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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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änderte Werkzeuge, vermehrten Verkehr sich selbst zer-
setzt, so ist die durch den Handel hervorgerufene Industrie
in ihrer ersten Phase ländlich, wenn auch im Widerspruch
mit ihrer Herkunft und inneren Tendenz. Diese vorwiegend
ländliche Industrie ist die Haus-Industrie. Die Abhängig-
keit des Bauern oder Tagelöhners von einem Herrn, die
Pflicht zu frohnden und die Sorge für den eigenen Acker
hindert ihn nicht, in der Winterhälfte des Jahres reichliche
freie Zeit zu haben, welche er in hergebrachter Weise,
sammt Weib und Kindern, zur Ausübung der alten Haus-
haltungskünste, unter denen Spinnen und Weben die ge-
wöhnlichsten sind, anzuwenden pflegt, für eigenen und dem
eigenen nahen Bedarf, hin und wieder auch für den städ-
tischen Markt, oder für den hausirenden Kaufmann. Dieser,
als Kenner des Marktes, und fähig auch entfernten zu er-
reichen, findet hier die ergiebigste Quelle der Werthbildung.
Wenn der Kaufmann dem hausindustriellen Arbeiter Stoffe,
Geräthe, Muster liefert, endlich auch Lebensmittel ihm vor-
schiessen muss, so bleibt demselben nur noch etwa die
heimische Werkstatt als sein Eigenes, was er ausser seinen
Händen und etwa seiner Geschicklichkeit für die Produc-
tion mitbringt. Aber die Einheit von Wohn- und Werk-
stätte ist hier nichts mehr als zufällig. Im Handwerk von
selbständiger Art bleibt sie natürlich, wenn auch nicht
nothwendig; wird von dem Arbeitenden selber als nützliche
und angenehme Unabhängigkeit errungen und behalten, wo
immer die Natur des Gewerkes sie gestattet. Dort mag sie
noch so erwünscht sein, so hängt sie doch nicht mehr von
seinem Willen ab, sondern in zunehmendem Grade von
dem Belieben des Kaufmanns, der sie wenn auch als be-
schwerlich duldet, so lange, bis die Vortheile der Ver-
einigung seiner Einzelnen und ihrer Gruppen in grossen
Etablissements ihre Kosten zu überwiegen scheinen. Die
allgemeinen Vortheile sind: leichtere, zwingendere Aufsicht,
raschere planmässigere Cooperation getrennter oder trenn-
barer Processe derselben Arbeitsmasse, Möglichkeit, die
ganze Production ihrem wichtigsten Markte näher zu brin-
gen. Aber entscheidend hierfür und die gesonderte, ver-
einigende Arbeitsstätte nothwendig machend, wird erst die

änderte Werkzeuge, vermehrten Verkehr sich selbst zer-
setzt, so ist die durch den Handel hervorgerufene Industrie
in ihrer ersten Phase ländlich, wenn auch im Widerspruch
mit ihrer Herkunft und inneren Tendenz. Diese vorwiegend
ländliche Industrie ist die Haus-Industrie. Die Abhängig-
keit des Bauern oder Tagelöhners von einem Herrn, die
Pflicht zu frohnden und die Sorge für den eigenen Acker
hindert ihn nicht, in der Winterhälfte des Jahres reichliche
freie Zeit zu haben, welche er in hergebrachter Weise,
sammt Weib und Kindern, zur Ausübung der alten Haus-
haltungskünste, unter denen Spinnen und Weben die ge-
wöhnlichsten sind, anzuwenden pflegt, für eigenen und dem
eigenen nahen Bedarf, hin und wieder auch für den städ-
tischen Markt, oder für den hausirenden Kaufmann. Dieser,
als Kenner des Marktes, und fähig auch entfernten zu er-
reichen, findet hier die ergiebigste Quelle der Werthbildung.
Wenn der Kaufmann dem hausindustriellen Arbeiter Stoffe,
Geräthe, Muster liefert, endlich auch Lebensmittel ihm vor-
schiessen muss, so bleibt demselben nur noch etwa die
heimische Werkstatt als sein Eigenes, was er ausser seinen
Händen und etwa seiner Geschicklichkeit für die Produc-
tion mitbringt. Aber die Einheit von Wohn- und Werk-
stätte ist hier nichts mehr als zufällig. Im Handwerk von
selbständiger Art bleibt sie natürlich, wenn auch nicht
nothwendig; wird von dem Arbeitenden selber als nützliche
und angenehme Unabhängigkeit errungen und behalten, wo
immer die Natur des Gewerkes sie gestattet. Dort mag sie
noch so erwünscht sein, so hängt sie doch nicht mehr von
seinem Willen ab, sondern in zunehmendem Grade von
dem Belieben des Kaufmanns, der sie wenn auch als be-
schwerlich duldet, so lange, bis die Vortheile der Ver-
einigung seiner Einzelnen und ihrer Gruppen in grossen
Etablissements ihre Kosten zu überwiegen scheinen. Die
allgemeinen Vortheile sind: leichtere, zwingendere Aufsicht,
raschere planmässigere Cooperation getrennter oder trenn-
barer Processe derselben Arbeitsmasse, Möglichkeit, die
ganze Production ihrem wichtigsten Markte näher zu brin-
gen. Aber entscheidend hierfür und die gesonderte, ver-
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[77/0113] änderte Werkzeuge, vermehrten Verkehr sich selbst zer- setzt, so ist die durch den Handel hervorgerufene Industrie in ihrer ersten Phase ländlich, wenn auch im Widerspruch mit ihrer Herkunft und inneren Tendenz. Diese vorwiegend ländliche Industrie ist die Haus-Industrie. Die Abhängig- keit des Bauern oder Tagelöhners von einem Herrn, die Pflicht zu frohnden und die Sorge für den eigenen Acker hindert ihn nicht, in der Winterhälfte des Jahres reichliche freie Zeit zu haben, welche er in hergebrachter Weise, sammt Weib und Kindern, zur Ausübung der alten Haus- haltungskünste, unter denen Spinnen und Weben die ge- wöhnlichsten sind, anzuwenden pflegt, für eigenen und dem eigenen nahen Bedarf, hin und wieder auch für den städ- tischen Markt, oder für den hausirenden Kaufmann. Dieser, als Kenner des Marktes, und fähig auch entfernten zu er- reichen, findet hier die ergiebigste Quelle der Werthbildung. Wenn der Kaufmann dem hausindustriellen Arbeiter Stoffe, Geräthe, Muster liefert, endlich auch Lebensmittel ihm vor- schiessen muss, so bleibt demselben nur noch etwa die heimische Werkstatt als sein Eigenes, was er ausser seinen Händen und etwa seiner Geschicklichkeit für die Produc- tion mitbringt. Aber die Einheit von Wohn- und Werk- stätte ist hier nichts mehr als zufällig. Im Handwerk von selbständiger Art bleibt sie natürlich, wenn auch nicht nothwendig; wird von dem Arbeitenden selber als nützliche und angenehme Unabhängigkeit errungen und behalten, wo immer die Natur des Gewerkes sie gestattet. Dort mag sie noch so erwünscht sein, so hängt sie doch nicht mehr von seinem Willen ab, sondern in zunehmendem Grade von dem Belieben des Kaufmanns, der sie wenn auch als be- schwerlich duldet, so lange, bis die Vortheile der Ver- einigung seiner Einzelnen und ihrer Gruppen in grossen Etablissements ihre Kosten zu überwiegen scheinen. Die allgemeinen Vortheile sind: leichtere, zwingendere Aufsicht, raschere planmässigere Cooperation getrennter oder trenn- barer Processe derselben Arbeitsmasse, Möglichkeit, die ganze Production ihrem wichtigsten Markte näher zu brin- gen. Aber entscheidend hierfür und die gesonderte, ver- einigende Arbeitsstätte nothwendig machend, wird erst die

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/113>, abgerufen am 24.11.2024.