reproduciren, und nun in den wissenschaftlichen Begriff verallgemeinert wird, als Fähigkeit zweckmässige Thätig- keiten zu wiederholen, so würde dies nicht verständlich sein, wenn man nicht wüsste, dass Eindrücke selber Thätig- keiten sind und dass diese Zwiefachheit im Begriffe des organischen Lebens, wovon alles besondere Leben Modifi- cationen darstellt, als der Einheit von Ernährung und Re- production unentwickelt enthalten ist. Wenn aber die Ein- heit sich theils in der Entwicklung erhält, theils durch Uebung sich ausbildet, so ist es endlich eine besondere Verknüpfung, welche des Erlernens bedarf, um behalten zu werden. Und diese ist in allen Thätigkeiten, welche ihrem Wesen nach durch die eigenthümlich menschlichen Begabungen bedingt sind. Erlernung ist theils eigene Er- fahrung, theils Nachahmung, besonders aber Empfang von Weisung und Lehre, wie etwas gethan werden müsse, um richtig und gut zu sein, und welche Dinge und Wesen heilsam und werthvoll seien. Dies ist daher der wahre Schatz des Gedächtnisses: das Richtige und Gute zu wissen, um es zu lieben und zu thun. Denn es als solches wissen und bejahen, ist einerlei; wie etwas gewohnt sein und es bejahen einerlei ist; Gefallen an etwas haben und es be- jahen einerlei ist; obschon keine dieser Bejahungen für sich allein auch die entsprechenden Thätigkeiten als noth- wendige Folge hat, und auch ihre Verbindung nur, sofern sie die Widerstände überwindet. -- Der allgemeine Aus- druck des mentalen Lebens ist die Rede: Mittheilung eigener Empfindungen, Wünsche und aller möglichen in- tellectuellen Erfahrung an Andere, oder im stummen Den- ken, an sich selber. Und wenn auch die Sprache selber als das Wissen der Bedeutungen und des Werthes von Wortzeichen, wie als Fähigkeit, sie zu verbinden und zu gebrauchen, erlernt werden muss -- woran freilich Uebung und Gewöhnung den grössesten Antheil hat -- so ist doch (eben durch Besitz der Kunst) das Gesprochene wenig vom Denken und in der Regel nur von augen- blicklichem Gefallen, von Einfällen abhängig, deren Sinn aus dem Zustande des Redenden und aus den ge- gebenen Umständen hervorgeht; zumal aus der gestellten
Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. 8
reproduciren, und nun in den wissenschaftlichen Begriff verallgemeinert wird, als Fähigkeit zweckmässige Thätig- keiten zu wiederholen, so würde dies nicht verständlich sein, wenn man nicht wüsste, dass Eindrücke selber Thätig- keiten sind und dass diese Zwiefachheit im Begriffe des organischen Lebens, wovon alles besondere Leben Modifi- cationen darstellt, als der Einheit von Ernährung und Re- production unentwickelt enthalten ist. Wenn aber die Ein- heit sich theils in der Entwicklung erhält, theils durch Uebung sich ausbildet, so ist es endlich eine besondere Verknüpfung, welche des Erlernens bedarf, um behalten zu werden. Und diese ist in allen Thätigkeiten, welche ihrem Wesen nach durch die eigenthümlich menschlichen Begabungen bedingt sind. Erlernung ist theils eigene Er- fahrung, theils Nachahmung, besonders aber Empfang von Weisung und Lehre, wie etwas gethan werden müsse, um richtig und gut zu sein, und welche Dinge und Wesen heilsam und werthvoll seien. Dies ist daher der wahre Schatz des Gedächtnisses: das Richtige und Gute zu wissen, um es zu lieben und zu thun. Denn es als solches wissen und bejahen, ist einerlei; wie etwas gewohnt sein und es bejahen einerlei ist; Gefallen an etwas haben und es be- jahen einerlei ist; obschon keine dieser Bejahungen für sich allein auch die entsprechenden Thätigkeiten als noth- wendige Folge hat, und auch ihre Verbindung nur, sofern sie die Widerstände überwindet. — Der allgemeine Aus- druck des mentalen Lebens ist die Rede: Mittheilung eigener Empfindungen, Wünsche und aller möglichen in- tellectuellen Erfahrung an Andere, oder im stummen Den- ken, an sich selber. Und wenn auch die Sprache selber als das Wissen der Bedeutungen und des Werthes von Wortzeichen, wie als Fähigkeit, sie zu verbinden und zu gebrauchen, erlernt werden muss — woran freilich Uebung und Gewöhnung den grössesten Antheil hat — so ist doch (eben durch Besitz der Kunst) das Gesprochene wenig vom Denken und in der Regel nur von augen- blicklichem Gefallen, von Einfällen abhängig, deren Sinn aus dem Zustande des Redenden und aus den ge- gebenen Umständen hervorgeht; zumal aus der gestellten
Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. 8
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reproduciren, und nun in den wissenschaftlichen Begriff
verallgemeinert wird, als Fähigkeit zweckmässige Thätig-
keiten zu wiederholen, so würde dies nicht verständlich
sein, wenn man nicht wüsste, dass Eindrücke selber Thätig-
keiten sind und dass diese Zwiefachheit im Begriffe des
organischen Lebens, wovon alles besondere Leben Modifi-
cationen darstellt, als der Einheit von Ernährung und Re-
production unentwickelt enthalten ist. Wenn aber die Ein-
heit sich theils in der Entwicklung erhält, theils durch
Uebung sich ausbildet, so ist es endlich eine besondere
Verknüpfung, welche des Erlernens bedarf, um behalten
zu werden. Und diese ist in allen Thätigkeiten, welche
ihrem Wesen nach durch die eigenthümlich menschlichen
Begabungen bedingt sind. Erlernung ist theils eigene Er-
fahrung, theils Nachahmung, besonders aber Empfang von
Weisung und Lehre, wie etwas gethan werden müsse, um
richtig und gut zu sein, und welche Dinge und Wesen
heilsam und werthvoll seien. Dies ist daher der wahre
Schatz des Gedächtnisses: das Richtige und Gute zu wissen,
um es zu lieben und zu thun. Denn es als solches wissen
und bejahen, ist einerlei; wie etwas gewohnt sein und es
bejahen einerlei ist; Gefallen an etwas haben und es be-
jahen einerlei ist; obschon keine dieser Bejahungen für
sich allein auch die entsprechenden Thätigkeiten als noth-
wendige Folge hat, und auch ihre Verbindung nur, sofern
sie die Widerstände überwindet. — Der allgemeine Aus-
druck des mentalen Lebens ist die Rede: Mittheilung
eigener Empfindungen, Wünsche und aller möglichen in-
tellectuellen Erfahrung an Andere, oder im stummen Den-
ken, an sich selber. Und wenn auch die Sprache selber
als das Wissen der Bedeutungen und des Werthes von
Wortzeichen, wie als Fähigkeit, sie zu verbinden und zu
gebrauchen, erlernt werden muss — woran freilich Uebung
und Gewöhnung den grössesten Antheil hat — so ist
doch (eben durch Besitz der Kunst) das Gesprochene
wenig vom Denken und in der Regel nur von augen-
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Sinn aus dem Zustande des Redenden und aus den ge-
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/149>, abgerufen am 24.11.2024.
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