digen, aber vielleicht ganz und gar nicht sich bewirken lassen: wie gutes Wetter. Und Weniges, was wir wün- schen, können oder mögen wir auch zu einem Zwecke machen, den wir bewirken oder erreichen wollen. Dennoch ist auch Glück, wonach Unzählige streben, rennen und jagen, als ob es an einem Ziele läge, das man erreichen müsse: rasch, weil das Verlangen so heftig ist, oder weil man fürchtet, es möge davongehen, oder Andere zuvor- kommen und es nehmen, -- oder als ob es vor einem her fliehe und müsse eingeholt werden und ergriffen, oder aus der Ferne mit Pfeil oder Kugel getroffen. In dieser Vor- stellung ist das Glück wie ein äusserer Gegenstand, dessen man durch Anwendung seiner Kräfte sich bemächtigen könne -- wenn man Glück dabei habe, d. i. wenn die zufälligen Umstände Gunst gewähren mögen. Aber man kann auch darauf hoffend oder sogar -- nach ihrer Wahr- scheinlichkeit -- rechnend, etwas unternehmen und wagen: auf die Gefahr des Misslingens oder Verlustes, wie der Spieler thut. Und hier sind unablässige oder oft wieder- holte Versuche doch auch wiederum einem Streben und Ringen gleich, als ob man des Zufalles selber Herr werden wolle. Und in der That: die richtige Voraussicht der Ereignisse ist eine Art von Herrschaft darüber; obgleich man sie nicht verändern kann, so mag man sich doch danach richten, um der guten zu geniessen und die üblen zu vermeiden. Sie erspart also vergebliche Versuche und ermuthigt zu anderen, aussichtsvolleren. Aber gerade diese Voraussicht ist nur in beschränkten Gebieten möglich; als bloss faktische Erkenntniss ist sie höchst unsicher, als Er- kenntniss aus den Ursachen höchst unvollkommen: wo sie sicher und vollkommen zugleich ist, würde sie den Begriff des Zufalles aufheben, dem doch in allen Gebieten des Geschehens als der Wirkung ungewöhnlicher oder unbe- kannter Umstände der weiteste Spielraum bleibt: je weiter die Entfernung und je weniger von unserer eigenen Kraft und deren Determination durch die Beschaffenheit eines verharrenden Willens abhängig ist; obgleich auch diese nur von Moment zu Moment ein sicherer Factor ihres Schicksales ist. -- Wenn aber das Glück erstrebt, ver-
digen, aber vielleicht ganz und gar nicht sich bewirken lassen: wie gutes Wetter. Und Weniges, was wir wün- schen, können oder mögen wir auch zu einem Zwecke machen, den wir bewirken oder erreichen wollen. Dennoch ist auch Glück, wonach Unzählige streben, rennen und jagen, als ob es an einem Ziele läge, das man erreichen müsse: rasch, weil das Verlangen so heftig ist, oder weil man fürchtet, es möge davongehen, oder Andere zuvor- kommen und es nehmen, — oder als ob es vor einem her fliehe und müsse eingeholt werden und ergriffen, oder aus der Ferne mit Pfeil oder Kugel getroffen. In dieser Vor- stellung ist das Glück wie ein äusserer Gegenstand, dessen man durch Anwendung seiner Kräfte sich bemächtigen könne — wenn man Glück dabei habe, d. i. wenn die zufälligen Umstände Gunst gewähren mögen. Aber man kann auch darauf hoffend oder sogar — nach ihrer Wahr- scheinlichkeit — rechnend, etwas unternehmen und wagen: auf die Gefahr des Misslingens oder Verlustes, wie der Spieler thut. Und hier sind unablässige oder oft wieder- holte Versuche doch auch wiederum einem Streben und Ringen gleich, als ob man des Zufalles selber Herr werden wolle. Und in der That: die richtige Voraussicht der Ereignisse ist eine Art von Herrschaft darüber; obgleich man sie nicht verändern kann, so mag man sich doch danach richten, um der guten zu geniessen und die üblen zu vermeiden. Sie erspart also vergebliche Versuche und ermuthigt zu anderen, aussichtsvolleren. Aber gerade diese Voraussicht ist nur in beschränkten Gebieten möglich; als bloss faktische Erkenntniss ist sie höchst unsicher, als Er- kenntniss aus den Ursachen höchst unvollkommen: wo sie sicher und vollkommen zugleich ist, würde sie den Begriff des Zufalles aufheben, dem doch in allen Gebieten des Geschehens als der Wirkung ungewöhnlicher oder unbe- kannter Umstände der weiteste Spielraum bleibt: je weiter die Entfernung und je weniger von unserer eigenen Kraft und deren Determination durch die Beschaffenheit eines verharrenden Willens abhängig ist; obgleich auch diese nur von Moment zu Moment ein sicherer Factor ihres Schicksales ist. — Wenn aber das Glück erstrebt, ver-
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digen, aber vielleicht ganz und gar nicht sich bewirken
lassen: wie gutes Wetter. Und Weniges, was wir wün-
schen, können oder mögen wir auch zu einem Zwecke
machen, den wir bewirken oder erreichen wollen. Dennoch
ist auch Glück, wonach Unzählige streben, rennen und
jagen, als ob es an einem Ziele läge, das man erreichen
müsse: rasch, weil das Verlangen so heftig ist, oder weil
man fürchtet, es möge davongehen, oder Andere zuvor-
kommen und es nehmen, — oder als ob es vor einem her
fliehe und müsse eingeholt werden und ergriffen, oder aus
der Ferne mit Pfeil oder Kugel getroffen. In dieser Vor-
stellung ist das Glück wie ein äusserer Gegenstand, dessen
man durch Anwendung seiner Kräfte sich bemächtigen
könne — wenn man Glück dabei habe, d. i. wenn die
zufälligen Umstände Gunst gewähren mögen. Aber man
kann auch darauf hoffend oder sogar — nach ihrer Wahr-
scheinlichkeit — rechnend, etwas unternehmen und wagen:
auf die Gefahr des Misslingens oder Verlustes, wie der
Spieler thut. Und hier sind unablässige oder oft wieder-
holte Versuche doch auch wiederum einem Streben und
Ringen gleich, als ob man des Zufalles selber Herr werden
wolle. Und in der That: die richtige Voraussicht der
Ereignisse ist eine Art von Herrschaft darüber; obgleich
man sie nicht verändern kann, so mag man sich doch
danach richten, um der guten zu geniessen und die üblen
zu vermeiden. Sie erspart also vergebliche Versuche und
ermuthigt zu anderen, aussichtsvolleren. Aber gerade diese
Voraussicht ist nur in beschränkten Gebieten möglich; als
bloss faktische Erkenntniss ist sie höchst unsicher, als Er-
kenntniss aus den Ursachen höchst unvollkommen: wo sie
sicher und vollkommen zugleich ist, würde sie den Begriff
des Zufalles aufheben, dem doch in allen Gebieten des
Geschehens als der Wirkung ungewöhnlicher oder unbe-
kannter Umstände der weiteste Spielraum bleibt: je weiter
die Entfernung und je weniger von unserer eigenen
Kraft und deren Determination durch die Beschaffenheit
eines verharrenden Willens abhängig ist; obgleich auch
diese nur von Moment zu Moment ein sicherer Factor ihres
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/166>, abgerufen am 22.11.2024.
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