Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mit ihm dieser Einsamkeit ergeben hatte, durfte man eine Schönheit nennen. Um Weihnachten war es, als dieser jugendliche Mann in seinem Stübchen, dicht am Ofen sitzend, also zu seiner Frau redete: Du weißt, liebste Clara, wie sehr ich den Siebenkäs unsers Jean Paul liebe und verehre; wie dieser sein Humorist sich aber helfen würde, wenn er in unsrer Lage wäre, bleibt mir doch ein Räthsel. Nicht wahr, Liebchen, jetzt sind, so scheint es, alle Mittel erschöpft? Gewiß, Heinrich, antwortete sie lächelnd und zugleich seufzend; wenn du aber froh und heiter bleibst, liebster aller Menschen, so kann ich mich in deiner Nähe nicht unglücklich fühlen. Unglück und Glück sind nur leere Worte, antwortete Heinrich; als du mir aus dem Hause deiner Eltern folgtest, als du so großmüthig um meinetwillen alle Rücksichten fahren ließest: da war unser Schicksal auf unsre Lebenszeit bestimmt. Lieben und leben hieß nun unsre Losung; wie wir leben würden, durfte uns ganz gleichgültig sein. Und so möchte ich noch jetzt aus starkem Herzen fragen: Wer in ganz Europa ist wohl so glücklich, als ich mich mit vollem Recht und aus der ganzen Kraft meines Gefühles nennen darf? Wir entbehren fast Alles, sagte sie, nur uns selbst nicht, und ich wußte ja, als ich den Bund mit dir schloß, daß du nicht reich warst; dir war es nicht unbekannt, daß ich aus meinem väterlichen Hause nichts mit mir mit ihm dieser Einsamkeit ergeben hatte, durfte man eine Schönheit nennen. Um Weihnachten war es, als dieser jugendliche Mann in seinem Stübchen, dicht am Ofen sitzend, also zu seiner Frau redete: Du weißt, liebste Clara, wie sehr ich den Siebenkäs unsers Jean Paul liebe und verehre; wie dieser sein Humorist sich aber helfen würde, wenn er in unsrer Lage wäre, bleibt mir doch ein Räthsel. Nicht wahr, Liebchen, jetzt sind, so scheint es, alle Mittel erschöpft? Gewiß, Heinrich, antwortete sie lächelnd und zugleich seufzend; wenn du aber froh und heiter bleibst, liebster aller Menschen, so kann ich mich in deiner Nähe nicht unglücklich fühlen. Unglück und Glück sind nur leere Worte, antwortete Heinrich; als du mir aus dem Hause deiner Eltern folgtest, als du so großmüthig um meinetwillen alle Rücksichten fahren ließest: da war unser Schicksal auf unsre Lebenszeit bestimmt. Lieben und leben hieß nun unsre Losung; wie wir leben würden, durfte uns ganz gleichgültig sein. Und so möchte ich noch jetzt aus starkem Herzen fragen: Wer in ganz Europa ist wohl so glücklich, als ich mich mit vollem Recht und aus der ganzen Kraft meines Gefühles nennen darf? Wir entbehren fast Alles, sagte sie, nur uns selbst nicht, und ich wußte ja, als ich den Bund mit dir schloß, daß du nicht reich warst; dir war es nicht unbekannt, daß ich aus meinem väterlichen Hause nichts mit mir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0007"/> mit ihm dieser Einsamkeit ergeben hatte, durfte man eine Schönheit nennen.</p><lb/> <p>Um Weihnachten war es, als dieser jugendliche Mann in seinem Stübchen, dicht am Ofen sitzend, also zu seiner Frau redete: Du weißt, liebste Clara, wie sehr ich den Siebenkäs unsers Jean Paul liebe und verehre; wie dieser sein Humorist sich aber helfen würde, wenn er in unsrer Lage wäre, bleibt mir doch ein Räthsel. Nicht wahr, Liebchen, jetzt sind, so scheint es, alle Mittel erschöpft?</p><lb/> <p>Gewiß, Heinrich, antwortete sie lächelnd und zugleich seufzend; wenn du aber froh und heiter bleibst, liebster aller Menschen, so kann ich mich in deiner Nähe nicht unglücklich fühlen.</p><lb/> <p>Unglück und Glück sind nur leere Worte, antwortete Heinrich; als du mir aus dem Hause deiner Eltern folgtest, als du so großmüthig um meinetwillen alle Rücksichten fahren ließest: da war unser Schicksal auf unsre Lebenszeit bestimmt. Lieben und leben hieß nun unsre Losung; wie wir leben würden, durfte uns ganz gleichgültig sein. Und so möchte ich noch jetzt aus starkem Herzen fragen: Wer in ganz Europa ist wohl so glücklich, als ich mich mit vollem Recht und aus der ganzen Kraft meines Gefühles nennen darf?</p><lb/> <p>Wir entbehren fast Alles, sagte sie, nur uns selbst nicht, und ich wußte ja, als ich den Bund mit dir schloß, daß du nicht reich warst; dir war es nicht unbekannt, daß ich aus meinem väterlichen Hause nichts mit mir<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
mit ihm dieser Einsamkeit ergeben hatte, durfte man eine Schönheit nennen.
Um Weihnachten war es, als dieser jugendliche Mann in seinem Stübchen, dicht am Ofen sitzend, also zu seiner Frau redete: Du weißt, liebste Clara, wie sehr ich den Siebenkäs unsers Jean Paul liebe und verehre; wie dieser sein Humorist sich aber helfen würde, wenn er in unsrer Lage wäre, bleibt mir doch ein Räthsel. Nicht wahr, Liebchen, jetzt sind, so scheint es, alle Mittel erschöpft?
Gewiß, Heinrich, antwortete sie lächelnd und zugleich seufzend; wenn du aber froh und heiter bleibst, liebster aller Menschen, so kann ich mich in deiner Nähe nicht unglücklich fühlen.
Unglück und Glück sind nur leere Worte, antwortete Heinrich; als du mir aus dem Hause deiner Eltern folgtest, als du so großmüthig um meinetwillen alle Rücksichten fahren ließest: da war unser Schicksal auf unsre Lebenszeit bestimmt. Lieben und leben hieß nun unsre Losung; wie wir leben würden, durfte uns ganz gleichgültig sein. Und so möchte ich noch jetzt aus starkem Herzen fragen: Wer in ganz Europa ist wohl so glücklich, als ich mich mit vollem Recht und aus der ganzen Kraft meines Gefühles nennen darf?
Wir entbehren fast Alles, sagte sie, nur uns selbst nicht, und ich wußte ja, als ich den Bund mit dir schloß, daß du nicht reich warst; dir war es nicht unbekannt, daß ich aus meinem väterlichen Hause nichts mit mir
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/7 |
Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/7>, abgerufen am 16.02.2025. |