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Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Shakespearischen Stücke gelehrte und elegante Erläuterungen besitzen.

Still, mein Herz, erwiderte der Gatte, kommen wir nicht in jene Gegend, und nenne mich auch nicht einmal im Scherze Sie. -- Ich werde mein Tagebuch jetzt nach unserem Festmahl noch etwas rückwärts studiren. Diese Monologe belehren mich schon jetzt über mich selbst, wie viel mehr müssen sie es künftig in meinem Alter thun. Kann ein Tagebuch etwas Andres als Monologe enthalten? Doch, ein recht großer Künstlergeist könnte ein solches dialogisch denken und schreiben. Wir vernehmen aber nur gar zu selten diese zweite Stimme in uns selbst. Natürlich! Giebt es unter Tausenden doch kaum Einen, der in der Wirklichkeit den Verständigen und dessen Antworten vernimmt, wenn sie anders lauten, als der Sprechende sich die seinigen und seine Fragen angewöhnt hat.

Sehr wahr, bemerkte Clara, und darum ist in ihrer höchsten Weihe die Ehe erfunden. Das Weib hat in ihrer Liebe immer jene zweite antwortende Stimme oder den richtigen Gegenruf des Geistes. Und glaube mir, was ihr so oft in euerm männlichen Uebermuth unsere Dummheit oder Kurzsichtigkeit benennt, oder Mangel an Philosophie, Unfähigkeit, in die Wirklichkeit einzudringen, und dergleichen Phrasen mehr, das ist, wie oft, der echte Geisterdialog, die Ergänzung oder der harmonische Einklang in euer Seelengeheimniß. Aber freilich, die meisten Männer erfreuen sich nur eines

Shakespearischen Stücke gelehrte und elegante Erläuterungen besitzen.

Still, mein Herz, erwiderte der Gatte, kommen wir nicht in jene Gegend, und nenne mich auch nicht einmal im Scherze Sie. — Ich werde mein Tagebuch jetzt nach unserem Festmahl noch etwas rückwärts studiren. Diese Monologe belehren mich schon jetzt über mich selbst, wie viel mehr müssen sie es künftig in meinem Alter thun. Kann ein Tagebuch etwas Andres als Monologe enthalten? Doch, ein recht großer Künstlergeist könnte ein solches dialogisch denken und schreiben. Wir vernehmen aber nur gar zu selten diese zweite Stimme in uns selbst. Natürlich! Giebt es unter Tausenden doch kaum Einen, der in der Wirklichkeit den Verständigen und dessen Antworten vernimmt, wenn sie anders lauten, als der Sprechende sich die seinigen und seine Fragen angewöhnt hat.

Sehr wahr, bemerkte Clara, und darum ist in ihrer höchsten Weihe die Ehe erfunden. Das Weib hat in ihrer Liebe immer jene zweite antwortende Stimme oder den richtigen Gegenruf des Geistes. Und glaube mir, was ihr so oft in euerm männlichen Uebermuth unsere Dummheit oder Kurzsichtigkeit benennt, oder Mangel an Philosophie, Unfähigkeit, in die Wirklichkeit einzudringen, und dergleichen Phrasen mehr, das ist, wie oft, der echte Geisterdialog, die Ergänzung oder der harmonische Einklang in euer Seelengeheimniß. Aber freilich, die meisten Männer erfreuen sich nur eines

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[0015] Shakespearischen Stücke gelehrte und elegante Erläuterungen besitzen. Still, mein Herz, erwiderte der Gatte, kommen wir nicht in jene Gegend, und nenne mich auch nicht einmal im Scherze Sie. — Ich werde mein Tagebuch jetzt nach unserem Festmahl noch etwas rückwärts studiren. Diese Monologe belehren mich schon jetzt über mich selbst, wie viel mehr müssen sie es künftig in meinem Alter thun. Kann ein Tagebuch etwas Andres als Monologe enthalten? Doch, ein recht großer Künstlergeist könnte ein solches dialogisch denken und schreiben. Wir vernehmen aber nur gar zu selten diese zweite Stimme in uns selbst. Natürlich! Giebt es unter Tausenden doch kaum Einen, der in der Wirklichkeit den Verständigen und dessen Antworten vernimmt, wenn sie anders lauten, als der Sprechende sich die seinigen und seine Fragen angewöhnt hat. Sehr wahr, bemerkte Clara, und darum ist in ihrer höchsten Weihe die Ehe erfunden. Das Weib hat in ihrer Liebe immer jene zweite antwortende Stimme oder den richtigen Gegenruf des Geistes. Und glaube mir, was ihr so oft in euerm männlichen Uebermuth unsere Dummheit oder Kurzsichtigkeit benennt, oder Mangel an Philosophie, Unfähigkeit, in die Wirklichkeit einzudringen, und dergleichen Phrasen mehr, das ist, wie oft, der echte Geisterdialog, die Ergänzung oder der harmonische Einklang in euer Seelengeheimniß. Aber freilich, die meisten Männer erfreuen sich nur eines

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/15>, abgerufen am 29.03.2024.