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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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der Nahrung: ihm das Erjagen, jener die Bewahrung und
Bereitung; und auch wo andere Arbeit, und darin die
Jüngeren, Schwächeren zu unterweisen erfordert wird,
immer mag erwartet werden, wird auch gefunden, dass die
männliche Kraft gegen aussen, kämpfend und die Söhne
führend sich wende, die der Frau aber an das innere Leben
und an die weiblichen Kinder gehalten bleibe. -- Unter
Geschwistern, als welche am meisten auf gemeinsame
und gleiche Thätigkeit hingewiesen werden, kann die wahre
Hülfeleistung, gegenseitige Unterstützung und Förderung,
am reinsten sich darstellen. Ausser der Verschiedenheit
des Geschlechtes wird aber hier (wie schon gesagt) inson-
derheit die Differenz der mentalen Begabung hervortreten,
und gemäss derselben, wenn auf die eine Seite mehr das
Ersinnen und die geistige oder Gehirn-Thätigkeit, auf die
andere Ausführung und Muskelarbeit entfallen. Auch so
aber darf alsdann jenes als ein Vorangehen und Leiten,
dieses als eine Art der Nachfolge und des Gehorsams ver-
standen werden. -- Und von allen solchen Differenziirungen
werde erkannt, dass sie sich erfüllen nach Führung der
Natur; so oft auch diese gesetzmässigen Tendenzen, wie
alle anderen, unterbrochen, aufgehoben, verkehrt werden
mögen.

§ 4.

Wenn nun diese Verhältnisse insgesammt als ein
wechselseitiges Bestimmen und wechselseitiges Dienen der
Willen erscheinen, und so ein jedes unter dem Bilde eines
Gleichgewichts von Kräften vorgestellt werde, so muss Alles,
was dem einen Willen ein Uebergewicht verleiht, durch
eine stärkere Wirkung auf der anderen Seite compensirt
werden. So kann als idealer Fall gedacht werden, dass dem
grösseren Genusse aus dem Verhältnisse die schwerere Art
von Arbeit für das Verhältniss, d. i. die grössere oder seltenere
Kräfte erfordernde Art entspreche; und folglich dem gerin-
geren Genusse die leichtere Arbeit. Denn wenn auch Mühe
und Kampf selber Lust ist und werden kann, so macht
doch alle Anspannung von Kräften eine folgende Abspannung
nothwendig, Ausgabe Empfang, Bewegung Ruhe. Der

der Nahrung: ihm das Erjagen, jener die Bewahrung und
Bereitung; und auch wo andere Arbeit, und darin die
Jüngeren, Schwächeren zu unterweisen erfordert wird,
immer mag erwartet werden, wird auch gefunden, dass die
männliche Kraft gegen aussen, kämpfend und die Söhne
führend sich wende, die der Frau aber an das innere Leben
und an die weiblichen Kinder gehalten bleibe. — Unter
Geschwistern, als welche am meisten auf gemeinsame
und gleiche Thätigkeit hingewiesen werden, kann die wahre
Hülfeleistung, gegenseitige Unterstützung und Förderung,
am reinsten sich darstellen. Ausser der Verschiedenheit
des Geschlechtes wird aber hier (wie schon gesagt) inson-
derheit die Differenz der mentalen Begabung hervortreten,
und gemäss derselben, wenn auf die eine Seite mehr das
Ersinnen und die geistige oder Gehirn-Thätigkeit, auf die
andere Ausführung und Muskelarbeit entfallen. Auch so
aber darf alsdann jenes als ein Vorangehen und Leiten,
dieses als eine Art der Nachfolge und des Gehorsams ver-
standen werden. — Und von allen solchen Differenziirungen
werde erkannt, dass sie sich erfüllen nach Führung der
Natur; so oft auch diese gesetzmässigen Tendenzen, wie
alle anderen, unterbrochen, aufgehoben, verkehrt werden
mögen.

§ 4.

Wenn nun diese Verhältnisse insgesammt als ein
wechselseitiges Bestimmen und wechselseitiges Dienen der
Willen erscheinen, und so ein jedes unter dem Bilde eines
Gleichgewichts von Kräften vorgestellt werde, so muss Alles,
was dem einen Willen ein Uebergewicht verleiht, durch
eine stärkere Wirkung auf der anderen Seite compensirt
werden. So kann als idealer Fall gedacht werden, dass dem
grösseren Genusse aus dem Verhältnisse die schwerere Art
von Arbeit für das Verhältniss, d. i. die grössere oder seltenere
Kräfte erfordernde Art entspreche; und folglich dem gerin-
geren Genusse die leichtere Arbeit. Denn wenn auch Mühe
und Kampf selber Lust ist und werden kann, so macht
doch alle Anspannung von Kräften eine folgende Abspannung
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[14/0050] der Nahrung: ihm das Erjagen, jener die Bewahrung und Bereitung; und auch wo andere Arbeit, und darin die Jüngeren, Schwächeren zu unterweisen erfordert wird, immer mag erwartet werden, wird auch gefunden, dass die männliche Kraft gegen aussen, kämpfend und die Söhne führend sich wende, die der Frau aber an das innere Leben und an die weiblichen Kinder gehalten bleibe. — Unter Geschwistern, als welche am meisten auf gemeinsame und gleiche Thätigkeit hingewiesen werden, kann die wahre Hülfeleistung, gegenseitige Unterstützung und Förderung, am reinsten sich darstellen. Ausser der Verschiedenheit des Geschlechtes wird aber hier (wie schon gesagt) inson- derheit die Differenz der mentalen Begabung hervortreten, und gemäss derselben, wenn auf die eine Seite mehr das Ersinnen und die geistige oder Gehirn-Thätigkeit, auf die andere Ausführung und Muskelarbeit entfallen. Auch so aber darf alsdann jenes als ein Vorangehen und Leiten, dieses als eine Art der Nachfolge und des Gehorsams ver- standen werden. — Und von allen solchen Differenziirungen werde erkannt, dass sie sich erfüllen nach Führung der Natur; so oft auch diese gesetzmässigen Tendenzen, wie alle anderen, unterbrochen, aufgehoben, verkehrt werden mögen. § 4. Wenn nun diese Verhältnisse insgesammt als ein wechselseitiges Bestimmen und wechselseitiges Dienen der Willen erscheinen, und so ein jedes unter dem Bilde eines Gleichgewichts von Kräften vorgestellt werde, so muss Alles, was dem einen Willen ein Uebergewicht verleiht, durch eine stärkere Wirkung auf der anderen Seite compensirt werden. So kann als idealer Fall gedacht werden, dass dem grösseren Genusse aus dem Verhältnisse die schwerere Art von Arbeit für das Verhältniss, d. i. die grössere oder seltenere Kräfte erfordernde Art entspreche; und folglich dem gerin- geren Genusse die leichtere Arbeit. Denn wenn auch Mühe und Kampf selber Lust ist und werden kann, so macht doch alle Anspannung von Kräften eine folgende Abspannung nothwendig, Ausgabe Empfang, Bewegung Ruhe. Der

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/50>, abgerufen am 28.03.2024.