Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.Der 16te April. von Goldklumpen ab, so müßte der allergrößte Theil des mensch-lichen Geschlechts sein schmachtendes Leben in Trauer verbringen. So aber sind mehrere vergnügt, die auf der Kutsche stehen, als die darin sitzen; und am vergnügtesten leben diejenigen, welche gar keine zu sehen bekommen. Dürftiges Auskommen, aber ohne Schulden, dabei kan man allen Prunk entbehren, und flüßiges gesundes Blut haben. Den Landleuten fält es nicht ein, grosse Welt zu spielen; oder wenn sie es thäten, so würde es ihnen sauer, und sie thäten es zum Spott. Die grosse Welt aber kan sich nicht schöner erlustigen, als wenn sie, nach abgeworfnem Zwang, das Landleben kopirt, und ihren Marmorsaal mit Hain und wei- chen Rasen vertauscht. Seufzer gehören nur für den, der da- für bezahlet wird: wem die Vorsicht wenig Glücksgüter gab von dem fodert sie auch wenige Seufzer. Thörigtes Herz! laß dich begnügen, wenn du Nahrung und Laß mich, Allgenugsamer! jeden Tag mein beschiedenes Theil Der
Der 16te April. von Goldklumpen ab, ſo muͤßte der allergroͤßte Theil des menſch-lichen Geſchlechts ſein ſchmachtendes Leben in Trauer verbringen. So aber ſind mehrere vergnuͤgt, die auf der Kutſche ſtehen, als die darin ſitzen; und am vergnuͤgteſten leben diejenigen, welche gar keine zu ſehen bekommen. Duͤrftiges Auskommen, aber ohne Schulden, dabei kan man allen Prunk entbehren, und fluͤßiges geſundes Blut haben. Den Landleuten faͤlt es nicht ein, groſſe Welt zu ſpielen; oder wenn ſie es thaͤten, ſo wuͤrde es ihnen ſauer, und ſie thaͤten es zum Spott. Die groſſe Welt aber kan ſich nicht ſchoͤner erluſtigen, als wenn ſie, nach abgeworfnem Zwang, das Landleben kopirt, und ihren Marmorſaal mit Hain und wei- chen Raſen vertauſcht. Seufzer gehoͤren nur fuͤr den, der da- fuͤr bezahlet wird: wem die Vorſicht wenig Gluͤcksguͤter gab von dem fodert ſie auch wenige Seufzer. Thoͤrigtes Herz! laß dich begnuͤgen, wenn du Nahrung und Laß mich, Allgenugſamer! jeden Tag mein beſchiedenes Theil Der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0259" n="222[252]"/><fw place="top" type="header">Der 16<hi rendition="#sup">te</hi> April.</fw><lb/> von Goldklumpen ab, ſo muͤßte der allergroͤßte Theil des menſch-<lb/> lichen Geſchlechts ſein ſchmachtendes Leben in Trauer verbringen.<lb/> So aber ſind mehrere vergnuͤgt, die auf der Kutſche ſtehen, als<lb/> die darin ſitzen; und am vergnuͤgteſten leben diejenigen, welche<lb/> gar keine zu ſehen bekommen. Duͤrftiges Auskommen, aber ohne<lb/> Schulden, dabei kan man allen Prunk entbehren, und fluͤßiges<lb/> geſundes Blut haben. Den Landleuten faͤlt es nicht ein, groſſe<lb/> Welt zu ſpielen; oder wenn ſie es thaͤten, ſo wuͤrde es ihnen ſauer,<lb/> und ſie thaͤten es zum Spott. Die groſſe Welt aber kan ſich<lb/> nicht ſchoͤner erluſtigen, als wenn ſie, nach abgeworfnem Zwang,<lb/> das Landleben kopirt, und ihren Marmorſaal mit Hain und wei-<lb/> chen Raſen vertauſcht. Seufzer gehoͤren nur fuͤr den, der da-<lb/> fuͤr bezahlet wird: wem die Vorſicht wenig Gluͤcksguͤter gab von<lb/> dem fodert ſie auch wenige Seufzer.</p><lb/> <p>Thoͤrigtes Herz! laß dich begnuͤgen, wenn du Nahrung und<lb/> Kleider haſt. Ein Ungenuͤgſamer iſt es in allen Staͤnden. Jm<lb/> Kittel betrachtet er muͤrriſch die glaͤnzende Geſellſchaft auf dem<lb/> Altan, und weiß nicht, daß Einer ſeiner Mitbruͤder im Mißver-<lb/> gnuͤgen, mitten unter ſeinem erzwungnen Lachen (eine ſaure Ar-<lb/> beit, welche der gemeine Mann nicht kennet!) auf ihn eiferſuͤchtig<lb/> herabſchielt. Dieſer bordirte Ungenuͤgſame aber iſt noch elender<lb/> dran; ſein Neid findet allenthalben Nahrung. Er beneidet den<lb/> Tageloͤhner ſeiner rothen Wangen, und den Kapitaliſten ſeines<lb/> Geſpanns Pferde wegen. Der Allguͤtige gab allen genug. Auf<lb/> die Wagſchale des Armen legte er Geſundheit, etwas Einfalt und<lb/> Genuͤgſamkeit: ſo wog ſie Stammbaͤumen und Landguͤtern gleich.</p><lb/> <p>Laß mich, Allgenugſamer! jeden Tag mein beſchiedenes Theil<lb/> mit Dank und Freude dahin nehmen. Zu groſſe Armuth und zu<lb/> groſſer Reichthum verſcheuchen den Schlaf. Bin ich nur mit dir<lb/> zufrieden: o! ſo bin ich mehr als reich. Ja, Vater! ich bin zufrie-<lb/> den, und will jetzt dankbar und ruhig in deinen Armen ſchlafen.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [222[252]/0259]
Der 16te April.
von Goldklumpen ab, ſo muͤßte der allergroͤßte Theil des menſch-
lichen Geſchlechts ſein ſchmachtendes Leben in Trauer verbringen.
So aber ſind mehrere vergnuͤgt, die auf der Kutſche ſtehen, als
die darin ſitzen; und am vergnuͤgteſten leben diejenigen, welche
gar keine zu ſehen bekommen. Duͤrftiges Auskommen, aber ohne
Schulden, dabei kan man allen Prunk entbehren, und fluͤßiges
geſundes Blut haben. Den Landleuten faͤlt es nicht ein, groſſe
Welt zu ſpielen; oder wenn ſie es thaͤten, ſo wuͤrde es ihnen ſauer,
und ſie thaͤten es zum Spott. Die groſſe Welt aber kan ſich
nicht ſchoͤner erluſtigen, als wenn ſie, nach abgeworfnem Zwang,
das Landleben kopirt, und ihren Marmorſaal mit Hain und wei-
chen Raſen vertauſcht. Seufzer gehoͤren nur fuͤr den, der da-
fuͤr bezahlet wird: wem die Vorſicht wenig Gluͤcksguͤter gab von
dem fodert ſie auch wenige Seufzer.
Thoͤrigtes Herz! laß dich begnuͤgen, wenn du Nahrung und
Kleider haſt. Ein Ungenuͤgſamer iſt es in allen Staͤnden. Jm
Kittel betrachtet er muͤrriſch die glaͤnzende Geſellſchaft auf dem
Altan, und weiß nicht, daß Einer ſeiner Mitbruͤder im Mißver-
gnuͤgen, mitten unter ſeinem erzwungnen Lachen (eine ſaure Ar-
beit, welche der gemeine Mann nicht kennet!) auf ihn eiferſuͤchtig
herabſchielt. Dieſer bordirte Ungenuͤgſame aber iſt noch elender
dran; ſein Neid findet allenthalben Nahrung. Er beneidet den
Tageloͤhner ſeiner rothen Wangen, und den Kapitaliſten ſeines
Geſpanns Pferde wegen. Der Allguͤtige gab allen genug. Auf
die Wagſchale des Armen legte er Geſundheit, etwas Einfalt und
Genuͤgſamkeit: ſo wog ſie Stammbaͤumen und Landguͤtern gleich.
Laß mich, Allgenugſamer! jeden Tag mein beſchiedenes Theil
mit Dank und Freude dahin nehmen. Zu groſſe Armuth und zu
groſſer Reichthum verſcheuchen den Schlaf. Bin ich nur mit dir
zufrieden: o! ſo bin ich mehr als reich. Ja, Vater! ich bin zufrie-
den, und will jetzt dankbar und ruhig in deinen Armen ſchlafen.
Der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Weitere Informationen:Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |