mir, tauben Ohren; die Nachdrucker hören nichts als die schmeichelnde Stimme ihres Interesse. So viel will ich nur noch auf Pflicht betheuren, daß ich zu dem ganzen Unfug schweigen würde, wenn es mich nicht in die Seele kränkte, daß meine ersten Leser nun eine schlechtere Edition besitzen müssen.
Dann und wann eine Demütigung ist uns sehr heilsam. Das habe ich mit diesen Abendandachten auch erfahren. Auf der einen Seite unverhoften starken Beifall: aber auf der andern auch niederschlagende Urtheile. Personen von vorzüglichem Ansehen haben sie nicht lesen mögen, sondern mit Unwillen weggeleget, weil von Thieren und andern Ge- schöpfen so ofte darin geredet wird. Man erwartete also ein gewöhnliches Gebetbuch, und das wolte ich nicht schrei- ben. Meine Schrift solte, bis auf wenige Zeilen, auch am Tage gelesen werden können und folglich dem so genann- ten Abendsegen keinen Eintrag thun. Wer die Weisheit und Güte Gottes an den Thieren nicht erbaulich findet, hat meinen Geschmack nicht, und wir schicken uns dann nicht für einander. Aber verhöhnen wollen wir uns des- wegen nicht: wir können ja doch beiderseits gute fromme Menschen seyn.
Der wiederholte Einwurf, daß ein Erbauungsbuch nicht kalendermäßig seyn und nach Blättern eingetheilet werden müsse, hat freilich viel wahres. Aber ich fand
diese
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zur dritten Auflage.
mir, tauben Ohren; die Nachdrucker hoͤren nichts als die ſchmeichelnde Stimme ihres Intereſſe. So viel will ich nur noch auf Pflicht betheuren, daß ich zu dem ganzen Unfug ſchweigen wuͤrde, wenn es mich nicht in die Seele kraͤnkte, daß meine erſten Leſer nun eine ſchlechtere Edition beſitzen muͤſſen.
Dann und wann eine Demuͤtigung iſt uns ſehr heilſam. Das habe ich mit dieſen Abendandachten auch erfahren. Auf der einen Seite unverhoften ſtarken Beifall: aber auf der andern auch niederſchlagende Urtheile. Perſonen von vorzuͤglichem Anſehen haben ſie nicht leſen moͤgen, ſondern mit Unwillen weggeleget, weil von Thieren und andern Ge- ſchoͤpfen ſo ofte darin geredet wird. Man erwartete alſo ein gewoͤhnliches Gebetbuch, und das wolte ich nicht ſchrei- ben. Meine Schrift ſolte, bis auf wenige Zeilen, auch am Tage geleſen werden koͤnnen und folglich dem ſo genann- ten Abendſegen keinen Eintrag thun. Wer die Weisheit und Guͤte Gottes an den Thieren nicht erbaulich findet, hat meinen Geſchmack nicht, und wir ſchicken uns dann nicht fuͤr einander. Aber verhoͤhnen wollen wir uns des- wegen nicht: wir koͤnnen ja doch beiderſeits gute fromme Menſchen ſeyn.
Der wiederholte Einwurf, daß ein Erbauungsbuch nicht kalendermaͤßig ſeyn und nach Blaͤttern eingetheilet werden muͤſſe, hat freilich viel wahres. Aber ich fand
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zur dritten Auflage.
mir, tauben Ohren; die Nachdrucker hoͤren nichts als die
ſchmeichelnde Stimme ihres Intereſſe. So viel will ich
nur noch auf Pflicht betheuren, daß ich zu dem ganzen
Unfug ſchweigen wuͤrde, wenn es mich nicht in die Seele
kraͤnkte, daß meine erſten Leſer nun eine ſchlechtere Edition
beſitzen muͤſſen.
Dann und wann eine Demuͤtigung iſt uns ſehr heilſam.
Das habe ich mit dieſen Abendandachten auch erfahren.
Auf der einen Seite unverhoften ſtarken Beifall: aber auf
der andern auch niederſchlagende Urtheile. Perſonen von
vorzuͤglichem Anſehen haben ſie nicht leſen moͤgen, ſondern
mit Unwillen weggeleget, weil von Thieren und andern Ge-
ſchoͤpfen ſo ofte darin geredet wird. Man erwartete alſo
ein gewoͤhnliches Gebetbuch, und das wolte ich nicht ſchrei-
ben. Meine Schrift ſolte, bis auf wenige Zeilen, auch
am Tage geleſen werden koͤnnen und folglich dem ſo genann-
ten Abendſegen keinen Eintrag thun. Wer die Weisheit
und Guͤte Gottes an den Thieren nicht erbaulich findet,
hat meinen Geſchmack nicht, und wir ſchicken uns dann
nicht fuͤr einander. Aber verhoͤhnen wollen wir uns des-
wegen nicht: wir koͤnnen ja doch beiderſeits gute fromme
Menſchen ſeyn.
Der wiederholte Einwurf, daß ein Erbauungsbuch
nicht kalendermaͤßig ſeyn und nach Blaͤttern eingetheilet
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/12>, abgerufen am 24.11.2024.
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