Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.schon heller Tag war, und noch mehr, daß sie den Gemahl nicht an ihrer Seite fand. Wie aber erstaunte sie erst, als sie ein lautes, kreischendes Geräusch vernahm, das so klang, wie wenn eine Säge hartes, widerspänstiges Holz zerschneidet. Schnell kleidete sie sich an, um dem sonderbaren Ereigniß auf den Grund zu kommen. Mein Heinrich, rief sie eintretend, was machst du da? Ich zersäge das Holz für unsern Ofen, versetzte er keuchend, indem er von der Arbeit aufsah und der Frau ein ganz rothes Gesicht entgegenhielt. Erst sage mir nur, wie in aller Welt du zu der Säge kommst, und gar zu dem ungeheuern Block dieses schönen Holzes? Du weißt, sagte Heinrich, wie vier, fünf Stufen zu einem kleinen Boden von hier führen, der leer steht. Nun, in einem Verschlage sah ich neulich, durch das Schlüsselloch guckend, eine Holzsäge und ein Beil, die wohl dem alten Hauswirth oder wer weiß wem sonst gehören mögen. Man achtet auf den Gang der Weltgeschichte, und so merkte ich mir diese Utensilien. Heut Morgen nun, als du noch so angenehm schliefst, ging ich in stockdichter Finsterniß dort hinauf, sprengte die dünne, elende Thür, die kaum mit einem kleinen, jämmerlichen Riegel versperrt war, und holte mir diese beiden Mordinstrumente herunter. Nun aber, da ich die Gelegenheit unsers Hauses ganz genau kenne, hob ich dieses lange, dicke, gewichtige Geländer unserer Treppe, nicht ohne Mühe und Anstrengung und mit Hülfe des Beiles, schon heller Tag war, und noch mehr, daß sie den Gemahl nicht an ihrer Seite fand. Wie aber erstaunte sie erst, als sie ein lautes, kreischendes Geräusch vernahm, das so klang, wie wenn eine Säge hartes, widerspänstiges Holz zerschneidet. Schnell kleidete sie sich an, um dem sonderbaren Ereigniß auf den Grund zu kommen. Mein Heinrich, rief sie eintretend, was machst du da? Ich zersäge das Holz für unsern Ofen, versetzte er keuchend, indem er von der Arbeit aufsah und der Frau ein ganz rothes Gesicht entgegenhielt. Erst sage mir nur, wie in aller Welt du zu der Säge kommst, und gar zu dem ungeheuern Block dieses schönen Holzes? Du weißt, sagte Heinrich, wie vier, fünf Stufen zu einem kleinen Boden von hier führen, der leer steht. Nun, in einem Verschlage sah ich neulich, durch das Schlüsselloch guckend, eine Holzsäge und ein Beil, die wohl dem alten Hauswirth oder wer weiß wem sonst gehören mögen. Man achtet auf den Gang der Weltgeschichte, und so merkte ich mir diese Utensilien. Heut Morgen nun, als du noch so angenehm schliefst, ging ich in stockdichter Finsterniß dort hinauf, sprengte die dünne, elende Thür, die kaum mit einem kleinen, jämmerlichen Riegel versperrt war, und holte mir diese beiden Mordinstrumente herunter. Nun aber, da ich die Gelegenheit unsers Hauses ganz genau kenne, hob ich dieses lange, dicke, gewichtige Geländer unserer Treppe, nicht ohne Mühe und Anstrengung und mit Hülfe des Beiles, <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0034"/> schon heller Tag war, und noch mehr, daß sie den Gemahl nicht an ihrer Seite fand. Wie aber erstaunte sie erst, als sie ein lautes, kreischendes Geräusch vernahm, das so klang, wie wenn eine Säge hartes, widerspänstiges Holz zerschneidet. Schnell kleidete sie sich an, um dem sonderbaren Ereigniß auf den Grund zu kommen. Mein Heinrich, rief sie eintretend, was machst du da? Ich zersäge das Holz für unsern Ofen, versetzte er keuchend, indem er von der Arbeit aufsah und der Frau ein ganz rothes Gesicht entgegenhielt.</p><lb/> <p>Erst sage mir nur, wie in aller Welt du zu der Säge kommst, und gar zu dem ungeheuern Block dieses schönen Holzes?</p><lb/> <p>Du weißt, sagte Heinrich, wie vier, fünf Stufen zu einem kleinen Boden von hier führen, der leer steht. Nun, in einem Verschlage sah ich neulich, durch das Schlüsselloch guckend, eine Holzsäge und ein Beil, die wohl dem alten Hauswirth oder wer weiß wem sonst gehören mögen. Man achtet auf den Gang der Weltgeschichte, und so merkte ich mir diese Utensilien. Heut Morgen nun, als du noch so angenehm schliefst, ging ich in stockdichter Finsterniß dort hinauf, sprengte die dünne, elende Thür, die kaum mit einem kleinen, jämmerlichen Riegel versperrt war, und holte mir diese beiden Mordinstrumente herunter. Nun aber, da ich die Gelegenheit unsers Hauses ganz genau kenne, hob ich dieses lange, dicke, gewichtige Geländer unserer Treppe, nicht ohne Mühe und Anstrengung und mit Hülfe des Beiles,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
schon heller Tag war, und noch mehr, daß sie den Gemahl nicht an ihrer Seite fand. Wie aber erstaunte sie erst, als sie ein lautes, kreischendes Geräusch vernahm, das so klang, wie wenn eine Säge hartes, widerspänstiges Holz zerschneidet. Schnell kleidete sie sich an, um dem sonderbaren Ereigniß auf den Grund zu kommen. Mein Heinrich, rief sie eintretend, was machst du da? Ich zersäge das Holz für unsern Ofen, versetzte er keuchend, indem er von der Arbeit aufsah und der Frau ein ganz rothes Gesicht entgegenhielt.
Erst sage mir nur, wie in aller Welt du zu der Säge kommst, und gar zu dem ungeheuern Block dieses schönen Holzes?
Du weißt, sagte Heinrich, wie vier, fünf Stufen zu einem kleinen Boden von hier führen, der leer steht. Nun, in einem Verschlage sah ich neulich, durch das Schlüsselloch guckend, eine Holzsäge und ein Beil, die wohl dem alten Hauswirth oder wer weiß wem sonst gehören mögen. Man achtet auf den Gang der Weltgeschichte, und so merkte ich mir diese Utensilien. Heut Morgen nun, als du noch so angenehm schliefst, ging ich in stockdichter Finsterniß dort hinauf, sprengte die dünne, elende Thür, die kaum mit einem kleinen, jämmerlichen Riegel versperrt war, und holte mir diese beiden Mordinstrumente herunter. Nun aber, da ich die Gelegenheit unsers Hauses ganz genau kenne, hob ich dieses lange, dicke, gewichtige Geländer unserer Treppe, nicht ohne Mühe und Anstrengung und mit Hülfe des Beiles,
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/34>, abgerufen am 16.07.2024. |