meinschaft, welche am vollkommensten begriffen wird als metaphysische Verbundenheit der Leiber oder des Blutes, von Natur ihren eigenen Willen und ihre eigene Kraft zum Leben, folglich ihr eigenes Recht in Bezug auf die Willen ihrer Glieder, so gar dass diese, insofern als sie sol- ches sind, nur als Modificationen und Emanationen jener organischen Gesammtsubstanz erscheinen dürfen. -- Die- sem Unterschiede gemäss stehen sich ein Rechtssystem, in welchem die Menschen als natürliche Glieder eines Ganzen auf einander bezogen sind, und ein Rechtssystem, in wel- chem sie als Individuen durchaus unabhängig von einander nur durch eigene Willkür in Beziehungen zu einander treten, principieller Weise gegenüber. In der empirischen Juris- prudenz, insbesondere der römisch-modernen, welche eine Wissenschaft gegebenen gültigen Rechtes ist, wie es im ge- sellschaftlichen Verstande sich darstellt, erhält sich jenes unter dem Namen des Familienrechtes, worin aber eine pure rechtliche Beschaffenheit darin beruhender Verhältnisse entbehrt wird, welche um so deutlicher in der anderen und am meisten differenten Partie des Obligationenrechts sich abhebt. Denn hier ist eine eigentliche Mathematik und rationale Mechanik des Rechtes möglich, welche auf lauter identische Sätze zurückgeführt werden kann, da sie nur mit modificirten Tauschacten und der dadurch begründeten Herrschaft einer Person über bestimmte Handlungen der anderen zu thun hat: die Handlungen gehen gleich Waaren oder Geldstücken von einer Hand zur anderen, so dass auf der einen Seite subtrahirt, auf der anderen Seite der gleiche Betrag addirt wird, wie in einfachen Gleichungen. Die beiden Rechtsmassen aber entfalten ihr Wesen erst in dem mittleren Gebiete, dem des Eigenthumsrechtes, wo sie auch einander nothwendiger Weise begegnen. Hierauf zielen darum die zunächst folgenden Definitionen.
§ 5.
Als die Sphäre eines menschlichen Wesenwillens verstehe ich: den Inbegriff alles dessen, was ein Mensch oder ein Complex von Menschen als die ihm zugehörigen Kräfte in und an sich hat, insofern als dieselben eine Ein-
meinschaft, welche am vollkommensten begriffen wird als metaphysische Verbundenheit der Leiber oder des Blutes, von Natur ihren eigenen Willen und ihre eigene Kraft zum Leben, folglich ihr eigenes Recht in Bezug auf die Willen ihrer Glieder, so gar dass diese, insofern als sie sol- ches sind, nur als Modificationen und Emanationen jener organischen Gesammtsubstanz erscheinen dürfen. — Die- sem Unterschiede gemäss stehen sich ein Rechtssystem, in welchem die Menschen als natürliche Glieder eines Ganzen auf einander bezogen sind, und ein Rechtssystem, in wel- chem sie als Individuen durchaus unabhängig von einander nur durch eigene Willkür in Beziehungen zu einander treten, principieller Weise gegenüber. In der empirischen Juris- prudenz, insbesondere der römisch-modernen, welche eine Wissenschaft gegebenen gültigen Rechtes ist, wie es im ge- sellschaftlichen Verstande sich darstellt, erhält sich jenes unter dem Namen des Familienrechtes, worin aber eine pure rechtliche Beschaffenheit darin beruhender Verhältnisse entbehrt wird, welche um so deutlicher in der anderen und am meisten differenten Partie des Obligationenrechts sich abhebt. Denn hier ist eine eigentliche Mathematik und rationale Mechanik des Rechtes möglich, welche auf lauter identische Sätze zurückgeführt werden kann, da sie nur mit modificirten Tauschacten und der dadurch begründeten Herrschaft einer Person über bestimmte Handlungen der anderen zu thun hat: die Handlungen gehen gleich Waaren oder Geldstücken von einer Hand zur anderen, so dass auf der einen Seite subtrahirt, auf der anderen Seite der gleiche Betrag addirt wird, wie in einfachen Gleichungen. Die beiden Rechtsmassen aber entfalten ihr Wesen erst in dem mittleren Gebiete, dem des Eigenthumsrechtes, wo sie auch einander nothwendiger Weise begegnen. Hierauf zielen darum die zunächst folgenden Definitionen.
§ 5.
Als die Sphäre eines menschlichen Wesenwillens verstehe ich: den Inbegriff alles dessen, was ein Mensch oder ein Complex von Menschen als die ihm zugehörigen Kräfte in und an sich hat, insofern als dieselben eine Ein-
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meinschaft, welche am vollkommensten begriffen wird als
metaphysische Verbundenheit der Leiber oder des Blutes,
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Willen ihrer Glieder, so gar dass diese, insofern als sie sol-
ches sind, nur als Modificationen und Emanationen jener
organischen Gesammtsubstanz erscheinen dürfen. — Die-
sem Unterschiede gemäss stehen sich ein Rechtssystem, in
welchem die Menschen als natürliche Glieder eines Ganzen
auf einander bezogen sind, und ein Rechtssystem, in wel-
chem sie als Individuen durchaus unabhängig von einander
nur durch eigene Willkür in Beziehungen zu einander treten,
principieller Weise gegenüber. In der empirischen Juris-
prudenz, insbesondere der römisch-modernen, welche eine
Wissenschaft gegebenen gültigen Rechtes ist, wie es im ge-
sellschaftlichen Verstande sich darstellt, erhält sich jenes
unter dem Namen des Familienrechtes, worin aber eine
pure rechtliche Beschaffenheit darin beruhender Verhältnisse
entbehrt wird, welche um so deutlicher in der anderen und
am meisten differenten Partie des Obligationenrechts
sich abhebt. Denn hier ist eine eigentliche Mathematik und
rationale Mechanik des Rechtes möglich, welche auf lauter
identische Sätze zurückgeführt werden kann, da sie nur mit
modificirten Tauschacten und der dadurch begründeten
Herrschaft einer Person über bestimmte Handlungen der
anderen zu thun hat: die Handlungen gehen gleich Waaren
oder Geldstücken von einer Hand zur anderen, so dass auf
der einen Seite subtrahirt, auf der anderen Seite der gleiche
Betrag addirt wird, wie in einfachen Gleichungen. Die
beiden Rechtsmassen aber entfalten ihr Wesen erst in dem
mittleren Gebiete, dem des Eigenthumsrechtes, wo
sie auch einander nothwendiger Weise begegnen. Hierauf
zielen darum die zunächst folgenden Definitionen.
§ 5.
Als die Sphäre eines menschlichen Wesenwillens
verstehe ich: den Inbegriff alles dessen, was ein Mensch
oder ein Complex von Menschen als die ihm zugehörigen
Kräfte in und an sich hat, insofern als dieselben eine Ein-
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/243>, abgerufen am 26.11.2024.
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