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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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man sie sieht, mag man sie nie anders sehn,
und doch vergißt man in jeder neuen Bewe¬
gung die vorige. Es ist mehr Wollust, sie
mit den Augen zu verfolgen, als in den Ar¬
men einer andern zu ruhn.

Nur Wein fehlt uns, rief Florestan aus,
die Liebe ist wenigstens im Bilde zugegen.

Wenn ich mir denke, sprach Roderigo er¬
hitzt weiter, daß sich ein andrer jetzt um ihre
Liebe bewirbt, daß sie ihn mit freundlichen
Augen anblickt, ich könnte unsinnig werden.
Ich bin auf jedermann böse, der ihr nur
vorübergeht: ich beneide das Gewand, das
ihren zarten Körper berührt und umschließt.
Ich bin lauter Eifersucht, und dennoch habe
ich sie verlassen können.

Ludoviko sagte: Du darfst Dich darüber
nicht verwundern. Ich bin nicht nur bei je¬
dem Mädchen, das ich liebte, eifersüchtig
gewesen, sondern auch bei jeder andern.

man ſie ſieht, mag man ſie nie anders ſehn,
und doch vergißt man in jeder neuen Bewe¬
gung die vorige. Es iſt mehr Wolluſt, ſie
mit den Augen zu verfolgen, als in den Ar¬
men einer andern zu ruhn.

Nur Wein fehlt uns, rief Floreſtan aus,
die Liebe iſt wenigſtens im Bilde zugegen.

Wenn ich mir denke, ſprach Roderigo er¬
hitzt weiter, daß ſich ein andrer jetzt um ihre
Liebe bewirbt, daß ſie ihn mit freundlichen
Augen anblickt, ich könnte unſinnig werden.
Ich bin auf jedermann böſe, der ihr nur
vorübergeht: ich beneide das Gewand, das
ihren zarten Körper berührt und umſchließt.
Ich bin lauter Eiferſucht, und dennoch habe
ich ſie verlaſſen können.

Ludoviko ſagte: Du darfſt Dich darüber
nicht verwundern. Ich bin nicht nur bei je¬
dem Mädchen, das ich liebte, eiferſüchtig
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[271/0279] man ſie ſieht, mag man ſie nie anders ſehn, und doch vergißt man in jeder neuen Bewe¬ gung die vorige. Es iſt mehr Wolluſt, ſie mit den Augen zu verfolgen, als in den Ar¬ men einer andern zu ruhn. Nur Wein fehlt uns, rief Floreſtan aus, die Liebe iſt wenigſtens im Bilde zugegen. Wenn ich mir denke, ſprach Roderigo er¬ hitzt weiter, daß ſich ein andrer jetzt um ihre Liebe bewirbt, daß ſie ihn mit freundlichen Augen anblickt, ich könnte unſinnig werden. Ich bin auf jedermann böſe, der ihr nur vorübergeht: ich beneide das Gewand, das ihren zarten Körper berührt und umſchließt. Ich bin lauter Eiferſucht, und dennoch habe ich ſie verlaſſen können. Ludoviko ſagte: Du darfſt Dich darüber nicht verwundern. Ich bin nicht nur bei je¬ dem Mädchen, das ich liebte, eiferſüchtig geweſen, ſondern auch bei jeder andern.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/279>, abgerufen am 27.11.2024.