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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 30te April.
Lebe, wie du, wann du stirbst,
Wünschen wirst, gelebt zu haben,
Güter, die du hier erwirbst,
Würden, die dir Menschen gaben;
Nichts wird dich im Tod erfreun:
Diese Güter sind nicht dein.


Hiemit beschliesse ich abermals eine Saatzeit: der Landmann
wird von der seinigen ernten: was aber habe ich von der
Aussaat dieses Monats zu hoffen? denn wieviel könte und
solte ich nicht in einem Monate für die Ewigkeit aussäen? Wehe
mir, wenn ich nichts als Speise und Trank, oder einige schale
Neuigkeiten eingeerntet habe. Alle diese Güter sind nicht mein,
und sind ein taubes Samenkorn. Was mir die Erde bei meinem
Tode wieder abfodern kan, das ist fremdes Gut oder vielmehr
Ballast für mich. Ob ich also in dem abgewichnen Monate so
viel verzehret habe, als hinlänglich gewesen wäre, zehn arme Fa-
milien erquickend zu unterhalten; ob mein Hausrath prächtiger,
mein Garten sehenswürdiger, und meine Weltkentnisse grösser ge-
worden sind: das alles sind die kleinsten Nebendinge meines Be-
rufs. Ein einziges kindliches Gebet zu Gott, der Dank eines
armen und der Beifall eines rechtschafnen Christen, sind mehr
werth als alles das: denn sie werden -- von mir gefodert.

Ein Monat, welche geranme Zeit! Tausend derselben darf
ich mir nicht versprechen, und kaum die Hälfte davon kan ich hof-
fen bei reifem Verstande durchzuleben; denn ich bin ein Geschöpf
von gestern her, und werde morgen nicht mehr seyn. Solte ich
mit meiner Aussaat nicht eilen? Aber das gierige Herz will hier

immer
Q 5


Der 30te April.
Lebe, wie du, wann du ſtirbſt,
Wuͤnſchen wirſt, gelebt zu haben,
Guͤter, die du hier erwirbſt,
Wuͤrden, die dir Menſchen gaben;
Nichts wird dich im Tod erfreun:
Dieſe Guͤter ſind nicht dein.


Hiemit beſchlieſſe ich abermals eine Saatzeit: der Landmann
wird von der ſeinigen ernten: was aber habe ich von der
Ausſaat dieſes Monats zu hoffen? denn wieviel koͤnte und
ſolte ich nicht in einem Monate fuͤr die Ewigkeit ausſaͤen? Wehe
mir, wenn ich nichts als Speiſe und Trank, oder einige ſchale
Neuigkeiten eingeerntet habe. Alle dieſe Guͤter ſind nicht mein,
und ſind ein taubes Samenkorn. Was mir die Erde bei meinem
Tode wieder abfodern kan, das iſt fremdes Gut oder vielmehr
Ballaſt fuͤr mich. Ob ich alſo in dem abgewichnen Monate ſo
viel verzehret habe, als hinlaͤnglich geweſen waͤre, zehn arme Fa-
milien erquickend zu unterhalten; ob mein Hausrath praͤchtiger,
mein Garten ſehenswuͤrdiger, und meine Weltkentniſſe groͤſſer ge-
worden ſind: das alles ſind die kleinſten Nebendinge meines Be-
rufs. Ein einziges kindliches Gebet zu Gott, der Dank eines
armen und der Beifall eines rechtſchafnen Chriſten, ſind mehr
werth als alles das: denn ſie werden — von mir gefodert.

Ein Monat, welche geranme Zeit! Tauſend derſelben darf
ich mir nicht verſprechen, und kaum die Haͤlfte davon kan ich hof-
fen bei reifem Verſtande durchzuleben; denn ich bin ein Geſchoͤpf
von geſtern her, und werde morgen nicht mehr ſeyn. Solte ich
mit meiner Ausſaat nicht eilen? Aber das gierige Herz will hier

immer
Q 5
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[249[279]/0286] Der 30te April. Lebe, wie du, wann du ſtirbſt, Wuͤnſchen wirſt, gelebt zu haben, Guͤter, die du hier erwirbſt, Wuͤrden, die dir Menſchen gaben; Nichts wird dich im Tod erfreun: Dieſe Guͤter ſind nicht dein. Hiemit beſchlieſſe ich abermals eine Saatzeit: der Landmann wird von der ſeinigen ernten: was aber habe ich von der Ausſaat dieſes Monats zu hoffen? denn wieviel koͤnte und ſolte ich nicht in einem Monate fuͤr die Ewigkeit ausſaͤen? Wehe mir, wenn ich nichts als Speiſe und Trank, oder einige ſchale Neuigkeiten eingeerntet habe. Alle dieſe Guͤter ſind nicht mein, und ſind ein taubes Samenkorn. Was mir die Erde bei meinem Tode wieder abfodern kan, das iſt fremdes Gut oder vielmehr Ballaſt fuͤr mich. Ob ich alſo in dem abgewichnen Monate ſo viel verzehret habe, als hinlaͤnglich geweſen waͤre, zehn arme Fa- milien erquickend zu unterhalten; ob mein Hausrath praͤchtiger, mein Garten ſehenswuͤrdiger, und meine Weltkentniſſe groͤſſer ge- worden ſind: das alles ſind die kleinſten Nebendinge meines Be- rufs. Ein einziges kindliches Gebet zu Gott, der Dank eines armen und der Beifall eines rechtſchafnen Chriſten, ſind mehr werth als alles das: denn ſie werden — von mir gefodert. Ein Monat, welche geranme Zeit! Tauſend derſelben darf ich mir nicht verſprechen, und kaum die Haͤlfte davon kan ich hof- fen bei reifem Verſtande durchzuleben; denn ich bin ein Geſchoͤpf von geſtern her, und werde morgen nicht mehr ſeyn. Solte ich mit meiner Ausſaat nicht eilen? Aber das gierige Herz will hier immer Q 5

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 249[279]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/286>, abgerufen am 24.11.2024.