Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.so lustiger als betrübter Tag. Unsre Ringe, so manches Werthvolle, das wir zufällig an uns trugen, half uns nun fort. Aber, daß wir deine Briefe nicht haben retten können, ist ein unersetzlicher Verlust. Und heiß überläuft mich die Angst, so oft es mir einfällt, daß andre Augen, als die meinigen, diese deine himmlischen Worte, alle diese glühenden Töne der Liebe gelesen haben und an diesen Lauten, die meine Seligkeit waren, nur ein Aergerniß genommen. Und noch schlimmer, fuhr der Gatte fort, daß meine Dummheit und Uebereilung auch alle die Blätter zurückgelassen hat, die du mir in so mancherlei Stimmungen schicktest oder heimlich in die Hand drücktest. In allen Processen, nicht bloß denen der Liebe, ist es immer das Schwarz auf Weiß, welches das Geheimniß entdeckt oder den Casus verschlimmert. Und doch kann man es nicht lassen, mit Feder und Tinte diese Züge zu malen, welche die Seele bedeuten sollen. O, meine Geliebte, es waren oft Worte in diesen Briefen, bei denen mein Herz, von deiner Geisterhand, von diesem Lufthauch berührt, so gewaltig aus seiner Knospe ging, daß es mir, wie im zu raschen Auseinanderblühen aller Blätter, zu zerspringen schien. Sie umarmten sich und es entstand eine fast feierliche Pause. Liebchen, sagte Heinrich dann, welche Bibliothek neben meinem Tagebuch, wenn deine und meine Briefe aus dieser Omar'schen Verfolgung noch wären so lustiger als betrübter Tag. Unsre Ringe, so manches Werthvolle, das wir zufällig an uns trugen, half uns nun fort. Aber, daß wir deine Briefe nicht haben retten können, ist ein unersetzlicher Verlust. Und heiß überläuft mich die Angst, so oft es mir einfällt, daß andre Augen, als die meinigen, diese deine himmlischen Worte, alle diese glühenden Töne der Liebe gelesen haben und an diesen Lauten, die meine Seligkeit waren, nur ein Aergerniß genommen. Und noch schlimmer, fuhr der Gatte fort, daß meine Dummheit und Uebereilung auch alle die Blätter zurückgelassen hat, die du mir in so mancherlei Stimmungen schicktest oder heimlich in die Hand drücktest. In allen Processen, nicht bloß denen der Liebe, ist es immer das Schwarz auf Weiß, welches das Geheimniß entdeckt oder den Casus verschlimmert. Und doch kann man es nicht lassen, mit Feder und Tinte diese Züge zu malen, welche die Seele bedeuten sollen. O, meine Geliebte, es waren oft Worte in diesen Briefen, bei denen mein Herz, von deiner Geisterhand, von diesem Lufthauch berührt, so gewaltig aus seiner Knospe ging, daß es mir, wie im zu raschen Auseinanderblühen aller Blätter, zu zerspringen schien. Sie umarmten sich und es entstand eine fast feierliche Pause. Liebchen, sagte Heinrich dann, welche Bibliothek neben meinem Tagebuch, wenn deine und meine Briefe aus dieser Omar'schen Verfolgung noch wären <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0027"/> so lustiger als betrübter Tag. Unsre Ringe, so manches Werthvolle, das wir zufällig an uns trugen, half uns nun fort. Aber, daß wir deine Briefe nicht haben retten können, ist ein unersetzlicher Verlust. Und heiß überläuft mich die Angst, so oft es mir einfällt, daß andre Augen, als die meinigen, diese deine himmlischen Worte, alle diese glühenden Töne der Liebe gelesen haben und an diesen Lauten, die meine Seligkeit waren, nur ein Aergerniß genommen.</p><lb/> <p>Und noch schlimmer, fuhr der Gatte fort, daß meine Dummheit und Uebereilung auch alle die Blätter zurückgelassen hat, die du mir in so mancherlei Stimmungen schicktest oder heimlich in die Hand drücktest. In allen Processen, nicht bloß denen der Liebe, ist es immer das Schwarz auf Weiß, welches das Geheimniß entdeckt oder den Casus verschlimmert. Und doch kann man es nicht lassen, mit Feder und Tinte diese Züge zu malen, welche die Seele bedeuten sollen. O, meine Geliebte, es waren oft Worte in diesen Briefen, bei denen mein Herz, von deiner Geisterhand, von diesem Lufthauch berührt, so gewaltig aus seiner Knospe ging, daß es mir, wie im zu raschen Auseinanderblühen aller Blätter, zu zerspringen schien.</p><lb/> <p>Sie umarmten sich und es entstand eine fast feierliche Pause. Liebchen, sagte Heinrich dann, welche Bibliothek neben meinem Tagebuch, wenn deine und meine Briefe aus dieser Omar'schen Verfolgung noch wären<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0027]
so lustiger als betrübter Tag. Unsre Ringe, so manches Werthvolle, das wir zufällig an uns trugen, half uns nun fort. Aber, daß wir deine Briefe nicht haben retten können, ist ein unersetzlicher Verlust. Und heiß überläuft mich die Angst, so oft es mir einfällt, daß andre Augen, als die meinigen, diese deine himmlischen Worte, alle diese glühenden Töne der Liebe gelesen haben und an diesen Lauten, die meine Seligkeit waren, nur ein Aergerniß genommen.
Und noch schlimmer, fuhr der Gatte fort, daß meine Dummheit und Uebereilung auch alle die Blätter zurückgelassen hat, die du mir in so mancherlei Stimmungen schicktest oder heimlich in die Hand drücktest. In allen Processen, nicht bloß denen der Liebe, ist es immer das Schwarz auf Weiß, welches das Geheimniß entdeckt oder den Casus verschlimmert. Und doch kann man es nicht lassen, mit Feder und Tinte diese Züge zu malen, welche die Seele bedeuten sollen. O, meine Geliebte, es waren oft Worte in diesen Briefen, bei denen mein Herz, von deiner Geisterhand, von diesem Lufthauch berührt, so gewaltig aus seiner Knospe ging, daß es mir, wie im zu raschen Auseinanderblühen aller Blätter, zu zerspringen schien.
Sie umarmten sich und es entstand eine fast feierliche Pause. Liebchen, sagte Heinrich dann, welche Bibliothek neben meinem Tagebuch, wenn deine und meine Briefe aus dieser Omar'schen Verfolgung noch wären
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/27>, abgerufen am 16.02.2025. |