Blut, können nur durch eine lange Reihe von Tugenden wieder gehoben werden. Ein grosser Thor kan sein Geschlecht mehr be- flecken, als zehn Weise wieder abwischen können.
Was wollen wir hiezu sagen? Handelt Gott nicht gerecht? Kan er natürliche Folgen der Laster ohne ein Wunderwerk auf- heben? Wie soll er die Zeitgenossen zwingen, daß sie den unge- rechten Wuchrer nicht verabscheuen, und ihren Kindern ihren da- bei erlittenen Verlust erzählen? Soll er dem schwindsüchtigen Kinde der ärgerlichen Mutter oder des Trunkenbolds, eine neue Lunge schaffen? Der viehische Vater schlug den Sohn zum Krüp- pel: wie soll dem abgeholfen werden? Nein! der Allweise kehret die Ordnung der Natur nicht um. Entweder verdienen die Nach- kommen diese Strafen auch; oder sie werden schadlos gehalten durch ein zufriednes, frommes Gemüth, durch größre Furcht vor Sünden, und durch den Anblick des Himmels. Dazu kommt noch, daß diese Strafen ein Damm sind, gegen den immer mehr um sich reissenden Strom angeerbter Laster.
Vieleicht wäre ich auch gesünder, reicher, geehrter und glücklicher, wenn meine Voreltern bis ins dritte und vierte Glied tugendhafter gelebet hätten! Jch bin ein Denkmal ihres Wan- dels; untrieglicher, als ihr Epitaphium, oder als das zweizün- gigte Gerücht! Jch will aber nicht murren, nicht richten, denn das alles und weit mehr habe ich mit meinen eigenen Sünden bei Gott verdienet. Furcht vor Gott begleite meinen Wandel: denn ich sündige nicht blos für mich, sondern auch auf Rechnung mei- ner Nachkommen. Diese Unschuldigen erben entweder Segen oder Fluch von meinen Handlungen. O! so will ich mich denn immer mehr hüten, daß ich in keine Sünde willige. Stärk mich dazu, heiliger und gerechter, aber auch gnädiger und belohnender Gott! der du wohlthust bis ins tausende Glied, und jeden heutigen gu- ten Gedanken noch nach Millionen der Jahre belohnst!
Der
Der 3te Mai.
Blut, koͤnnen nur durch eine lange Reihe von Tugenden wieder gehoben werden. Ein groſſer Thor kan ſein Geſchlecht mehr be- flecken, als zehn Weiſe wieder abwiſchen koͤnnen.
Was wollen wir hiezu ſagen? Handelt Gott nicht gerecht? Kan er natuͤrliche Folgen der Laſter ohne ein Wunderwerk auf- heben? Wie ſoll er die Zeitgenoſſen zwingen, daß ſie den unge- rechten Wuchrer nicht verabſcheuen, und ihren Kindern ihren da- bei erlittenen Verluſt erzaͤhlen? Soll er dem ſchwindſuͤchtigen Kinde der aͤrgerlichen Mutter oder des Trunkenbolds, eine neue Lunge ſchaffen? Der viehiſche Vater ſchlug den Sohn zum Kruͤp- pel: wie ſoll dem abgeholfen werden? Nein! der Allweiſe kehret die Ordnung der Natur nicht um. Entweder verdienen die Nach- kommen dieſe Strafen auch; oder ſie werden ſchadlos gehalten durch ein zufriednes, frommes Gemuͤth, durch groͤßre Furcht vor Suͤnden, und durch den Anblick des Himmels. Dazu kommt noch, daß dieſe Strafen ein Damm ſind, gegen den immer mehr um ſich reiſſenden Strom angeerbter Laſter.
Vieleicht waͤre ich auch geſuͤnder, reicher, geehrter und gluͤcklicher, wenn meine Voreltern bis ins dritte und vierte Glied tugendhafter gelebet haͤtten! Jch bin ein Denkmal ihres Wan- dels; untrieglicher, als ihr Epitaphium, oder als das zweizuͤn- gigte Geruͤcht! Jch will aber nicht murren, nicht richten, denn das alles und weit mehr habe ich mit meinen eigenen Suͤnden bei Gott verdienet. Furcht vor Gott begleite meinen Wandel: denn ich ſuͤndige nicht blos fuͤr mich, ſondern auch auf Rechnung mei- ner Nachkommen. Dieſe Unſchuldigen erben entweder Segen oder Fluch von meinen Handlungen. O! ſo will ich mich denn immer mehr huͤten, daß ich in keine Suͤnde willige. Staͤrk mich dazu, heiliger und gerechter, aber auch gnaͤdiger und belohnender Gott! der du wohlthuſt bis ins tauſende Glied, und jeden heutigen gu- ten Gedanken noch nach Millionen der Jahre belohnſt!
Der
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Der 3te Mai.
Blut, koͤnnen nur durch eine lange Reihe von Tugenden wieder
gehoben werden. Ein groſſer Thor kan ſein Geſchlecht mehr be-
flecken, als zehn Weiſe wieder abwiſchen koͤnnen.
Was wollen wir hiezu ſagen? Handelt Gott nicht gerecht?
Kan er natuͤrliche Folgen der Laſter ohne ein Wunderwerk auf-
heben? Wie ſoll er die Zeitgenoſſen zwingen, daß ſie den unge-
rechten Wuchrer nicht verabſcheuen, und ihren Kindern ihren da-
bei erlittenen Verluſt erzaͤhlen? Soll er dem ſchwindſuͤchtigen
Kinde der aͤrgerlichen Mutter oder des Trunkenbolds, eine neue
Lunge ſchaffen? Der viehiſche Vater ſchlug den Sohn zum Kruͤp-
pel: wie ſoll dem abgeholfen werden? Nein! der Allweiſe kehret
die Ordnung der Natur nicht um. Entweder verdienen die Nach-
kommen dieſe Strafen auch; oder ſie werden ſchadlos gehalten
durch ein zufriednes, frommes Gemuͤth, durch groͤßre Furcht vor
Suͤnden, und durch den Anblick des Himmels. Dazu kommt
noch, daß dieſe Strafen ein Damm ſind, gegen den immer mehr
um ſich reiſſenden Strom angeerbter Laſter.
Vieleicht waͤre ich auch geſuͤnder, reicher, geehrter und
gluͤcklicher, wenn meine Voreltern bis ins dritte und vierte Glied
tugendhafter gelebet haͤtten! Jch bin ein Denkmal ihres Wan-
dels; untrieglicher, als ihr Epitaphium, oder als das zweizuͤn-
gigte Geruͤcht! Jch will aber nicht murren, nicht richten, denn
das alles und weit mehr habe ich mit meinen eigenen Suͤnden bei
Gott verdienet. Furcht vor Gott begleite meinen Wandel: denn
ich ſuͤndige nicht blos fuͤr mich, ſondern auch auf Rechnung mei-
ner Nachkommen. Dieſe Unſchuldigen erben entweder Segen oder
Fluch von meinen Handlungen. O! ſo will ich mich denn immer
mehr huͤten, daß ich in keine Suͤnde willige. Staͤrk mich dazu,
heiliger und gerechter, aber auch gnaͤdiger und belohnender Gott!
der du wohlthuſt bis ins tauſende Glied, und jeden heutigen gu-
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 258[288]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/295>, abgerufen am 25.11.2024.
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