Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Die Tage werden schon länger, fing er an; bald wird nun die Frühlingssonne auf das Dach da drüben scheinen. Ja wohl, sagte sie, und die Zeit wird nicht mehr fern sein, wo wir das Fenster wieder aufmachen, uns daran setzen und die frische Luft einathmen. Das war im vorigen Sommer gar so schön, als wir vom Park draußen sogar hier den Duft der Lindenblüthe spürten. Sie holte zwei kleine Töpfchen herbei, die mit Erde gefüllt waren, und in welchen sie Blumen aufzog. Sieh! fuhr sie fort, diese Hyacinthe und diese Tulpe kommen nun doch heraus, die wir schon verloren gaben. Wenn sie gedeihen, so will ich es als ein Orakel ansehen, daß sich auch unser Schicksal bald wiederum zum Bessern kehren wird. Aber, Liebchen, sagte er etwas empfindlich, was geht uns denn ab? Haben wir nicht bis jetzt noch Ueberfluß an Feuer, Brod und Wasser? Das Wetter wird augenscheinlich milder, wir werden des Holzes weniger bedürfen, nachher kommt die Sonnenwärme. Zu verkaufen haben wir freilich nichts mehr, aber es wird, es muß sich irgend ein Weg aufthun, auf welchem ich etwas verdienen kann. Bedenke nur unser Glück, daß Keines von uns krank geworden ist, auch die alte Christine nicht. Wer steht uns aber für diese getreuste Dienerin? antwortete Clara; ich habe sie nun seit so lange nicht Die Tage werden schon länger, fing er an; bald wird nun die Frühlingssonne auf das Dach da drüben scheinen. Ja wohl, sagte sie, und die Zeit wird nicht mehr fern sein, wo wir das Fenster wieder aufmachen, uns daran setzen und die frische Luft einathmen. Das war im vorigen Sommer gar so schön, als wir vom Park draußen sogar hier den Duft der Lindenblüthe spürten. Sie holte zwei kleine Töpfchen herbei, die mit Erde gefüllt waren, und in welchen sie Blumen aufzog. Sieh! fuhr sie fort, diese Hyacinthe und diese Tulpe kommen nun doch heraus, die wir schon verloren gaben. Wenn sie gedeihen, so will ich es als ein Orakel ansehen, daß sich auch unser Schicksal bald wiederum zum Bessern kehren wird. Aber, Liebchen, sagte er etwas empfindlich, was geht uns denn ab? Haben wir nicht bis jetzt noch Ueberfluß an Feuer, Brod und Wasser? Das Wetter wird augenscheinlich milder, wir werden des Holzes weniger bedürfen, nachher kommt die Sonnenwärme. Zu verkaufen haben wir freilich nichts mehr, aber es wird, es muß sich irgend ein Weg aufthun, auf welchem ich etwas verdienen kann. Bedenke nur unser Glück, daß Keines von uns krank geworden ist, auch die alte Christine nicht. Wer steht uns aber für diese getreuste Dienerin? antwortete Clara; ich habe sie nun seit so lange nicht <TEI> <text> <body> <div n="4"> <pb facs="#f0061"/> <p>Die Tage werden schon länger, fing er an; bald wird nun die Frühlingssonne auf das Dach da drüben scheinen.</p><lb/> <p>Ja wohl, sagte sie, und die Zeit wird nicht mehr fern sein, wo wir das Fenster wieder aufmachen, uns daran setzen und die frische Luft einathmen. Das war im vorigen Sommer gar so schön, als wir vom Park draußen sogar hier den Duft der Lindenblüthe spürten.</p><lb/> <p>Sie holte zwei kleine Töpfchen herbei, die mit Erde gefüllt waren, und in welchen sie Blumen aufzog. Sieh! fuhr sie fort, diese Hyacinthe und diese Tulpe kommen nun doch heraus, die wir schon verloren gaben. Wenn sie gedeihen, so will ich es als ein Orakel ansehen, daß sich auch unser Schicksal bald wiederum zum Bessern kehren wird.</p><lb/> <p>Aber, Liebchen, sagte er etwas empfindlich, was geht uns denn ab? Haben wir nicht bis jetzt noch Ueberfluß an Feuer, Brod und Wasser? Das Wetter wird augenscheinlich milder, wir werden des Holzes weniger bedürfen, nachher kommt die Sonnenwärme. Zu verkaufen haben wir freilich nichts mehr, aber es wird, es muß sich irgend ein Weg aufthun, auf welchem ich etwas verdienen kann. Bedenke nur unser Glück, daß Keines von uns krank geworden ist, auch die alte Christine nicht.</p><lb/> <p>Wer steht uns aber für diese getreuste Dienerin? antwortete Clara; ich habe sie nun seit so lange nicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0061]
Die Tage werden schon länger, fing er an; bald wird nun die Frühlingssonne auf das Dach da drüben scheinen.
Ja wohl, sagte sie, und die Zeit wird nicht mehr fern sein, wo wir das Fenster wieder aufmachen, uns daran setzen und die frische Luft einathmen. Das war im vorigen Sommer gar so schön, als wir vom Park draußen sogar hier den Duft der Lindenblüthe spürten.
Sie holte zwei kleine Töpfchen herbei, die mit Erde gefüllt waren, und in welchen sie Blumen aufzog. Sieh! fuhr sie fort, diese Hyacinthe und diese Tulpe kommen nun doch heraus, die wir schon verloren gaben. Wenn sie gedeihen, so will ich es als ein Orakel ansehen, daß sich auch unser Schicksal bald wiederum zum Bessern kehren wird.
Aber, Liebchen, sagte er etwas empfindlich, was geht uns denn ab? Haben wir nicht bis jetzt noch Ueberfluß an Feuer, Brod und Wasser? Das Wetter wird augenscheinlich milder, wir werden des Holzes weniger bedürfen, nachher kommt die Sonnenwärme. Zu verkaufen haben wir freilich nichts mehr, aber es wird, es muß sich irgend ein Weg aufthun, auf welchem ich etwas verdienen kann. Bedenke nur unser Glück, daß Keines von uns krank geworden ist, auch die alte Christine nicht.
Wer steht uns aber für diese getreuste Dienerin? antwortete Clara; ich habe sie nun seit so lange nicht
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/61>, abgerufen am 17.07.2024. |