einmal zurückblicke auf die anderthalb Jahrhunderte,
welche dieser Band zu schildern versucht, empfinde ich wieder, wie so oft
beim Schreiben, den Reichthum und die schlichte Größe unserer vater-
ländischen Geschichte. Kein Volk hat besseren Grund als wir, das An-
denken seiner hart kämpfenden Väter in Ehren zu halten, und kein Volk,
leider, erinnert sich so selten, durch wie viel Blut und Thränen, durch
wie viel Schweiß des Hirnes und der Hände ihm der Segen seiner Ein-
heit geschaffen wurde. Sie, lieber Freund, haben schon in der Paulskirche
den Traum vom preußischen Reiche deutscher Nation geträumt und sind
im Herzen jünger geblieben als Mancher aus dem altklugen Nachwuchs;
denn Sie wissen, wie erträglich die Sorgen der Gegenwart erscheinen neben
dem Jammer der alten kaiserlosen Tage. Sie werden mich nicht tadeln,
wenn Ihnen aus der gleichmäßigen Ruhe der historischen Rede dann und

Nach dem Untergange des alten Reichs wird die Darſtellung allmäh-
lich ausführlicher, und mit den Tagen des erſten Pariſer Friedens be-
ginnt dann die eingehende Geſchichtserzählung, die ich im zweiten Bande
zunächſt bis zum Jahre 1830 fortzuführen hoffe. Für dieſen Zeitraum
habe ich, mit Erlaubniß des Fürſten Reichskanzlers und des Freiherrn
von Roggenbach, die Acten des Berliner Geh. Staatsarchivs und des
Auswärtigen Miniſteriums in Carlsruhe benutzt. Ich kann nicht genug
danken für die freiſinnige Bereitwilligkeit, die mir von der hieſigen Archiv-
verwaltung, erſt unter Ihrer, dann unter H. von Sybels Leitung, immer
bewieſen wurde. Ich habe dies Vertrauen nicht mißbraucht weil ich es
nicht mißbrauchen konnte. In der Geſchichte Preußens iſt nichts zu be-
mänteln noch zu verſchweigen. Was dieſer Staat geirrt und geſündigt
hat weiß alle Welt ſchon längſt, Dank der Mißgunſt aller unſerer Nach-
barn, Dank der Tadelſucht unſeres eigenen Volks; ehrliche Forſchung
führt in den meiſten Fällen zu der Erkenntniß, daß ſeine Staatskunſt
ſelbſt in ihren ſchwachen Zeiten beſſer war als ihr Ruf.

Es giebt viele Arten Geſchichte zu ſchreiben, und jede iſt berechtigt
wenn ſie nur ihren Stil rein und ſtreng einhält. Dies Buch will einfach
erzählen und urtheilen. Sollte die Darſtellung nicht völlig formlos wer-
den, ſo durfte ich den Leſern nur das fertige Ergebniß der Unterſuchung
vorlegen ohne ihnen das Handwerkszeug der Forſchung aufzuweiſen oder
ſie mit polemiſchen Auseinanderſetzungen zu beläſtigen.

Indem ich noch einmal zurückblicke auf die anderthalb Jahrhunderte,
welche dieſer Band zu ſchildern verſucht, empfinde ich wieder, wie ſo oft
beim Schreiben, den Reichthum und die ſchlichte Größe unſerer vater-
ländiſchen Geſchichte. Kein Volk hat beſſeren Grund als wir, das An-
denken ſeiner hart kämpfenden Väter in Ehren zu halten, und kein Volk,
leider, erinnert ſich ſo ſelten, durch wie viel Blut und Thränen, durch
wie viel Schweiß des Hirnes und der Hände ihm der Segen ſeiner Ein-
heit geſchaffen wurde. Sie, lieber Freund, haben ſchon in der Paulskirche
den Traum vom preußiſchen Reiche deutſcher Nation geträumt und ſind
im Herzen jünger geblieben als Mancher aus dem altklugen Nachwuchs;
denn Sie wiſſen, wie erträglich die Sorgen der Gegenwart erſcheinen neben
dem Jammer der alten kaiſerloſen Tage. Sie werden mich nicht tadeln,
wenn Ihnen aus der gleichmäßigen Ruhe der hiſtoriſchen Rede dann und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0015" n="VII"/>
        <p>Nach dem Untergange des alten Reichs wird die Dar&#x017F;tellung allmäh-<lb/>
lich ausführlicher, und mit den Tagen des er&#x017F;ten Pari&#x017F;er Friedens be-<lb/>
ginnt dann die eingehende Ge&#x017F;chichtserzählung, die ich im zweiten Bande<lb/>
zunäch&#x017F;t bis zum Jahre 1830 fortzuführen hoffe. Für die&#x017F;en Zeitraum<lb/>
habe ich, mit Erlaubniß des Für&#x017F;ten Reichskanzlers und des Freiherrn<lb/>
von Roggenbach, die Acten des Berliner Geh. Staatsarchivs und des<lb/>
Auswärtigen Mini&#x017F;teriums in Carlsruhe benutzt. Ich kann nicht genug<lb/>
danken für die frei&#x017F;innige Bereitwilligkeit, die mir von der hie&#x017F;igen Archiv-<lb/>
verwaltung, er&#x017F;t unter Ihrer, dann unter H. von Sybels Leitung, immer<lb/>
bewie&#x017F;en wurde. Ich habe dies Vertrauen nicht mißbraucht weil ich es<lb/>
nicht mißbrauchen konnte. In der Ge&#x017F;chichte Preußens i&#x017F;t nichts zu be-<lb/>
mänteln noch zu ver&#x017F;chweigen. Was die&#x017F;er Staat geirrt und ge&#x017F;ündigt<lb/>
hat weiß alle Welt &#x017F;chon läng&#x017F;t, Dank der Mißgun&#x017F;t aller un&#x017F;erer Nach-<lb/>
barn, Dank der Tadel&#x017F;ucht un&#x017F;eres eigenen Volks; ehrliche For&#x017F;chung<lb/>
führt in den mei&#x017F;ten Fällen zu der Erkenntniß, daß &#x017F;eine Staatskun&#x017F;t<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t in ihren &#x017F;chwachen Zeiten be&#x017F;&#x017F;er war als ihr Ruf.</p><lb/>
        <p>Es giebt viele Arten Ge&#x017F;chichte zu &#x017F;chreiben, und jede i&#x017F;t berechtigt<lb/>
wenn &#x017F;ie nur ihren Stil rein und &#x017F;treng einhält. Dies Buch will einfach<lb/>
erzählen und urtheilen. Sollte die Dar&#x017F;tellung nicht völlig formlos wer-<lb/>
den, &#x017F;o durfte ich den Le&#x017F;ern nur das fertige Ergebniß der Unter&#x017F;uchung<lb/>
vorlegen ohne ihnen das Handwerkszeug der For&#x017F;chung aufzuwei&#x017F;en oder<lb/>
&#x017F;ie mit polemi&#x017F;chen Auseinander&#x017F;etzungen zu belä&#x017F;tigen.</p><lb/>
        <p>Indem ich noch einmal zurückblicke auf die anderthalb Jahrhunderte,<lb/>
welche die&#x017F;er Band zu &#x017F;childern ver&#x017F;ucht, empfinde ich wieder, wie &#x017F;o oft<lb/>
beim Schreiben, den Reichthum und die &#x017F;chlichte Größe un&#x017F;erer vater-<lb/>
ländi&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte. Kein Volk hat be&#x017F;&#x017F;eren Grund als wir, das An-<lb/>
denken &#x017F;einer hart kämpfenden Väter in Ehren zu halten, und kein Volk,<lb/>
leider, erinnert &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;elten, durch wie viel Blut und Thränen, durch<lb/>
wie viel Schweiß des Hirnes und der Hände ihm der Segen &#x017F;einer Ein-<lb/>
heit ge&#x017F;chaffen wurde. Sie, lieber Freund, haben &#x017F;chon in der Paulskirche<lb/>
den Traum vom preußi&#x017F;chen Reiche deut&#x017F;cher Nation geträumt und &#x017F;ind<lb/>
im Herzen jünger geblieben als Mancher aus dem altklugen Nachwuchs;<lb/>
denn Sie wi&#x017F;&#x017F;en, wie erträglich die Sorgen der Gegenwart er&#x017F;cheinen neben<lb/>
dem Jammer der alten kai&#x017F;erlo&#x017F;en Tage. Sie werden mich nicht tadeln,<lb/>
wenn Ihnen aus der gleichmäßigen Ruhe der hi&#x017F;tori&#x017F;chen Rede dann und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[VII/0015] Nach dem Untergange des alten Reichs wird die Darſtellung allmäh- lich ausführlicher, und mit den Tagen des erſten Pariſer Friedens be- ginnt dann die eingehende Geſchichtserzählung, die ich im zweiten Bande zunächſt bis zum Jahre 1830 fortzuführen hoffe. Für dieſen Zeitraum habe ich, mit Erlaubniß des Fürſten Reichskanzlers und des Freiherrn von Roggenbach, die Acten des Berliner Geh. Staatsarchivs und des Auswärtigen Miniſteriums in Carlsruhe benutzt. Ich kann nicht genug danken für die freiſinnige Bereitwilligkeit, die mir von der hieſigen Archiv- verwaltung, erſt unter Ihrer, dann unter H. von Sybels Leitung, immer bewieſen wurde. Ich habe dies Vertrauen nicht mißbraucht weil ich es nicht mißbrauchen konnte. In der Geſchichte Preußens iſt nichts zu be- mänteln noch zu verſchweigen. Was dieſer Staat geirrt und geſündigt hat weiß alle Welt ſchon längſt, Dank der Mißgunſt aller unſerer Nach- barn, Dank der Tadelſucht unſeres eigenen Volks; ehrliche Forſchung führt in den meiſten Fällen zu der Erkenntniß, daß ſeine Staatskunſt ſelbſt in ihren ſchwachen Zeiten beſſer war als ihr Ruf. Es giebt viele Arten Geſchichte zu ſchreiben, und jede iſt berechtigt wenn ſie nur ihren Stil rein und ſtreng einhält. Dies Buch will einfach erzählen und urtheilen. Sollte die Darſtellung nicht völlig formlos wer- den, ſo durfte ich den Leſern nur das fertige Ergebniß der Unterſuchung vorlegen ohne ihnen das Handwerkszeug der Forſchung aufzuweiſen oder ſie mit polemiſchen Auseinanderſetzungen zu beläſtigen. Indem ich noch einmal zurückblicke auf die anderthalb Jahrhunderte, welche dieſer Band zu ſchildern verſucht, empfinde ich wieder, wie ſo oft beim Schreiben, den Reichthum und die ſchlichte Größe unſerer vater- ländiſchen Geſchichte. Kein Volk hat beſſeren Grund als wir, das An- denken ſeiner hart kämpfenden Väter in Ehren zu halten, und kein Volk, leider, erinnert ſich ſo ſelten, durch wie viel Blut und Thränen, durch wie viel Schweiß des Hirnes und der Hände ihm der Segen ſeiner Ein- heit geſchaffen wurde. Sie, lieber Freund, haben ſchon in der Paulskirche den Traum vom preußiſchen Reiche deutſcher Nation geträumt und ſind im Herzen jünger geblieben als Mancher aus dem altklugen Nachwuchs; denn Sie wiſſen, wie erträglich die Sorgen der Gegenwart erſcheinen neben dem Jammer der alten kaiſerloſen Tage. Sie werden mich nicht tadeln, wenn Ihnen aus der gleichmäßigen Ruhe der hiſtoriſchen Rede dann und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/15
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/15>, abgerufen am 03.12.2024.