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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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Bezuge auf jenes Ganze, welchem es angehört und ent-
sprossen ist, welches es selber ist, auf eine eigenthümliche
Weise erscheinend. Mithin ist eine verbundene Menschheit
als Natürliches und Nothwendiges vorausgesetzt, ja es ist
ein Protoplasma des Rechtes vorausgesetzt, als ur-
sprüngliches und nothwendiges Product ihres Zusammen-
lebens und Zusammendenkens, dessen fernere Entwicklung
wesentlich durch seine gleichsam eigene Thätigkeit, nämlich
durch den vernünftigen Gebrauch seines Urhebers geschehen
sei. Also ist es zu verstehen, wenn gelehrt wurde, dass es
ein Recht gebe, worin die Natur alle thierischen Wesen
unterwiesen habe, und das als solches auch aller Menschheit
gemein sei. Denn wenn auch Recht hier in einem unbe-
stimmten Sinne gedacht wurde, so ist eben aus diesem un-
bestimmten der bestimmtere abzuleiten; und allerdings ist
der Naturtrieb, welcher Mann und Weib zusammenführt,
Keim des ihnen gemeinsamen, für sie verbindlichen Willens,
welcher die Familie begründet. Und von dieser Idee aus
kann durch Analyse jedes positiven Gewohnheitsrechtes
die Basis jener Normen gefunden werden, welche im In-
neren des Hauses die Verhältnisse zwischen Ehegenossen,
zwischen Eltern und Kindern, zwischen Herren und Dienern
ordnend feststellen. Dieselben sind im Ganzen unabhängig
von der Idee des Eigenthums, welche erst durch die Cultur
des Ackers tiefere Bedeutung gewinnt. Dieses bildet daher
als die sichtbar gewordene Willenssphäre den Kern des
eigentlichen Rechts, welches sich mehr auf die Verhältnisse
zwischen den Häusern, als zwischen den individuellen Fa-
miliengliedern bezieht. Ein mittleres Gebiet ist daher, was
die Verhältnisse zwischen repräsentativen Gliedern, also
insonderheit den Hausherren angeht, inwiefern sie zusammen
einem höheren Verbande angehören, dessen stummer oder
lauter Wille, dessen Idee sie beherrscht. Und in einem sol-
chen sich ausdehnenden verlieren und vereinzeln sie sich,
steht zuletzt als gleiches Individuum der Sohn gegen den
Vater, das Weib gegen den Mann, der Knecht gegen den
Herrn, berühren sich dagegen die entferntesten, einander
gleichgültigsten, ja ihrem Wesenwillen nach feindlichsten
Verkäufer von Waaren, mit angenommener Freundlichkeit,

Bezuge auf jenes Ganze, welchem es angehört und ent-
sprossen ist, welches es selber ist, auf eine eigenthümliche
Weise erscheinend. Mithin ist eine verbundene Menschheit
als Natürliches und Nothwendiges vorausgesetzt, ja es ist
ein Protoplasma des Rechtes vorausgesetzt, als ur-
sprüngliches und nothwendiges Product ihres Zusammen-
lebens und Zusammendenkens, dessen fernere Entwicklung
wesentlich durch seine gleichsam eigene Thätigkeit, nämlich
durch den vernünftigen Gebrauch seines Urhebers geschehen
sei. Also ist es zu verstehen, wenn gelehrt wurde, dass es
ein Recht gebe, worin die Natur alle thierischen Wesen
unterwiesen habe, und das als solches auch aller Menschheit
gemein sei. Denn wenn auch Recht hier in einem unbe-
stimmten Sinne gedacht wurde, so ist eben aus diesem un-
bestimmten der bestimmtere abzuleiten; und allerdings ist
der Naturtrieb, welcher Mann und Weib zusammenführt,
Keim des ihnen gemeinsamen, für sie verbindlichen Willens,
welcher die Familie begründet. Und von dieser Idee aus
kann durch Analyse jedes positiven Gewohnheitsrechtes
die Basis jener Normen gefunden werden, welche im In-
neren des Hauses die Verhältnisse zwischen Ehegenossen,
zwischen Eltern und Kindern, zwischen Herren und Dienern
ordnend feststellen. Dieselben sind im Ganzen unabhängig
von der Idee des Eigenthums, welche erst durch die Cultur
des Ackers tiefere Bedeutung gewinnt. Dieses bildet daher
als die sichtbar gewordene Willenssphäre den Kern des
eigentlichen Rechts, welches sich mehr auf die Verhältnisse
zwischen den Häusern, als zwischen den individuellen Fa-
miliengliedern bezieht. Ein mittleres Gebiet ist daher, was
die Verhältnisse zwischen repräsentativen Gliedern, also
insonderheit den Hausherren angeht, inwiefern sie zusammen
einem höheren Verbande angehören, dessen stummer oder
lauter Wille, dessen Idee sie beherrscht. Und in einem sol-
chen sich ausdehnenden verlieren und vereinzeln sie sich,
steht zuletzt als gleiches Individuum der Sohn gegen den
Vater, das Weib gegen den Mann, der Knecht gegen den
Herrn, berühren sich dagegen die entferntesten, einander
gleichgültigsten, ja ihrem Wesenwillen nach feindlichsten
Verkäufer von Waaren, mit angenommener Freundlichkeit,

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[236/0272] Bezuge auf jenes Ganze, welchem es angehört und ent- sprossen ist, welches es selber ist, auf eine eigenthümliche Weise erscheinend. Mithin ist eine verbundene Menschheit als Natürliches und Nothwendiges vorausgesetzt, ja es ist ein Protoplasma des Rechtes vorausgesetzt, als ur- sprüngliches und nothwendiges Product ihres Zusammen- lebens und Zusammendenkens, dessen fernere Entwicklung wesentlich durch seine gleichsam eigene Thätigkeit, nämlich durch den vernünftigen Gebrauch seines Urhebers geschehen sei. Also ist es zu verstehen, wenn gelehrt wurde, dass es ein Recht gebe, worin die Natur alle thierischen Wesen unterwiesen habe, und das als solches auch aller Menschheit gemein sei. Denn wenn auch Recht hier in einem unbe- stimmten Sinne gedacht wurde, so ist eben aus diesem un- bestimmten der bestimmtere abzuleiten; und allerdings ist der Naturtrieb, welcher Mann und Weib zusammenführt, Keim des ihnen gemeinsamen, für sie verbindlichen Willens, welcher die Familie begründet. Und von dieser Idee aus kann durch Analyse jedes positiven Gewohnheitsrechtes die Basis jener Normen gefunden werden, welche im In- neren des Hauses die Verhältnisse zwischen Ehegenossen, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Herren und Dienern ordnend feststellen. Dieselben sind im Ganzen unabhängig von der Idee des Eigenthums, welche erst durch die Cultur des Ackers tiefere Bedeutung gewinnt. Dieses bildet daher als die sichtbar gewordene Willenssphäre den Kern des eigentlichen Rechts, welches sich mehr auf die Verhältnisse zwischen den Häusern, als zwischen den individuellen Fa- miliengliedern bezieht. Ein mittleres Gebiet ist daher, was die Verhältnisse zwischen repräsentativen Gliedern, also insonderheit den Hausherren angeht, inwiefern sie zusammen einem höheren Verbande angehören, dessen stummer oder lauter Wille, dessen Idee sie beherrscht. Und in einem sol- chen sich ausdehnenden verlieren und vereinzeln sie sich, steht zuletzt als gleiches Individuum der Sohn gegen den Vater, das Weib gegen den Mann, der Knecht gegen den Herrn, berühren sich dagegen die entferntesten, einander gleichgültigsten, ja ihrem Wesenwillen nach feindlichsten Verkäufer von Waaren, mit angenommener Freundlichkeit,

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/272>, abgerufen am 26.11.2024.