Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Sie führen aberwitzige Reden, Mann, erwiderte Emmerich; ich sah einen Kerl, der hielt die Schnauze gleich an das Rohr und trank so Wasser; somit hätte sich Ihr Mosje Diogenes auch noch die Hand abhauen können. -- Aber Ulrich, lauf 'mal gleich zur Polizei; das Ding muß einen andern Haken kriegen. -- Uebereilen Sie sich nicht, rief Heinrich, Sie müssen einsehen, daß ich Ihr Haus durch diese Hinwegnahme wesentlich verbessert habe. Emmerich, der schon nach der Hausthüre ging, kehrte wieder um. Verbessert? schrie er in höchster Bosheit; nun, das wäre mir denn doch etwas ganz Neues! Die Sache ist jedoch ganz einfach, erwiderte ihm Heinrich, und Jeder kann sie einsehen. Nicht wahr, Ihr Haus steht nicht in der Feuerkasse? Nun hatte ich zeither böse Träume von Brandunglück, auch fielen Häuserbrände hier in der Nachbarschaft vor; ich hatte eine ganz bestimmte Ahnung, ja ich möchte es ein Vorauswissen nennen, daß unser Haus hier dasselbe Unglück treffen würde. Giebt es nun wohl (das frage ich jeden Bauverständigen) etwas Ungeschickteres als eine hölzerne Treppe? Die Polizei sollte dergleichen gefährliches Bauwerk geradezu verbieten. So oft ein Feuer auskommt, so ist in allen Städten, wo dieser Mißbrauch noch stattfindet, immer die hölzerne Treppe das allergrößte Unheil. Sie leitet das Feuer nicht nur in alle Stockwerke, sondern macht auch oft die Rettung der Sie führen aberwitzige Reden, Mann, erwiderte Emmerich; ich sah einen Kerl, der hielt die Schnauze gleich an das Rohr und trank so Wasser; somit hätte sich Ihr Mosje Diogenes auch noch die Hand abhauen können. — Aber Ulrich, lauf 'mal gleich zur Polizei; das Ding muß einen andern Haken kriegen. — Uebereilen Sie sich nicht, rief Heinrich, Sie müssen einsehen, daß ich Ihr Haus durch diese Hinwegnahme wesentlich verbessert habe. Emmerich, der schon nach der Hausthüre ging, kehrte wieder um. Verbessert? schrie er in höchster Bosheit; nun, das wäre mir denn doch etwas ganz Neues! Die Sache ist jedoch ganz einfach, erwiderte ihm Heinrich, und Jeder kann sie einsehen. Nicht wahr, Ihr Haus steht nicht in der Feuerkasse? Nun hatte ich zeither böse Träume von Brandunglück, auch fielen Häuserbrände hier in der Nachbarschaft vor; ich hatte eine ganz bestimmte Ahnung, ja ich möchte es ein Vorauswissen nennen, daß unser Haus hier dasselbe Unglück treffen würde. Giebt es nun wohl (das frage ich jeden Bauverständigen) etwas Ungeschickteres als eine hölzerne Treppe? Die Polizei sollte dergleichen gefährliches Bauwerk geradezu verbieten. So oft ein Feuer auskommt, so ist in allen Städten, wo dieser Mißbrauch noch stattfindet, immer die hölzerne Treppe das allergrößte Unheil. Sie leitet das Feuer nicht nur in alle Stockwerke, sondern macht auch oft die Rettung der <TEI> <text> <body> <div n="4"> <pb facs="#f0076"/> <p>Sie führen aberwitzige Reden, Mann, erwiderte Emmerich; ich sah einen Kerl, der hielt die Schnauze gleich an das Rohr und trank so Wasser; somit hätte sich Ihr Mosje Diogenes auch noch die Hand abhauen können. — Aber Ulrich, lauf 'mal gleich zur Polizei; das Ding muß einen andern Haken kriegen. —</p><lb/> <p>Uebereilen Sie sich nicht, rief Heinrich, Sie müssen einsehen, daß ich Ihr Haus durch diese Hinwegnahme wesentlich verbessert habe.</p><lb/> <p>Emmerich, der schon nach der Hausthüre ging, kehrte wieder um. Verbessert? schrie er in höchster Bosheit; nun, das wäre mir denn doch etwas ganz Neues!</p><lb/> <p>Die Sache ist jedoch ganz einfach, erwiderte ihm Heinrich, und Jeder kann sie einsehen. Nicht wahr, Ihr Haus steht nicht in der Feuerkasse? Nun hatte ich zeither böse Träume von Brandunglück, auch fielen Häuserbrände hier in der Nachbarschaft vor; ich hatte eine ganz bestimmte Ahnung, ja ich möchte es ein Vorauswissen nennen, daß unser Haus hier dasselbe Unglück treffen würde. Giebt es nun wohl (das frage ich jeden Bauverständigen) etwas Ungeschickteres als eine hölzerne Treppe? Die Polizei sollte dergleichen gefährliches Bauwerk geradezu verbieten. So oft ein Feuer auskommt, so ist in allen Städten, wo dieser Mißbrauch noch stattfindet, immer die hölzerne Treppe das allergrößte Unheil. Sie leitet das Feuer nicht nur in alle Stockwerke, sondern macht auch oft die Rettung der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
Sie führen aberwitzige Reden, Mann, erwiderte Emmerich; ich sah einen Kerl, der hielt die Schnauze gleich an das Rohr und trank so Wasser; somit hätte sich Ihr Mosje Diogenes auch noch die Hand abhauen können. — Aber Ulrich, lauf 'mal gleich zur Polizei; das Ding muß einen andern Haken kriegen. —
Uebereilen Sie sich nicht, rief Heinrich, Sie müssen einsehen, daß ich Ihr Haus durch diese Hinwegnahme wesentlich verbessert habe.
Emmerich, der schon nach der Hausthüre ging, kehrte wieder um. Verbessert? schrie er in höchster Bosheit; nun, das wäre mir denn doch etwas ganz Neues!
Die Sache ist jedoch ganz einfach, erwiderte ihm Heinrich, und Jeder kann sie einsehen. Nicht wahr, Ihr Haus steht nicht in der Feuerkasse? Nun hatte ich zeither böse Träume von Brandunglück, auch fielen Häuserbrände hier in der Nachbarschaft vor; ich hatte eine ganz bestimmte Ahnung, ja ich möchte es ein Vorauswissen nennen, daß unser Haus hier dasselbe Unglück treffen würde. Giebt es nun wohl (das frage ich jeden Bauverständigen) etwas Ungeschickteres als eine hölzerne Treppe? Die Polizei sollte dergleichen gefährliches Bauwerk geradezu verbieten. So oft ein Feuer auskommt, so ist in allen Städten, wo dieser Mißbrauch noch stattfindet, immer die hölzerne Treppe das allergrößte Unheil. Sie leitet das Feuer nicht nur in alle Stockwerke, sondern macht auch oft die Rettung der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/76 |
Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/76>, abgerufen am 19.07.2024. |