Nehmen Sie, mein verehrter Freund, die Widmung dieser Blätter als ein Zeichen alter Treue freundlich auf. Sie haben mir bei den langwierigen Vorarbeiten so oft Ihre warme Theilnahme erwiesen; es thut mir wohl, zuerst vor Ihnen auszusprechen was ich über Anlage und Absicht des Buchs den Lesern zu sagen habe.
Mein Plan war ursprünglich, nur die Geschichte des Deutschen Bundes zu schreiben, nach einem kurzen Eingang sofort mit den Ver- handlungen des Wiener Congresses zu beginnen. Ich erkannte jedoch bald, daß ein nicht ausschließlich für Gelehrte bestimmtes Buch weiter ausholen muß. Die Schicksale des Deutschen Bundes bilden nur den Abschluß des zweihundertjährigen Kampfes zwischen dem Hause Oester- reich und dem neu aufsteigenden deutschen Staate; sie bleiben dem Leser unverständlich, wenn er nicht über die Anfänge der preußischen Monarchie und den Untergang des heiligen Reichs unterrichtet ist. Eine allen Gebil- deten gemeinsame nationale Geschichtsüberlieferung hat sich in unserem kaum erst wiedervereinigten Volke noch nicht entwickeln können. Jenes einmüthige Gefühl froher Dankbarkeit, das ältere Nationen ihren politi- schen Helden entgegenbringen, hegen wir Deutschen nur für die großen Namen unserer Kunst und Wissenschaft; selbst über die Frage, welche Thatsachen in dem weiten Wirrsal unserer neuen Geschichte die wahrhaft entscheidenden waren, gehen die Meinungen noch weit auseinander.
Ich entschloß mich daher in einem einleitenden Buche kurz zu schil- dern, wie sich seit dem Westphälischen Frieden das neue Deutschland
An Max Duncker.
Nehmen Sie, mein verehrter Freund, die Widmung dieſer Blätter als ein Zeichen alter Treue freundlich auf. Sie haben mir bei den langwierigen Vorarbeiten ſo oft Ihre warme Theilnahme erwieſen; es thut mir wohl, zuerſt vor Ihnen auszuſprechen was ich über Anlage und Abſicht des Buchs den Leſern zu ſagen habe.
Mein Plan war urſprünglich, nur die Geſchichte des Deutſchen Bundes zu ſchreiben, nach einem kurzen Eingang ſofort mit den Ver- handlungen des Wiener Congreſſes zu beginnen. Ich erkannte jedoch bald, daß ein nicht ausſchließlich für Gelehrte beſtimmtes Buch weiter ausholen muß. Die Schickſale des Deutſchen Bundes bilden nur den Abſchluß des zweihundertjährigen Kampfes zwiſchen dem Hauſe Oeſter- reich und dem neu aufſteigenden deutſchen Staate; ſie bleiben dem Leſer unverſtändlich, wenn er nicht über die Anfänge der preußiſchen Monarchie und den Untergang des heiligen Reichs unterrichtet iſt. Eine allen Gebil- deten gemeinſame nationale Geſchichtsüberlieferung hat ſich in unſerem kaum erſt wiedervereinigten Volke noch nicht entwickeln können. Jenes einmüthige Gefühl froher Dankbarkeit, das ältere Nationen ihren politi- ſchen Helden entgegenbringen, hegen wir Deutſchen nur für die großen Namen unſerer Kunſt und Wiſſenſchaft; ſelbſt über die Frage, welche Thatſachen in dem weiten Wirrſal unſerer neuen Geſchichte die wahrhaft entſcheidenden waren, gehen die Meinungen noch weit auseinander.
Ich entſchloß mich daher in einem einleitenden Buche kurz zu ſchil- dern, wie ſich ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden das neue Deutſchland
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An Max Duncker.
Nehmen Sie, mein verehrter Freund, die Widmung dieſer Blätter
als ein Zeichen alter Treue freundlich auf. Sie haben mir bei den
langwierigen Vorarbeiten ſo oft Ihre warme Theilnahme erwieſen; es
thut mir wohl, zuerſt vor Ihnen auszuſprechen was ich über Anlage und
Abſicht des Buchs den Leſern zu ſagen habe.
Mein Plan war urſprünglich, nur die Geſchichte des Deutſchen
Bundes zu ſchreiben, nach einem kurzen Eingang ſofort mit den Ver-
handlungen des Wiener Congreſſes zu beginnen. Ich erkannte jedoch
bald, daß ein nicht ausſchließlich für Gelehrte beſtimmtes Buch weiter
ausholen muß. Die Schickſale des Deutſchen Bundes bilden nur den
Abſchluß des zweihundertjährigen Kampfes zwiſchen dem Hauſe Oeſter-
reich und dem neu aufſteigenden deutſchen Staate; ſie bleiben dem Leſer
unverſtändlich, wenn er nicht über die Anfänge der preußiſchen Monarchie
und den Untergang des heiligen Reichs unterrichtet iſt. Eine allen Gebil-
deten gemeinſame nationale Geſchichtsüberlieferung hat ſich in unſerem
kaum erſt wiedervereinigten Volke noch nicht entwickeln können. Jenes
einmüthige Gefühl froher Dankbarkeit, das ältere Nationen ihren politi-
ſchen Helden entgegenbringen, hegen wir Deutſchen nur für die großen
Namen unſerer Kunſt und Wiſſenſchaft; ſelbſt über die Frage, welche
Thatſachen in dem weiten Wirrſal unſerer neuen Geſchichte die wahrhaft
entſcheidenden waren, gehen die Meinungen noch weit auseinander.
Ich entſchloß mich daher in einem einleitenden Buche kurz zu ſchil-
dern, wie ſich ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden das neue Deutſchland
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/13>, abgerufen am 03.12.2024.
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