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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 8te April.
Kan auch in Löwenklüften,
Ein Wandrer sicher seyn?
Wo Sünden Luft vergiften
Haucht man Verderben ein.


Um ein geruhiges und glückliches Leben zu führen, ist es nicht
genug, daß wir selbst still und tugendhaft wandeln. Die
gefährliche Verbindung mit Gottlosen
verstattet hier
noch keinen Himmel. Wir können allenfalls hindern, daß bei
uns keine Feuersbrunst ausbreche: ist aber unser Nachdar wild
und nachläßig, so sind wir vor dem Brande nicht sicher. Freilich
ist es besser, daß wir Schaden leiden, als Schaden zufügen: aber
wir mögten doch auch das erste gerne vermeiden.

Das Gewitter, welches die giftige Ausdünstungen der
Schandthaten zusammenziehen, trift uns leichtlich mit. Eine
wunderbare Errettung, wie Lot sie erfuhr, ist uns nicht verheissen.
Pest, Krieg, Hunger, welche ein üppiges Volk über sich herabruft,
können ohne ein Wunderwerk von der Hütte des Tugendhaften
nicht abgewiesen werden. Man kan also sagen, Gebete und Für-
bitten der Frommen sind den Staaten so vortheilhaft, als him-
melschreiende Laster der Gottlosen ihnen schädlich sind. Beide strei-
ten lange mit eiander, wie ehemals die Fürbitten Abrahams und
die Bosheiten Sodoms. Endlich aber brechen die Fluthen der
Missethaten den Damm durch, und nun sind Frevel und Un-
schuld in gleich grosser Gefahr zu ertrinken.

Es kan mir also nicht gleichgültig seyn, ob mein Nachbar die.
Rache oder die Erbarmung Gottes über unsre Gegend herabruf[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt].
Schlafen zu viele ein, und können Väter, Lehrer und redliche
Freunde nicht mehr wecken: so müßte entweder der Allgütige auch
einschlummern, und das Laster seinen Weg zur Hölle forte[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]len
lassen: oder er muß mit donnernder Stimme die Sichren wecken,

das


Der 8te April.
Kan auch in Loͤwenkluͤften,
Ein Wandrer ſicher ſeyn?
Wo Suͤnden Luft vergiften
Haucht man Verderben ein.


Um ein geruhiges und gluͤckliches Leben zu fuͤhren, iſt es nicht
genug, daß wir ſelbſt ſtill und tugendhaft wandeln. Die
gefaͤhrliche Verbindung mit Gottloſen
verſtattet hier
noch keinen Himmel. Wir koͤnnen allenfalls hindern, daß bei
uns keine Feuersbrunſt ausbreche: iſt aber unſer Nachdar wild
und nachlaͤßig, ſo ſind wir vor dem Brande nicht ſicher. Freilich
iſt es beſſer, daß wir Schaden leiden, als Schaden zufuͤgen: aber
wir moͤgten doch auch das erſte gerne vermeiden.

Das Gewitter, welches die giftige Ausduͤnſtungen der
Schandthaten zuſammenziehen, trift uns leichtlich mit. Eine
wunderbare Errettung, wie Lot ſie erfuhr, iſt uns nicht verheiſſen.
Peſt, Krieg, Hunger, welche ein uͤppiges Volk uͤber ſich herabruft,
koͤnnen ohne ein Wunderwerk von der Huͤtte des Tugendhaften
nicht abgewieſen werden. Man kan alſo ſagen, Gebete und Fuͤr-
bitten der Frommen ſind den Staaten ſo vortheilhaft, als him-
melſchreiende Laſter der Gottloſen ihnen ſchaͤdlich ſind. Beide ſtrei-
ten lange mit eiander, wie ehemals die Fuͤrbitten Abrahams und
die Bosheiten Sodoms. Endlich aber brechen die Fluthen der
Miſſethaten den Damm durch, und nun ſind Frevel und Un-
ſchuld in gleich groſſer Gefahr zu ertrinken.

Es kan mir alſo nicht gleichguͤltig ſeyn, ob mein Nachbar die.
Rache oder die Erbarmung Gottes uͤber unſre Gegend herabruf[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt].
Schlafen zu viele ein, und koͤnnen Vaͤter, Lehrer und redliche
Freunde nicht mehr wecken: ſo muͤßte entweder der Allguͤtige auch
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[205[235]/0242] Der 8te April. Kan auch in Loͤwenkluͤften, Ein Wandrer ſicher ſeyn? Wo Suͤnden Luft vergiften Haucht man Verderben ein. Um ein geruhiges und gluͤckliches Leben zu fuͤhren, iſt es nicht genug, daß wir ſelbſt ſtill und tugendhaft wandeln. Die gefaͤhrliche Verbindung mit Gottloſen verſtattet hier noch keinen Himmel. Wir koͤnnen allenfalls hindern, daß bei uns keine Feuersbrunſt ausbreche: iſt aber unſer Nachdar wild und nachlaͤßig, ſo ſind wir vor dem Brande nicht ſicher. Freilich iſt es beſſer, daß wir Schaden leiden, als Schaden zufuͤgen: aber wir moͤgten doch auch das erſte gerne vermeiden. Das Gewitter, welches die giftige Ausduͤnſtungen der Schandthaten zuſammenziehen, trift uns leichtlich mit. Eine wunderbare Errettung, wie Lot ſie erfuhr, iſt uns nicht verheiſſen. Peſt, Krieg, Hunger, welche ein uͤppiges Volk uͤber ſich herabruft, koͤnnen ohne ein Wunderwerk von der Huͤtte des Tugendhaften nicht abgewieſen werden. Man kan alſo ſagen, Gebete und Fuͤr- bitten der Frommen ſind den Staaten ſo vortheilhaft, als him- melſchreiende Laſter der Gottloſen ihnen ſchaͤdlich ſind. Beide ſtrei- ten lange mit eiander, wie ehemals die Fuͤrbitten Abrahams und die Bosheiten Sodoms. Endlich aber brechen die Fluthen der Miſſethaten den Damm durch, und nun ſind Frevel und Un- ſchuld in gleich groſſer Gefahr zu ertrinken. Es kan mir alſo nicht gleichguͤltig ſeyn, ob mein Nachbar die. Rache oder die Erbarmung Gottes uͤber unſre Gegend herabruf_. Schlafen zu viele ein, und koͤnnen Vaͤter, Lehrer und redliche Freunde nicht mehr wecken: ſo muͤßte entweder der Allguͤtige auch einſchlummern, und das Laſter ſeinen Weg zur Hoͤlle forte_len laſſen: oder er muß mit donnernder Stimme die Sichren wecken, das

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 205[235]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/242>, abgerufen am 22.11.2024.