Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Pläne Katharinas II.
zu dem thörichten Unternehmen einer Wiederherstellung der altbourbo-
nischen Zustände. Aber die Privilegien der Elsasser Reichsstände bildeten
zugleich das einzige staatsrechtliche Band, das die avulsa imperii noch
mit dem heiligen Reiche verkettete; sie bedingungslos der Souveränität der
Pariser Nationalversammlung unterordnen hieß die letzten Ansprüche des
Reichs auf das Elsaß preisgeben; und so tief war der deutsche Staat noch
nicht gesunken, daß er das Werk Ludwigs XIV. freiwillig hätte zum Abschluß
bringen sollen -- eben jetzt da Frankreich zwar in lärmenden Drohungen
sich erging, doch weder Geldmittel noch ein schlagfertiges Heer besaß.

Also zogen im Westen wie im Osten drohende Wolken herauf, und
längst stand eine große Feindin Deutschlands auf der Lauer und berechnete
die Stunde, da beide Unwetter zugleich über unserem Vaterlande sich
entladen, da der Untergang Polens und der französische Krieg, gleichzeitig
hereinbrechend, die deutschen Großmächte völlig lähmen würden. Kaiserin
Katharina trug es dem preußischen Hofe in gekränkter Seele nach, daß
König Friedrich ihre polnischen Pläne, sein Nachfolger ihre byzantinischen
Kaiserträume durchkreuzt hatte. Sie sah das Einverständniß Preußens
und Oesterreichs mit Besorgniß, fand aber rasch das Mittel diesen Bund
für Rußland unschädlich zu machen: wenn ihr gelang die deutschen Mächte
in den unabsehbaren Krieg mit Frankreich zu verwickeln, so war sie Herrin
in Polen und konnte die unausbleibliche Vernichtung des Adelsstaates
nach ihrem Sinne durchführen. Sie bemühte sich kaum ihre Hoffnungen
zu verbergen, erklärte ihren Räthen offen: "Ich will die Ellenbogen frei
haben" und die deutschen Höfe mit den französischen Händeln beschäftigen.
Darum eilte sie, den Türkenkrieg zu beendigen, darum redete die Freundin
Diderots jetzt als fanatische Gegnerin der Revolution; sie beschützte die
Emigranten, mahnte die Nachbarn unablässig an die gemeinsame Pflicht
aller Souveräne, an die Wiederaufrichtung der alten Krone Frankreichs;
sie wünschte eine Gegenrevolution durch die Brüder König Ludwigs, stellte
auch mit unbestimmten Worten die Waffenhilfe Rußlands für den großen
Kreuzzug des Royalismus in Aussicht, da es doch in ihrer Hand lag sich
nach Belieben zurückzuhalten. Dies Verfahren des Petersburger Hofes
ergab sich so nothwendig aus Rußlands wohlgesicherter geographischer
Stellung, daß der preußische Minister Alvensleben, ein Mann von keines-
wegs ungewöhnlichen Gaben, die Hintergedanken der Czarin sofort durch-
schaute und dem Könige die Politik seiner rastlosen Nachbarin genau
voraussagte.

Weder der Kaiser noch die preußischen Staatsmänner verkannten
völlig die unberechenbaren Gefahren eines Krieges in so verworrener Lage.
Leopolds nüchterner Kaltsinn blieb lange ganz unempfindlich gegen die
hilfeflehenden Briefe seiner unglücklichen Schwester Marie Antoinette, die
sich von weiblicher Leidenschaft und gekränktem Fürstenstolze bis dicht an
die Grenzen des Landesverraths fortreißen ließ. Das preußische Cabinet

Pläne Katharinas II.
zu dem thörichten Unternehmen einer Wiederherſtellung der altbourbo-
niſchen Zuſtände. Aber die Privilegien der Elſaſſer Reichsſtände bildeten
zugleich das einzige ſtaatsrechtliche Band, das die avulsa imperii noch
mit dem heiligen Reiche verkettete; ſie bedingungslos der Souveränität der
Pariſer Nationalverſammlung unterordnen hieß die letzten Anſprüche des
Reichs auf das Elſaß preisgeben; und ſo tief war der deutſche Staat noch
nicht geſunken, daß er das Werk Ludwigs XIV. freiwillig hätte zum Abſchluß
bringen ſollen — eben jetzt da Frankreich zwar in lärmenden Drohungen
ſich erging, doch weder Geldmittel noch ein ſchlagfertiges Heer beſaß.

Alſo zogen im Weſten wie im Oſten drohende Wolken herauf, und
längſt ſtand eine große Feindin Deutſchlands auf der Lauer und berechnete
die Stunde, da beide Unwetter zugleich über unſerem Vaterlande ſich
entladen, da der Untergang Polens und der franzöſiſche Krieg, gleichzeitig
hereinbrechend, die deutſchen Großmächte völlig lähmen würden. Kaiſerin
Katharina trug es dem preußiſchen Hofe in gekränkter Seele nach, daß
König Friedrich ihre polniſchen Pläne, ſein Nachfolger ihre byzantiniſchen
Kaiſerträume durchkreuzt hatte. Sie ſah das Einverſtändniß Preußens
und Oeſterreichs mit Beſorgniß, fand aber raſch das Mittel dieſen Bund
für Rußland unſchädlich zu machen: wenn ihr gelang die deutſchen Mächte
in den unabſehbaren Krieg mit Frankreich zu verwickeln, ſo war ſie Herrin
in Polen und konnte die unausbleibliche Vernichtung des Adelsſtaates
nach ihrem Sinne durchführen. Sie bemühte ſich kaum ihre Hoffnungen
zu verbergen, erklärte ihren Räthen offen: „Ich will die Ellenbogen frei
haben“ und die deutſchen Höfe mit den franzöſiſchen Händeln beſchäftigen.
Darum eilte ſie, den Türkenkrieg zu beendigen, darum redete die Freundin
Diderots jetzt als fanatiſche Gegnerin der Revolution; ſie beſchützte die
Emigranten, mahnte die Nachbarn unabläſſig an die gemeinſame Pflicht
aller Souveräne, an die Wiederaufrichtung der alten Krone Frankreichs;
ſie wünſchte eine Gegenrevolution durch die Brüder König Ludwigs, ſtellte
auch mit unbeſtimmten Worten die Waffenhilfe Rußlands für den großen
Kreuzzug des Royalismus in Ausſicht, da es doch in ihrer Hand lag ſich
nach Belieben zurückzuhalten. Dies Verfahren des Petersburger Hofes
ergab ſich ſo nothwendig aus Rußlands wohlgeſicherter geographiſcher
Stellung, daß der preußiſche Miniſter Alvensleben, ein Mann von keines-
wegs ungewöhnlichen Gaben, die Hintergedanken der Czarin ſofort durch-
ſchaute und dem Könige die Politik ſeiner raſtloſen Nachbarin genau
vorausſagte.

Weder der Kaiſer noch die preußiſchen Staatsmänner verkannten
völlig die unberechenbaren Gefahren eines Krieges in ſo verworrener Lage.
Leopolds nüchterner Kaltſinn blieb lange ganz unempfindlich gegen die
hilfeflehenden Briefe ſeiner unglücklichen Schweſter Marie Antoinette, die
ſich von weiblicher Leidenſchaft und gekränktem Fürſtenſtolze bis dicht an
die Grenzen des Landesverraths fortreißen ließ. Das preußiſche Cabinet

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0137" n="121"/><fw place="top" type="header">Pläne Katharinas <hi rendition="#aq">II.</hi></fw><lb/>
zu dem thörichten Unternehmen einer Wiederher&#x017F;tellung der altbourbo-<lb/>
ni&#x017F;chen Zu&#x017F;tände. Aber die Privilegien der El&#x017F;a&#x017F;&#x017F;er Reichs&#x017F;tände bildeten<lb/>
zugleich das einzige &#x017F;taatsrechtliche Band, das die <hi rendition="#aq">avulsa imperii</hi> noch<lb/>
mit dem heiligen Reiche verkettete; &#x017F;ie bedingungslos der Souveränität der<lb/>
Pari&#x017F;er Nationalver&#x017F;ammlung unterordnen hieß die letzten An&#x017F;prüche des<lb/>
Reichs auf das El&#x017F;aß preisgeben; und &#x017F;o tief war der deut&#x017F;che Staat noch<lb/>
nicht ge&#x017F;unken, daß er das Werk Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV.</hi> freiwillig hätte zum Ab&#x017F;chluß<lb/>
bringen &#x017F;ollen &#x2014; eben jetzt da Frankreich zwar in lärmenden Drohungen<lb/>
&#x017F;ich erging, doch weder Geldmittel noch ein &#x017F;chlagfertiges Heer be&#x017F;aß.</p><lb/>
            <p>Al&#x017F;o zogen im We&#x017F;ten wie im O&#x017F;ten drohende Wolken herauf, und<lb/>
läng&#x017F;t &#x017F;tand eine große Feindin Deut&#x017F;chlands auf der Lauer und berechnete<lb/>
die Stunde, da beide Unwetter zugleich über un&#x017F;erem Vaterlande &#x017F;ich<lb/>
entladen, da der Untergang Polens und der franzö&#x017F;i&#x017F;che Krieg, gleichzeitig<lb/>
hereinbrechend, die deut&#x017F;chen Großmächte völlig lähmen würden. Kai&#x017F;erin<lb/>
Katharina trug es dem preußi&#x017F;chen Hofe in gekränkter Seele nach, daß<lb/>
König Friedrich ihre polni&#x017F;chen Pläne, &#x017F;ein Nachfolger ihre byzantini&#x017F;chen<lb/>
Kai&#x017F;erträume durchkreuzt hatte. Sie &#x017F;ah das Einver&#x017F;tändniß Preußens<lb/>
und Oe&#x017F;terreichs mit Be&#x017F;orgniß, fand aber ra&#x017F;ch das Mittel die&#x017F;en Bund<lb/>
für Rußland un&#x017F;chädlich zu machen: wenn ihr gelang die deut&#x017F;chen Mächte<lb/>
in den unab&#x017F;ehbaren Krieg mit Frankreich zu verwickeln, &#x017F;o war &#x017F;ie Herrin<lb/>
in Polen und konnte die unausbleibliche Vernichtung des Adels&#x017F;taates<lb/>
nach ihrem Sinne durchführen. Sie bemühte &#x017F;ich kaum ihre Hoffnungen<lb/>
zu verbergen, erklärte ihren Räthen offen: &#x201E;Ich will die Ellenbogen frei<lb/>
haben&#x201C; und die deut&#x017F;chen Höfe mit den franzö&#x017F;i&#x017F;chen Händeln be&#x017F;chäftigen.<lb/>
Darum eilte &#x017F;ie, den Türkenkrieg zu beendigen, darum redete die Freundin<lb/>
Diderots jetzt als fanati&#x017F;che Gegnerin der Revolution; &#x017F;ie be&#x017F;chützte die<lb/>
Emigranten, mahnte die Nachbarn unablä&#x017F;&#x017F;ig an die gemein&#x017F;ame Pflicht<lb/>
aller Souveräne, an die Wiederaufrichtung der alten Krone Frankreichs;<lb/>
&#x017F;ie wün&#x017F;chte eine Gegenrevolution durch die Brüder König Ludwigs, &#x017F;tellte<lb/>
auch mit unbe&#x017F;timmten Worten die Waffenhilfe Rußlands für den großen<lb/>
Kreuzzug des Royalismus in Aus&#x017F;icht, da es doch in ihrer Hand lag &#x017F;ich<lb/>
nach Belieben zurückzuhalten. Dies Verfahren des Petersburger Hofes<lb/>
ergab &#x017F;ich &#x017F;o nothwendig aus Rußlands wohlge&#x017F;icherter geographi&#x017F;cher<lb/>
Stellung, daß der preußi&#x017F;che Mini&#x017F;ter Alvensleben, ein Mann von keines-<lb/>
wegs ungewöhnlichen Gaben, die Hintergedanken der Czarin &#x017F;ofort durch-<lb/>
&#x017F;chaute und dem Könige die Politik &#x017F;einer ra&#x017F;tlo&#x017F;en Nachbarin genau<lb/>
voraus&#x017F;agte.</p><lb/>
            <p>Weder der Kai&#x017F;er noch die preußi&#x017F;chen Staatsmänner verkannten<lb/>
völlig die unberechenbaren Gefahren eines Krieges in &#x017F;o verworrener Lage.<lb/>
Leopolds nüchterner Kalt&#x017F;inn blieb lange ganz unempfindlich gegen die<lb/>
hilfeflehenden Briefe &#x017F;einer unglücklichen Schwe&#x017F;ter Marie Antoinette, die<lb/>
&#x017F;ich von weiblicher Leiden&#x017F;chaft und gekränktem Für&#x017F;ten&#x017F;tolze bis dicht an<lb/>
die Grenzen des Landesverraths fortreißen ließ. Das preußi&#x017F;che Cabinet<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0137] Pläne Katharinas II. zu dem thörichten Unternehmen einer Wiederherſtellung der altbourbo- niſchen Zuſtände. Aber die Privilegien der Elſaſſer Reichsſtände bildeten zugleich das einzige ſtaatsrechtliche Band, das die avulsa imperii noch mit dem heiligen Reiche verkettete; ſie bedingungslos der Souveränität der Pariſer Nationalverſammlung unterordnen hieß die letzten Anſprüche des Reichs auf das Elſaß preisgeben; und ſo tief war der deutſche Staat noch nicht geſunken, daß er das Werk Ludwigs XIV. freiwillig hätte zum Abſchluß bringen ſollen — eben jetzt da Frankreich zwar in lärmenden Drohungen ſich erging, doch weder Geldmittel noch ein ſchlagfertiges Heer beſaß. Alſo zogen im Weſten wie im Oſten drohende Wolken herauf, und längſt ſtand eine große Feindin Deutſchlands auf der Lauer und berechnete die Stunde, da beide Unwetter zugleich über unſerem Vaterlande ſich entladen, da der Untergang Polens und der franzöſiſche Krieg, gleichzeitig hereinbrechend, die deutſchen Großmächte völlig lähmen würden. Kaiſerin Katharina trug es dem preußiſchen Hofe in gekränkter Seele nach, daß König Friedrich ihre polniſchen Pläne, ſein Nachfolger ihre byzantiniſchen Kaiſerträume durchkreuzt hatte. Sie ſah das Einverſtändniß Preußens und Oeſterreichs mit Beſorgniß, fand aber raſch das Mittel dieſen Bund für Rußland unſchädlich zu machen: wenn ihr gelang die deutſchen Mächte in den unabſehbaren Krieg mit Frankreich zu verwickeln, ſo war ſie Herrin in Polen und konnte die unausbleibliche Vernichtung des Adelsſtaates nach ihrem Sinne durchführen. Sie bemühte ſich kaum ihre Hoffnungen zu verbergen, erklärte ihren Räthen offen: „Ich will die Ellenbogen frei haben“ und die deutſchen Höfe mit den franzöſiſchen Händeln beſchäftigen. Darum eilte ſie, den Türkenkrieg zu beendigen, darum redete die Freundin Diderots jetzt als fanatiſche Gegnerin der Revolution; ſie beſchützte die Emigranten, mahnte die Nachbarn unabläſſig an die gemeinſame Pflicht aller Souveräne, an die Wiederaufrichtung der alten Krone Frankreichs; ſie wünſchte eine Gegenrevolution durch die Brüder König Ludwigs, ſtellte auch mit unbeſtimmten Worten die Waffenhilfe Rußlands für den großen Kreuzzug des Royalismus in Ausſicht, da es doch in ihrer Hand lag ſich nach Belieben zurückzuhalten. Dies Verfahren des Petersburger Hofes ergab ſich ſo nothwendig aus Rußlands wohlgeſicherter geographiſcher Stellung, daß der preußiſche Miniſter Alvensleben, ein Mann von keines- wegs ungewöhnlichen Gaben, die Hintergedanken der Czarin ſofort durch- ſchaute und dem Könige die Politik ſeiner raſtloſen Nachbarin genau vorausſagte. Weder der Kaiſer noch die preußiſchen Staatsmänner verkannten völlig die unberechenbaren Gefahren eines Krieges in ſo verworrener Lage. Leopolds nüchterner Kaltſinn blieb lange ganz unempfindlich gegen die hilfeflehenden Briefe ſeiner unglücklichen Schweſter Marie Antoinette, die ſich von weiblicher Leidenſchaft und gekränktem Fürſtenſtolze bis dicht an die Grenzen des Landesverraths fortreißen ließ. Das preußiſche Cabinet

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/137
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/137>, abgerufen am 21.11.2024.