Jch sireite nicht durch meine Kraft, Gott! laß es mir gelingen! Du bist es, welcher beides schaft, Das Wollen und Vollbringen.
Kan auch die erhabenste Weltweisheit, ohnerachtet sie heller siehet, als alle von Menschen geschmiedete Religionen, kan sie die Beruhigung, den Sieg im Leiden und Sterben verschaffen, zu welchem die Lehre Jesu uns Mittel und Kräfte anbeut? Jch habe Lust abzuscheiden: rasend wer es sagt, wenn er nicht hinzu- setzen kan: und bei Christo zu seyn.
Der Christ im Tode ein Held; der Unchrist eine Memme: dieser Erfahrungssatz leidet wenig Ausnahme. Als Philo- soph wilst du sterben? Armer Mensch! dann wird dein Tod sehr schüchtern oder zurückhaltend seyn. Folgende Gedanken werden dich ergreifen als ein Wirbelwind. "Wie mag eigentlich der dunkle &q;Weg beschaffen seyn, den ich jetzt betreten soll? Mein Leben -- &q;reuet mich zwar nicht -- aber besser, weit besser konte es doch &q;seyn! Die bange Ungewißheit der Zukunft wegen, und der hef- &q;tige Schmerz der Krankheit erlauben mir es nicht, so muthig zu &q;sterben, als ich es dachte. Wahrhaftig, dazu gehöret viel! &q;Schlüsse aber kan man jetzt nicht machen, und witzige Einfälle &q;nehmen die Flucht. Was muß doch den guten Leuten, den &q;Christen solche Dreistigkeit beibringen? Ob ihnen denn im Tode &q;nicht Zweifel einfallen, wie mir? Sie sagen, sie ahmen Jesu &q;nach: aber, wer kan so ruhig sterben, wie er! Sein Verhal- &q;ten im Tode war -- übermenschlich. So wie er wünschte ich &q;mir jetzt wol zu sterben; denn er war doch ein kluger und tu- &q;gendhafter Mann. Wenn man ihn nur nicht für Gottes Sohn
&q;halten
Der 18te Junius.
Jch ſireite nicht durch meine Kraft, Gott! laß es mir gelingen! Du biſt es, welcher beides ſchaft, Das Wollen und Vollbringen.
Kan auch die erhabenſte Weltweisheit, ohnerachtet ſie heller ſiehet, als alle von Menſchen geſchmiedete Religionen, kan ſie die Beruhigung, den Sieg im Leiden und Sterben verſchaffen, zu welchem die Lehre Jeſu uns Mittel und Kraͤfte anbeut? Jch habe Luſt abzuſcheiden: raſend wer es ſagt, wenn er nicht hinzu- ſetzen kan: und bei Chriſto zu ſeyn.
Der Chriſt im Tode ein Held; der Unchriſt eine Memme: dieſer Erfahrungsſatz leidet wenig Ausnahme. Als Philo- ſoph wilſt du ſterben? Armer Menſch! dann wird dein Tod ſehr ſchuͤchtern oder zuruͤckhaltend ſeyn. Folgende Gedanken werden dich ergreifen als ein Wirbelwind. „Wie mag eigentlich der dunkle &q;Weg beſchaffen ſeyn, den ich jetzt betreten ſoll? Mein Leben — &q;reuet mich zwar nicht — aber beſſer, weit beſſer konte es doch &q;ſeyn! Die bange Ungewißheit der Zukunft wegen, und der hef- &q;tige Schmerz der Krankheit erlauben mir es nicht, ſo muthig zu &q;ſterben, als ich es dachte. Wahrhaftig, dazu gehoͤret viel! &q;Schluͤſſe aber kan man jetzt nicht machen, und witzige Einfaͤlle &q;nehmen die Flucht. Was muß doch den guten Leuten, den &q;Chriſten ſolche Dreiſtigkeit beibringen? Ob ihnen denn im Tode &q;nicht Zweifel einfallen, wie mir? Sie ſagen, ſie ahmen Jeſu &q;nach: aber, wer kan ſo ruhig ſterben, wie er! Sein Verhal- &q;ten im Tode war — uͤbermenſchlich. So wie er wuͤnſchte ich &q;mir jetzt wol zu ſterben; denn er war doch ein kluger und tu- &q;gendhafter Mann. Wenn man ihn nur nicht fuͤr Gottes Sohn
&q;halten
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[351[381]/0388]
Der 18te Junius.
Jch ſireite nicht durch meine Kraft,
Gott! laß es mir gelingen!
Du biſt es, welcher beides ſchaft,
Das Wollen und Vollbringen.
Kan auch die erhabenſte Weltweisheit, ohnerachtet ſie heller
ſiehet, als alle von Menſchen geſchmiedete Religionen, kan
ſie die Beruhigung, den Sieg im Leiden und Sterben verſchaffen,
zu welchem die Lehre Jeſu uns Mittel und Kraͤfte anbeut? Jch
habe Luſt abzuſcheiden: raſend wer es ſagt, wenn er nicht hinzu-
ſetzen kan: und bei Chriſto zu ſeyn.
Der Chriſt im Tode ein Held; der Unchriſt eine
Memme: dieſer Erfahrungsſatz leidet wenig Ausnahme. Als Philo-
ſoph wilſt du ſterben? Armer Menſch! dann wird dein Tod ſehr
ſchuͤchtern oder zuruͤckhaltend ſeyn. Folgende Gedanken werden
dich ergreifen als ein Wirbelwind. „Wie mag eigentlich der dunkle
&q;Weg beſchaffen ſeyn, den ich jetzt betreten ſoll? Mein Leben —
&q;reuet mich zwar nicht — aber beſſer, weit beſſer konte es doch
&q;ſeyn! Die bange Ungewißheit der Zukunft wegen, und der hef-
&q;tige Schmerz der Krankheit erlauben mir es nicht, ſo muthig zu
&q;ſterben, als ich es dachte. Wahrhaftig, dazu gehoͤret viel!
&q;Schluͤſſe aber kan man jetzt nicht machen, und witzige Einfaͤlle
&q;nehmen die Flucht. Was muß doch den guten Leuten, den
&q;Chriſten ſolche Dreiſtigkeit beibringen? Ob ihnen denn im Tode
&q;nicht Zweifel einfallen, wie mir? Sie ſagen, ſie ahmen Jeſu
&q;nach: aber, wer kan ſo ruhig ſterben, wie er! Sein Verhal-
&q;ten im Tode war — uͤbermenſchlich. So wie er wuͤnſchte ich
&q;mir jetzt wol zu ſterben; denn er war doch ein kluger und tu-
&q;gendhafter Mann. Wenn man ihn nur nicht fuͤr Gottes Sohn
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 351[381]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/388>, abgerufen am 22.11.2024.
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