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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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den und unten wieder in Pflanzen endigten:
Insekten und Gewürme, denen ich eine wun¬
dersame Ähnlichkeit mit menschlichen Charakte¬
ren aufdrücken wollte, so daß sie Gesinnun¬
gen und Leidenschaften possierlich und doch
furchtbar äußerten; ich würde die ganze sicht¬
bare Welt aufbieten, aus jedem das Selt¬
samste wählen, um ein Gemählde zu machen,
das Herz und Sinnen ergriffe, das Erstau¬
nen und Schauder erregte, und wovon man
noch nie etwas Ähnliches gesehn und gehört
hätte. Denn ich finde das an unsrer Kunst
zu tadeln, daß alle Meister ohngefähr nach
einem Ziele hinarbeiten, es ist alles gut und
löblich, aber es ist immer mit wenigen Ab¬
änderungen das Alte.

Franz war einen Augenblick stumm, dann
sagte er: Ihr würdet auf eine eigene Weise
das Gebiet unsrer Kunst erweitern, mit wun¬
derbaren Mitteln das Wunderbarste errin¬

den und unten wieder in Pflanzen endigten:
Inſekten und Gewürme, denen ich eine wun¬
derſame Ähnlichkeit mit menſchlichen Charakte¬
ren aufdrücken wollte, ſo daß ſie Geſinnun¬
gen und Leidenſchaften poſſierlich und doch
furchtbar äußerten; ich würde die ganze ſicht¬
bare Welt aufbieten, aus jedem das Selt¬
ſamſte wählen, um ein Gemählde zu machen,
das Herz und Sinnen ergriffe, das Erſtau¬
nen und Schauder erregte, und wovon man
noch nie etwas Ähnliches geſehn und gehört
hätte. Denn ich finde das an unſrer Kunſt
zu tadeln, daß alle Meiſter ohngefähr nach
einem Ziele hinarbeiten, es iſt alles gut und
löblich, aber es iſt immer mit wenigen Ab¬
änderungen das Alte.

Franz war einen Augenblick ſtumm, dann
ſagte er: Ihr würdet auf eine eigene Weiſe
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[242/0250] den und unten wieder in Pflanzen endigten: Inſekten und Gewürme, denen ich eine wun¬ derſame Ähnlichkeit mit menſchlichen Charakte¬ ren aufdrücken wollte, ſo daß ſie Geſinnun¬ gen und Leidenſchaften poſſierlich und doch furchtbar äußerten; ich würde die ganze ſicht¬ bare Welt aufbieten, aus jedem das Selt¬ ſamſte wählen, um ein Gemählde zu machen, das Herz und Sinnen ergriffe, das Erſtau¬ nen und Schauder erregte, und wovon man noch nie etwas Ähnliches geſehn und gehört hätte. Denn ich finde das an unſrer Kunſt zu tadeln, daß alle Meiſter ohngefähr nach einem Ziele hinarbeiten, es iſt alles gut und löblich, aber es iſt immer mit wenigen Ab¬ änderungen das Alte. Franz war einen Augenblick ſtumm, dann ſagte er: Ihr würdet auf eine eigene Weiſe das Gebiet unſrer Kunſt erweitern, mit wun¬ derbaren Mitteln das Wunderbarſte errin¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/250>, abgerufen am 25.04.2024.