Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ja wohl, antwortete Heinrich jetzt ruhig und gefaßt; da du es nun einmal weißt, wirst du es ganz vernünftig finden. Ich begreife auch nicht, warum ich es dir bisher verschwiegen habe. Sei man auch noch so sehr alle Vorurtheile los, so bleibt irgendwo doch noch ein Stückchen hangen und eine falsche Scham, die im Grunde kindisch ist! Denn erstlich warst du das Wesen in der Welt, das mir am vertrautesten ist; zweitens das einzige, denn mein Sechzehntel-Umgang mit der alten Christine ist nicht zu rechnen; drittens war der Winter immer noch hart und kein andres Holz aufzutreiben; viertens war die Schonung fast lächerlich, da das allerbeste, härteste, ausgetrocknetste, brauchbarste dicht vor unsern Füßen lag; fünftens brauchten wir die Treppe gar nicht, und sechstens ist sie schon, bis auf wenige Reliquien, ganz verbrannt. Du glaubst aber nicht, wie schlecht sich diese alten, ausgebogenen, widerspenstigen Stufen sägen und zersplittern ließen. Sie haben mich so warm gemacht, daß mir die Stube oft nachher zu heiß dünkte. Aber Christine? fragte sie. O die ist ganz gesund, antwortete der Mann. Alle Morgen lasse ich ihr einen Strick hinunter, woran sie dann ihr Körbchen bindet; das zieh' ich herauf und nachher den Wasserkrug, und so geht unsere Haushaltung ganz ordentlich und friedlich. -- Als unser schönes Treppengeländer sich zum Ende neigte und immer noch keine warme Luft eintreten wollte, sann ich nach, und Ja wohl, antwortete Heinrich jetzt ruhig und gefaßt; da du es nun einmal weißt, wirst du es ganz vernünftig finden. Ich begreife auch nicht, warum ich es dir bisher verschwiegen habe. Sei man auch noch so sehr alle Vorurtheile los, so bleibt irgendwo doch noch ein Stückchen hangen und eine falsche Scham, die im Grunde kindisch ist! Denn erstlich warst du das Wesen in der Welt, das mir am vertrautesten ist; zweitens das einzige, denn mein Sechzehntel-Umgang mit der alten Christine ist nicht zu rechnen; drittens war der Winter immer noch hart und kein andres Holz aufzutreiben; viertens war die Schonung fast lächerlich, da das allerbeste, härteste, ausgetrocknetste, brauchbarste dicht vor unsern Füßen lag; fünftens brauchten wir die Treppe gar nicht, und sechstens ist sie schon, bis auf wenige Reliquien, ganz verbrannt. Du glaubst aber nicht, wie schlecht sich diese alten, ausgebogenen, widerspenstigen Stufen sägen und zersplittern ließen. Sie haben mich so warm gemacht, daß mir die Stube oft nachher zu heiß dünkte. Aber Christine? fragte sie. O die ist ganz gesund, antwortete der Mann. Alle Morgen lasse ich ihr einen Strick hinunter, woran sie dann ihr Körbchen bindet; das zieh' ich herauf und nachher den Wasserkrug, und so geht unsere Haushaltung ganz ordentlich und friedlich. — Als unser schönes Treppengeländer sich zum Ende neigte und immer noch keine warme Luft eintreten wollte, sann ich nach, und <TEI> <text> <body> <div n="4"> <pb facs="#f0064"/> <p>Ja wohl, antwortete Heinrich jetzt ruhig und gefaßt; da du es nun einmal weißt, wirst du es ganz vernünftig finden. Ich begreife auch nicht, warum ich es dir bisher verschwiegen habe. Sei man auch noch so sehr alle Vorurtheile los, so bleibt irgendwo doch noch ein Stückchen hangen und eine falsche Scham, die im Grunde kindisch ist! Denn erstlich warst du das Wesen in der Welt, das mir am vertrautesten ist; zweitens das einzige, denn mein Sechzehntel-Umgang mit der alten Christine ist nicht zu rechnen; drittens war der Winter immer noch hart und kein andres Holz aufzutreiben; viertens war die Schonung fast lächerlich, da das allerbeste, härteste, ausgetrocknetste, brauchbarste dicht vor unsern Füßen lag; fünftens brauchten wir die Treppe gar nicht, und sechstens ist sie schon, bis auf wenige Reliquien, ganz verbrannt. Du glaubst aber nicht, wie schlecht sich diese alten, ausgebogenen, widerspenstigen Stufen sägen und zersplittern ließen. Sie haben mich so warm gemacht, daß mir die Stube oft nachher zu heiß dünkte.</p><lb/> <p>Aber Christine? fragte sie.</p><lb/> <p>O die ist ganz gesund, antwortete der Mann. Alle Morgen lasse ich ihr einen Strick hinunter, woran sie dann ihr Körbchen bindet; das zieh' ich herauf und nachher den Wasserkrug, und so geht unsere Haushaltung ganz ordentlich und friedlich. — Als unser schönes Treppengeländer sich zum Ende neigte und immer noch keine warme Luft eintreten wollte, sann ich nach, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
Ja wohl, antwortete Heinrich jetzt ruhig und gefaßt; da du es nun einmal weißt, wirst du es ganz vernünftig finden. Ich begreife auch nicht, warum ich es dir bisher verschwiegen habe. Sei man auch noch so sehr alle Vorurtheile los, so bleibt irgendwo doch noch ein Stückchen hangen und eine falsche Scham, die im Grunde kindisch ist! Denn erstlich warst du das Wesen in der Welt, das mir am vertrautesten ist; zweitens das einzige, denn mein Sechzehntel-Umgang mit der alten Christine ist nicht zu rechnen; drittens war der Winter immer noch hart und kein andres Holz aufzutreiben; viertens war die Schonung fast lächerlich, da das allerbeste, härteste, ausgetrocknetste, brauchbarste dicht vor unsern Füßen lag; fünftens brauchten wir die Treppe gar nicht, und sechstens ist sie schon, bis auf wenige Reliquien, ganz verbrannt. Du glaubst aber nicht, wie schlecht sich diese alten, ausgebogenen, widerspenstigen Stufen sägen und zersplittern ließen. Sie haben mich so warm gemacht, daß mir die Stube oft nachher zu heiß dünkte.
Aber Christine? fragte sie.
O die ist ganz gesund, antwortete der Mann. Alle Morgen lasse ich ihr einen Strick hinunter, woran sie dann ihr Körbchen bindet; das zieh' ich herauf und nachher den Wasserkrug, und so geht unsere Haushaltung ganz ordentlich und friedlich. — Als unser schönes Treppengeländer sich zum Ende neigte und immer noch keine warme Luft eintreten wollte, sann ich nach, und
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/64>, abgerufen am 18.07.2024. |