Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Der 17te Februar.
Händen seines beleidigten Richtets überliefert! Nein! ich will
niemals einschlafen, und in die Hand Gottes fallen, wenn ich
mir ihn nicht durch herzliches Gebet zu meinem gnädigen Vater
gemacht habe! Ohne Gebet einschlummern, heißt sich auf Gnade
und Ungnade ergeben.

Da der Schlaf des Todes Bruder ist, so werden dermuth-
lich beim natürlichen Tode die Ideen auch allgemach dunkler, und
niemand kan sagen: in diesem Augenblicke sterbe ich. Aber eben
diese Verdunkelung der Begriffe macht die Bekehrung in den letz-
ten Stunden verdächtig. Es ist wie mit unsern Gedanken beim
Einschlummern; wir denken, ja wir reden auch wol: aber ohne
sonderliches Bewußtseyn, und am Morgen ist alles vergessen.
Und wehe der Bekehrung, welcher sich die Seele in jener Welt
nicht mehr bewußt ist!

Der Zeitpunkt, wo wir einschlafen und sterben, ist sich
wahrscheinlich auch darin ähnlich, daß er uns nichts unangeneh-
mes empfinden läßt. Die vorhergegangene Müdigkeit und
Krankheit sind nun überstanden. Wir mögen Augen und Mund
verdrehen, wie wir wollen: wir wissen von nichts, sondern fallen
unvermerkt Gott anheim. Wie gräßlich ist der Schlaf mancher
Menschen, welche schnarchen, winseln, mit den Zähnen knirschen,
und dem ohnerachtet ruhig schlafen und angenehm träumen! So
ist hoffentlich der Sterbende auch. Die Umstehenden sollen nach
Gottes Absichten erschrecken und beten: der Kranke aber schlum-
mert unter seinen Verzuckungen fort.

Hüter Israels! der du nicht einschläfst noch schlummerst!
dessen allwissende Gedanken in Ewigkeit nicht verdunkelt werden!
Ach! wie unmerklich und süß schlief mein Gewissen so oftmals ein.
Wie leicht fallen mir die Augen bei deinen Gaben und Geboten
zu! -- Vergib allen bisherigen Schlummer, und erhalt meine
Seele wachsam zum Guten! Bald schliessen sich nun meine Au-
genlieder, und ich weiß nichts von mir: o! dann bewach und
bewahr du mich, mein Herr und mein Gott!

Der

Der 17te Februar.
Haͤnden ſeines beleidigten Richtets uͤberliefert! Nein! ich will
niemals einſchlafen, und in die Hand Gottes fallen, wenn ich
mir ihn nicht durch herzliches Gebet zu meinem gnaͤdigen Vater
gemacht habe! Ohne Gebet einſchlummern, heißt ſich auf Gnade
und Ungnade ergeben.

Da der Schlaf des Todes Bruder iſt, ſo werden dermuth-
lich beim natuͤrlichen Tode die Ideen auch allgemach dunkler, und
niemand kan ſagen: in dieſem Augenblicke ſterbe ich. Aber eben
dieſe Verdunkelung der Begriffe macht die Bekehrung in den letz-
ten Stunden verdaͤchtig. Es iſt wie mit unſern Gedanken beim
Einſchlummern; wir denken, ja wir reden auch wol: aber ohne
ſonderliches Bewußtſeyn, und am Morgen iſt alles vergeſſen.
Und wehe der Bekehrung, welcher ſich die Seele in jener Welt
nicht mehr bewußt iſt!

Der Zeitpunkt, wo wir einſchlafen und ſterben, iſt ſich
wahrſcheinlich auch darin aͤhnlich, daß er uns nichts unangeneh-
mes empfinden laͤßt. Die vorhergegangene Muͤdigkeit und
Krankheit ſind nun uͤberſtanden. Wir moͤgen Augen und Mund
verdrehen, wie wir wollen: wir wiſſen von nichts, ſondern fallen
unvermerkt Gott anheim. Wie graͤßlich iſt der Schlaf mancher
Menſchen, welche ſchnarchen, winſeln, mit den Zaͤhnen knirſchen,
und dem ohnerachtet ruhig ſchlafen und angenehm traͤumen! So
iſt hoffentlich der Sterbende auch. Die Umſtehenden ſollen nach
Gottes Abſichten erſchrecken und beten: der Kranke aber ſchlum-
mert unter ſeinen Verzuckungen fort.

Huͤter Iſraels! der du nicht einſchlaͤfſt noch ſchlummerſt!
deſſen allwiſſende Gedanken in Ewigkeit nicht verdunkelt werden!
Ach! wie unmerklich und ſuͤß ſchlief mein Gewiſſen ſo oftmals ein.
Wie leicht fallen mir die Augen bei deinen Gaben und Geboten
zu! — Vergib allen bisherigen Schlummer, und erhalt meine
Seele wachſam zum Guten! Bald ſchlieſſen ſich nun meine Au-
genlieder, und ich weiß nichts von mir: o! dann bewach und
bewahr du mich, mein Herr und mein Gott!

Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0137" n="100[130]"/><fw place="top" type="header">Der 17<hi rendition="#sup">te</hi> Februar.</fw><lb/>
Ha&#x0364;nden &#x017F;eines beleidigten Richtets u&#x0364;berliefert! Nein! ich will<lb/>
niemals ein&#x017F;chlafen, und in die Hand Gottes fallen, wenn ich<lb/>
mir ihn nicht durch herzliches Gebet zu meinem gna&#x0364;digen Vater<lb/>
gemacht habe! Ohne Gebet ein&#x017F;chlummern, heißt &#x017F;ich auf Gnade<lb/>
und Ungnade ergeben.</p><lb/>
            <p>Da der Schlaf des Todes Bruder i&#x017F;t, &#x017F;o werden dermuth-<lb/>
lich beim natu&#x0364;rlichen Tode die Ideen auch allgemach dunkler, und<lb/>
niemand kan &#x017F;agen: in die&#x017F;em Augenblicke &#x017F;terbe ich. Aber eben<lb/>
die&#x017F;e Verdunkelung der Begriffe macht die Bekehrung in den letz-<lb/>
ten Stunden verda&#x0364;chtig. Es i&#x017F;t wie mit un&#x017F;ern Gedanken beim<lb/>
Ein&#x017F;chlummern; wir denken, ja wir reden auch wol: aber ohne<lb/>
&#x017F;onderliches Bewußt&#x017F;eyn, und am Morgen i&#x017F;t alles verge&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Und wehe der Bekehrung, welcher &#x017F;ich die Seele in jener Welt<lb/>
nicht mehr bewußt i&#x017F;t!</p><lb/>
            <p>Der Zeitpunkt, wo wir ein&#x017F;chlafen und &#x017F;terben, i&#x017F;t &#x017F;ich<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich auch darin a&#x0364;hnlich, daß er uns nichts unangeneh-<lb/>
mes empfinden la&#x0364;ßt. Die vorhergegangene Mu&#x0364;digkeit und<lb/>
Krankheit &#x017F;ind nun u&#x0364;ber&#x017F;tanden. Wir mo&#x0364;gen Augen und Mund<lb/>
verdrehen, wie wir wollen: wir wi&#x017F;&#x017F;en von nichts, &#x017F;ondern fallen<lb/>
unvermerkt Gott anheim. Wie gra&#x0364;ßlich i&#x017F;t der Schlaf mancher<lb/>
Men&#x017F;chen, welche &#x017F;chnarchen, win&#x017F;eln, mit den Za&#x0364;hnen knir&#x017F;chen,<lb/>
und dem ohnerachtet ruhig &#x017F;chlafen und angenehm tra&#x0364;umen! So<lb/>
i&#x017F;t hoffentlich der Sterbende auch. Die Um&#x017F;tehenden &#x017F;ollen nach<lb/>
Gottes Ab&#x017F;ichten er&#x017F;chrecken und beten: der Kranke aber &#x017F;chlum-<lb/>
mert unter &#x017F;einen Verzuckungen fort.</p><lb/>
            <p>Hu&#x0364;ter I&#x017F;raels! der du nicht ein&#x017F;chla&#x0364;f&#x017F;t noch &#x017F;chlummer&#x017F;t!<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en allwi&#x017F;&#x017F;ende Gedanken in Ewigkeit nicht verdunkelt werden!<lb/>
Ach! wie unmerklich und &#x017F;u&#x0364;ß &#x017F;chlief mein Gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;o oftmals ein.<lb/>
Wie leicht fallen mir die Augen bei deinen Gaben und Geboten<lb/>
zu! &#x2014; Vergib allen bisherigen Schlummer, und erhalt meine<lb/>
Seele wach&#x017F;am zum Guten! Bald &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich nun meine Au-<lb/>
genlieder, und ich weiß nichts von mir: o! dann bewach und<lb/>
bewahr du mich, mein Herr und mein Gott!</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100[130]/0137] Der 17te Februar. Haͤnden ſeines beleidigten Richtets uͤberliefert! Nein! ich will niemals einſchlafen, und in die Hand Gottes fallen, wenn ich mir ihn nicht durch herzliches Gebet zu meinem gnaͤdigen Vater gemacht habe! Ohne Gebet einſchlummern, heißt ſich auf Gnade und Ungnade ergeben. Da der Schlaf des Todes Bruder iſt, ſo werden dermuth- lich beim natuͤrlichen Tode die Ideen auch allgemach dunkler, und niemand kan ſagen: in dieſem Augenblicke ſterbe ich. Aber eben dieſe Verdunkelung der Begriffe macht die Bekehrung in den letz- ten Stunden verdaͤchtig. Es iſt wie mit unſern Gedanken beim Einſchlummern; wir denken, ja wir reden auch wol: aber ohne ſonderliches Bewußtſeyn, und am Morgen iſt alles vergeſſen. Und wehe der Bekehrung, welcher ſich die Seele in jener Welt nicht mehr bewußt iſt! Der Zeitpunkt, wo wir einſchlafen und ſterben, iſt ſich wahrſcheinlich auch darin aͤhnlich, daß er uns nichts unangeneh- mes empfinden laͤßt. Die vorhergegangene Muͤdigkeit und Krankheit ſind nun uͤberſtanden. Wir moͤgen Augen und Mund verdrehen, wie wir wollen: wir wiſſen von nichts, ſondern fallen unvermerkt Gott anheim. Wie graͤßlich iſt der Schlaf mancher Menſchen, welche ſchnarchen, winſeln, mit den Zaͤhnen knirſchen, und dem ohnerachtet ruhig ſchlafen und angenehm traͤumen! So iſt hoffentlich der Sterbende auch. Die Umſtehenden ſollen nach Gottes Abſichten erſchrecken und beten: der Kranke aber ſchlum- mert unter ſeinen Verzuckungen fort. Huͤter Iſraels! der du nicht einſchlaͤfſt noch ſchlummerſt! deſſen allwiſſende Gedanken in Ewigkeit nicht verdunkelt werden! Ach! wie unmerklich und ſuͤß ſchlief mein Gewiſſen ſo oftmals ein. Wie leicht fallen mir die Augen bei deinen Gaben und Geboten zu! — Vergib allen bisherigen Schlummer, und erhalt meine Seele wachſam zum Guten! Bald ſchlieſſen ſich nun meine Au- genlieder, und ich weiß nichts von mir: o! dann bewach und bewahr du mich, mein Herr und mein Gott! Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription. (2023-05-24T12:24:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, Linda Kirsten, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/137
Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 100[130]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/137>, abgerufen am 03.12.2024.