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Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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durchsichtig, so eins mit dem Becher, daß man wirklich versucht wird, zu glauben, man genieße den flüssig gewordenen Aether selbst. -- Unsre Mahlzeit ist geschlossen, umarmen wir uns.

Wir können auch zur Abwechselung, sagte sie, unsre Stühle an das Fenster rücken.

Platz genug haben wir ja, sagte der Mann, eine wahre Rennbahn, wenn ich an die Käfiche denke, die der elfte Ludwig für seine Verdächtigen bauen ließ. Es ist unglaublich, wie viel Glück schon darin liegt, daß man Arm und Fuß nach Gutdünken erheben kann. Zwar sind wir immer noch, wenn ich an die Wünsche denke, die unser Geist in manchen Stunden faßt, angekettet, die Psyche ist in die Leimruthe, die uns klebend hält und von der wir nicht losflattern können, weiß der Himmel wie, hineingesprungen, und wir und Ruthe sind nun so eins, daß wir zuweilen das Gefängniß unser besseres Selbst halten.

Nicht so tiefsinnig, sagte Clara und faßte seine schön geformte Hand mit ihren zarten und schlanken Fingern; sieh lieber, mit wie sonderbaren Eisblumen der Frost unsre Fenster ausgeschmückt hat. Meine Tante wollte immer behaupten, durch diese mit dickem Eise überzogenen Gläser werde das Zimmer wärmer, als wenn die Scheiben frei wären.

Es ist nicht unmöglich, sagte Heinrich; doch möchte ich auf diesen Glauben hin das Heizen nicht unterlassen. Am Ende könnten die Fenster von Eisschollen so dick

durchsichtig, so eins mit dem Becher, daß man wirklich versucht wird, zu glauben, man genieße den flüssig gewordenen Aether selbst. — Unsre Mahlzeit ist geschlossen, umarmen wir uns.

Wir können auch zur Abwechselung, sagte sie, unsre Stühle an das Fenster rücken.

Platz genug haben wir ja, sagte der Mann, eine wahre Rennbahn, wenn ich an die Käfiche denke, die der elfte Ludwig für seine Verdächtigen bauen ließ. Es ist unglaublich, wie viel Glück schon darin liegt, daß man Arm und Fuß nach Gutdünken erheben kann. Zwar sind wir immer noch, wenn ich an die Wünsche denke, die unser Geist in manchen Stunden faßt, angekettet, die Psyche ist in die Leimruthe, die uns klebend hält und von der wir nicht losflattern können, weiß der Himmel wie, hineingesprungen, und wir und Ruthe sind nun so eins, daß wir zuweilen das Gefängniß unser besseres Selbst halten.

Nicht so tiefsinnig, sagte Clara und faßte seine schön geformte Hand mit ihren zarten und schlanken Fingern; sieh lieber, mit wie sonderbaren Eisblumen der Frost unsre Fenster ausgeschmückt hat. Meine Tante wollte immer behaupten, durch diese mit dickem Eise überzogenen Gläser werde das Zimmer wärmer, als wenn die Scheiben frei wären.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:30:27Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:30:27Z)

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Des Lebens Überfluß. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–86. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_ueberfluss_1910/13>, abgerufen am 29.03.2024.