Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

las seiner Pflegemutter einige fromme Ge¬
sänge aus einem alten Buche vor, das er
in seiner Kindheit sehr geliebt hatte. Die
frommen Gedanken und Ahndungen redeten
ihn wieder an wie damals, er betrachtete
sinnend den runden Tisch mit allen seinen
Furchen und Narben die ihm so wohl be¬
kannt waren, er fand die Figuren wieder
die er manchmal am Abend heimlich mit sei¬
nem Messer eingeritzt hatte, er lächelte über
diese ersten Versuche seiner Zeichenkunst.
Mutter, sagte er zu der alten Brigitte,
am künftigen Sonntage wird nun mein Ge¬
mählde in unsrer Kirche aufgestellt, da müßt
Ihr den Gottesdienst nicht versäumen. Ge¬
wiß nicht, mein Sohn, antwortete die Alte,
das neue Bild wird mir zu einer sonderli¬
chen Erbauung dienen; unser Altargemählde
ist kaum mehr zu erkennen, das erweckt
keine Rührung wenn man es ansieht. Aber

las ſeiner Pflegemutter einige fromme Ge¬
ſänge aus einem alten Buche vor, das er
in ſeiner Kindheit ſehr geliebt hatte. Die
frommen Gedanken und Ahndungen redeten
ihn wieder an wie damals, er betrachtete
ſinnend den runden Tiſch mit allen ſeinen
Furchen und Narben die ihm ſo wohl be¬
kannt waren, er fand die Figuren wieder
die er manchmal am Abend heimlich mit ſei¬
nem Meſſer eingeritzt hatte, er lächelte über
dieſe erſten Verſuche ſeiner Zeichenkunſt.
Mutter, ſagte er zu der alten Brigitte,
am künftigen Sonntage wird nun mein Ge¬
mählde in unſrer Kirche aufgeſtellt, da müßt
Ihr den Gottesdienſt nicht verſäumen. Ge¬
wiß nicht, mein Sohn, antwortete die Alte,
das neue Bild wird mir zu einer ſonderli¬
chen Erbauung dienen; unſer Altargemählde
iſt kaum mehr zu erkennen, das erweckt
keine Rührung wenn man es anſieht. Aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0135" n="124"/>
las &#x017F;einer Pflegemutter einige fromme Ge¬<lb/>
&#x017F;änge aus einem alten Buche vor, das er<lb/>
in &#x017F;einer Kindheit &#x017F;ehr geliebt hatte. Die<lb/>
frommen Gedanken und Ahndungen redeten<lb/>
ihn wieder an wie damals, er betrachtete<lb/>
&#x017F;innend den runden Ti&#x017F;ch mit allen &#x017F;einen<lb/>
Furchen und Narben die ihm &#x017F;o wohl be¬<lb/>
kannt waren, er fand die Figuren wieder<lb/>
die er manchmal am Abend heimlich mit &#x017F;ei¬<lb/>
nem Me&#x017F;&#x017F;er eingeritzt hatte, er lächelte über<lb/>
die&#x017F;e er&#x017F;ten Ver&#x017F;uche &#x017F;einer Zeichenkun&#x017F;t.<lb/>
Mutter, &#x017F;agte er zu der alten Brigitte,<lb/>
am künftigen Sonntage wird nun mein Ge¬<lb/>
mählde in un&#x017F;rer Kirche aufge&#x017F;tellt, da müßt<lb/>
Ihr den Gottesdien&#x017F;t nicht ver&#x017F;äumen. Ge¬<lb/>
wiß nicht, mein Sohn, antwortete die Alte,<lb/>
das neue Bild wird mir zu einer &#x017F;onderli¬<lb/>
chen Erbauung dienen; un&#x017F;er Altargemählde<lb/>
i&#x017F;t kaum mehr zu erkennen, das erweckt<lb/>
keine Rührung wenn man es an&#x017F;ieht. Aber<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0135] las ſeiner Pflegemutter einige fromme Ge¬ ſänge aus einem alten Buche vor, das er in ſeiner Kindheit ſehr geliebt hatte. Die frommen Gedanken und Ahndungen redeten ihn wieder an wie damals, er betrachtete ſinnend den runden Tiſch mit allen ſeinen Furchen und Narben die ihm ſo wohl be¬ kannt waren, er fand die Figuren wieder die er manchmal am Abend heimlich mit ſei¬ nem Meſſer eingeritzt hatte, er lächelte über dieſe erſten Verſuche ſeiner Zeichenkunſt. Mutter, ſagte er zu der alten Brigitte, am künftigen Sonntage wird nun mein Ge¬ mählde in unſrer Kirche aufgeſtellt, da müßt Ihr den Gottesdienſt nicht verſäumen. Ge¬ wiß nicht, mein Sohn, antwortete die Alte, das neue Bild wird mir zu einer ſonderli¬ chen Erbauung dienen; unſer Altargemählde iſt kaum mehr zu erkennen, das erweckt keine Rührung wenn man es anſieht. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/135
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/135>, abgerufen am 06.05.2024.