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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Padua und Pillnitz.
trag lege dem Staate unberechenbare Verbindlichkeiten auf, die dem Heere
und dem Haushalt zum Verderben gereichen könnten. Auch die öffentliche
Meinung in Preußen begrüßte die österreichische Freundschaft mit tiefem
Mißtrauen. Die Erinnerungen der sieben Jahre waren noch unvergessen;
die Rechte der Reichsstände im Elsaß und das Schicksal des linken Rhein-
ufers lagen dem Gesichtskreise der Norddeutschen so fern, daß später noch,
als der Reichskrieg am Rheine schon durch anderthalb Jahre währte, einer
der ersten politischen Köpfe der Zeit, Spittler, ganz unbefangen schreiben
konnte: "wir Deutschen im Genusse unserer glücklichen Ruhe!" König
Friedrich Wilhelm aber billigte die willkürlichen Schritte seines Freundes;
er traf bald darauf mit Leopold in Pillnitz zusammen, fühlte sich hin-
gerissen von der würdigen persönlichen Haltung des schlauen Florentiners
und jubelte: der Bund der beiden deutschen Großmächte werde zum Segen
kommender Geschlechter für ewige Zeiten dauern.

Eine unmittelbare Bedrohung Frankreichs lag freilich in allen diesen
Mißgriffen nicht. Wenn Friedrich Wilhelm selber einen Kreuzzug gegen
die französischen Rebellen lebhaft wünschte, seine Minister wiesen den Ge-
danken eines Angriffskrieges ebenso entschieden von sich wie der durchaus
friedfertige Kaiser. In Pillnitz wurden die zum Kriege drängenden Emi-
granten hart zur Seite geschoben, und es kam nur die inhaltlose Er-
klärung vom 27. August zu Stande: die beiden Mächte sprachen aus,
daß sie die Sache König Ludwigs für eine gemeinsame Angelegenheit aller
Souveräne hielten; eine Einmischung in Frankreichs innere Händel solle
erfolgen, falls alle europäischen Mächte zustimmten. Das sagte gar nichts,
da Jedermann wußte, daß England an einer bewaffneten Intervention
niemals theilnehmen wollte. Und sogar diese unklaren Andeutungen ließ
man in Wien wieder fallen als König Ludwig im Herbst in seine Würde
wieder eingesetzt wurde und die neue Verfassung freiwillig beschwor. Die
Revolution schien zum Stillstande gelangt, der Kaiser war völlig beruhigt,
und selbst der alte Fürst Kaunitz, der ernstlich an einen europäischen Krieg
gegen "die wüthigen Narren" Frankreichs gedacht hatte, gestand: nunmehr
sei jede Kriegsgefahr vorüber. Die Verhandlungen über die Rechte des
Reichs im Elsaß führte Leopold nach altem Reichsbrauch mit einer Mäßi-
gung, die der Schwäche gleich kam; er unterließ alle militärischen Sicher-
heitsmaßregeln und forderte nur Entschädigung, nicht Wiederherstellung
der Beraubten. Oesterreich und Preußen bewogen auf Frankreichs Wunsch
den Kurfürsten von Trier, daß er die Rüstungen des Emigrantenheeres
zu Coblenz untersagte -- dieses winzigen Heeres, das ohnehin, bei dem
Todhasse der Franzosen wider die adlichen Verräther, dem neuen Frank-
reich nie gefährlich werden konnte; und wenn Leopold hinzufügte, er wolle
durch seine belgischen Truppen den Trierer gegen den Ueberfall fran-
zösischer Freischaaren decken, so that er nur was die unabweisbare Pflicht
des Reichsoberhauptes gebot.

Padua und Pillnitz.
trag lege dem Staate unberechenbare Verbindlichkeiten auf, die dem Heere
und dem Haushalt zum Verderben gereichen könnten. Auch die öffentliche
Meinung in Preußen begrüßte die öſterreichiſche Freundſchaft mit tiefem
Mißtrauen. Die Erinnerungen der ſieben Jahre waren noch unvergeſſen;
die Rechte der Reichsſtände im Elſaß und das Schickſal des linken Rhein-
ufers lagen dem Geſichtskreiſe der Norddeutſchen ſo fern, daß ſpäter noch,
als der Reichskrieg am Rheine ſchon durch anderthalb Jahre währte, einer
der erſten politiſchen Köpfe der Zeit, Spittler, ganz unbefangen ſchreiben
konnte: „wir Deutſchen im Genuſſe unſerer glücklichen Ruhe!“ König
Friedrich Wilhelm aber billigte die willkürlichen Schritte ſeines Freundes;
er traf bald darauf mit Leopold in Pillnitz zuſammen, fühlte ſich hin-
geriſſen von der würdigen perſönlichen Haltung des ſchlauen Florentiners
und jubelte: der Bund der beiden deutſchen Großmächte werde zum Segen
kommender Geſchlechter für ewige Zeiten dauern.

Eine unmittelbare Bedrohung Frankreichs lag freilich in allen dieſen
Mißgriffen nicht. Wenn Friedrich Wilhelm ſelber einen Kreuzzug gegen
die franzöſiſchen Rebellen lebhaft wünſchte, ſeine Miniſter wieſen den Ge-
danken eines Angriffskrieges ebenſo entſchieden von ſich wie der durchaus
friedfertige Kaiſer. In Pillnitz wurden die zum Kriege drängenden Emi-
granten hart zur Seite geſchoben, und es kam nur die inhaltloſe Er-
klärung vom 27. Auguſt zu Stande: die beiden Mächte ſprachen aus,
daß ſie die Sache König Ludwigs für eine gemeinſame Angelegenheit aller
Souveräne hielten; eine Einmiſchung in Frankreichs innere Händel ſolle
erfolgen, falls alle europäiſchen Mächte zuſtimmten. Das ſagte gar nichts,
da Jedermann wußte, daß England an einer bewaffneten Intervention
niemals theilnehmen wollte. Und ſogar dieſe unklaren Andeutungen ließ
man in Wien wieder fallen als König Ludwig im Herbſt in ſeine Würde
wieder eingeſetzt wurde und die neue Verfaſſung freiwillig beſchwor. Die
Revolution ſchien zum Stillſtande gelangt, der Kaiſer war völlig beruhigt,
und ſelbſt der alte Fürſt Kaunitz, der ernſtlich an einen europäiſchen Krieg
gegen „die wüthigen Narren“ Frankreichs gedacht hatte, geſtand: nunmehr
ſei jede Kriegsgefahr vorüber. Die Verhandlungen über die Rechte des
Reichs im Elſaß führte Leopold nach altem Reichsbrauch mit einer Mäßi-
gung, die der Schwäche gleich kam; er unterließ alle militäriſchen Sicher-
heitsmaßregeln und forderte nur Entſchädigung, nicht Wiederherſtellung
der Beraubten. Oeſterreich und Preußen bewogen auf Frankreichs Wunſch
den Kurfürſten von Trier, daß er die Rüſtungen des Emigrantenheeres
zu Coblenz unterſagte — dieſes winzigen Heeres, das ohnehin, bei dem
Todhaſſe der Franzoſen wider die adlichen Verräther, dem neuen Frank-
reich nie gefährlich werden konnte; und wenn Leopold hinzufügte, er wolle
durch ſeine belgiſchen Truppen den Trierer gegen den Ueberfall fran-
zöſiſcher Freiſchaaren decken, ſo that er nur was die unabweisbare Pflicht
des Reichsoberhauptes gebot.

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[123/0139] Padua und Pillnitz. trag lege dem Staate unberechenbare Verbindlichkeiten auf, die dem Heere und dem Haushalt zum Verderben gereichen könnten. Auch die öffentliche Meinung in Preußen begrüßte die öſterreichiſche Freundſchaft mit tiefem Mißtrauen. Die Erinnerungen der ſieben Jahre waren noch unvergeſſen; die Rechte der Reichsſtände im Elſaß und das Schickſal des linken Rhein- ufers lagen dem Geſichtskreiſe der Norddeutſchen ſo fern, daß ſpäter noch, als der Reichskrieg am Rheine ſchon durch anderthalb Jahre währte, einer der erſten politiſchen Köpfe der Zeit, Spittler, ganz unbefangen ſchreiben konnte: „wir Deutſchen im Genuſſe unſerer glücklichen Ruhe!“ König Friedrich Wilhelm aber billigte die willkürlichen Schritte ſeines Freundes; er traf bald darauf mit Leopold in Pillnitz zuſammen, fühlte ſich hin- geriſſen von der würdigen perſönlichen Haltung des ſchlauen Florentiners und jubelte: der Bund der beiden deutſchen Großmächte werde zum Segen kommender Geſchlechter für ewige Zeiten dauern. Eine unmittelbare Bedrohung Frankreichs lag freilich in allen dieſen Mißgriffen nicht. Wenn Friedrich Wilhelm ſelber einen Kreuzzug gegen die franzöſiſchen Rebellen lebhaft wünſchte, ſeine Miniſter wieſen den Ge- danken eines Angriffskrieges ebenſo entſchieden von ſich wie der durchaus friedfertige Kaiſer. In Pillnitz wurden die zum Kriege drängenden Emi- granten hart zur Seite geſchoben, und es kam nur die inhaltloſe Er- klärung vom 27. Auguſt zu Stande: die beiden Mächte ſprachen aus, daß ſie die Sache König Ludwigs für eine gemeinſame Angelegenheit aller Souveräne hielten; eine Einmiſchung in Frankreichs innere Händel ſolle erfolgen, falls alle europäiſchen Mächte zuſtimmten. Das ſagte gar nichts, da Jedermann wußte, daß England an einer bewaffneten Intervention niemals theilnehmen wollte. Und ſogar dieſe unklaren Andeutungen ließ man in Wien wieder fallen als König Ludwig im Herbſt in ſeine Würde wieder eingeſetzt wurde und die neue Verfaſſung freiwillig beſchwor. Die Revolution ſchien zum Stillſtande gelangt, der Kaiſer war völlig beruhigt, und ſelbſt der alte Fürſt Kaunitz, der ernſtlich an einen europäiſchen Krieg gegen „die wüthigen Narren“ Frankreichs gedacht hatte, geſtand: nunmehr ſei jede Kriegsgefahr vorüber. Die Verhandlungen über die Rechte des Reichs im Elſaß führte Leopold nach altem Reichsbrauch mit einer Mäßi- gung, die der Schwäche gleich kam; er unterließ alle militäriſchen Sicher- heitsmaßregeln und forderte nur Entſchädigung, nicht Wiederherſtellung der Beraubten. Oeſterreich und Preußen bewogen auf Frankreichs Wunſch den Kurfürſten von Trier, daß er die Rüſtungen des Emigrantenheeres zu Coblenz unterſagte — dieſes winzigen Heeres, das ohnehin, bei dem Todhaſſe der Franzoſen wider die adlichen Verräther, dem neuen Frank- reich nie gefährlich werden konnte; und wenn Leopold hinzufügte, er wolle durch ſeine belgiſchen Truppen den Trierer gegen den Ueberfall fran- zöſiſcher Freiſchaaren decken, ſo that er nur was die unabweisbare Pflicht des Reichsoberhauptes gebot.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/139>, abgerufen am 27.04.2024.