Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Er hatte es nun vollendet, und stand
lange nachdenkend und still vor seinem Wer¬
ke. Er empfand eine wunderbare Beklem¬
mung die er an sich nicht gewohnt war, es
ängstigte ihn, von dem theuren Werke, an
dem er mehrere Wochen mit so vieler Lie¬
be gearbeitet hatte, Abschied zu nehmen.
Das glänzende Bild der ersten Begeisterung
war während der Arbeit aus seiner Seele
gänzlich hinweggelöscht, und er fühlte dar¬
über eine trübe Leere in seinem Innern, die
er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem
Bilde wieder ausfüllen konnte. Ist es nicht
genug, sagte er zu sich selber, daß wir von
unsern lebenden Freunden scheiden müssen?
müssen auch noch jene befreundeten Lichter
in unsere Seele Abschied von uns neh¬
men? So gleicht unser Lebenslauf einem
Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren,
wo wir halb verrückt stets etwas Neues

Er hatte es nun vollendet, und ſtand
lange nachdenkend und ſtill vor ſeinem Wer¬
ke. Er empfand eine wunderbare Beklem¬
mung die er an ſich nicht gewohnt war, es
ängſtigte ihn, von dem theuren Werke, an
dem er mehrere Wochen mit ſo vieler Lie¬
be gearbeitet hatte, Abſchied zu nehmen.
Das glänzende Bild der erſten Begeiſterung
war während der Arbeit aus ſeiner Seele
gänzlich hinweggelöſcht, und er fühlte dar¬
über eine trübe Leere in ſeinem Innern, die
er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem
Bilde wieder ausfüllen konnte. Iſt es nicht
genug, ſagte er zu ſich ſelber, daß wir von
unſern lebenden Freunden ſcheiden müſſen?
müſſen auch noch jene befreundeten Lichter
in unſere Seele Abſchied von uns neh¬
men? So gleicht unſer Lebenslauf einem
Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren,
wo wir halb verrückt ſtets etwas Neues

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0132" n="121"/>
            <p>Er hatte es nun vollendet, und &#x017F;tand<lb/>
lange nachdenkend und &#x017F;till vor &#x017F;einem Wer¬<lb/>
ke. Er empfand eine wunderbare Beklem¬<lb/>
mung die er an &#x017F;ich nicht gewohnt war, es<lb/>
äng&#x017F;tigte ihn, von dem theuren Werke, an<lb/>
dem er mehrere Wochen mit &#x017F;o vieler Lie¬<lb/>
be gearbeitet hatte, Ab&#x017F;chied zu nehmen.<lb/>
Das glänzende Bild der er&#x017F;ten Begei&#x017F;terung<lb/>
war während der Arbeit aus &#x017F;einer Seele<lb/>
gänzlich hinweggelö&#x017F;cht, und er fühlte dar¬<lb/>
über eine trübe Leere in &#x017F;einem Innern, die<lb/>
er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem<lb/>
Bilde wieder ausfüllen konnte. I&#x017F;t es nicht<lb/>
genug, &#x017F;agte er zu &#x017F;ich &#x017F;elber, daß wir von<lb/>
un&#x017F;ern lebenden Freunden &#x017F;cheiden mü&#x017F;&#x017F;en?<lb/>&#x017F;&#x017F;en auch noch jene befreundeten Lichter<lb/>
in un&#x017F;ere Seele Ab&#x017F;chied von uns neh¬<lb/>
men? So gleicht un&#x017F;er Lebenslauf einem<lb/>
Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren,<lb/>
wo wir halb verrückt &#x017F;tets etwas Neues<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0132] Er hatte es nun vollendet, und ſtand lange nachdenkend und ſtill vor ſeinem Wer¬ ke. Er empfand eine wunderbare Beklem¬ mung die er an ſich nicht gewohnt war, es ängſtigte ihn, von dem theuren Werke, an dem er mehrere Wochen mit ſo vieler Lie¬ be gearbeitet hatte, Abſchied zu nehmen. Das glänzende Bild der erſten Begeiſterung war während der Arbeit aus ſeiner Seele gänzlich hinweggelöſcht, und er fühlte dar¬ über eine trübe Leere in ſeinem Innern, die er mit keinem neuen Entwurfe, mit keinem Bilde wieder ausfüllen konnte. Iſt es nicht genug, ſagte er zu ſich ſelber, daß wir von unſern lebenden Freunden ſcheiden müſſen? müſſen auch noch jene befreundeten Lichter in unſere Seele Abſchied von uns neh¬ men? So gleicht unſer Lebenslauf einem Spiele, in dem wir unaufhörlich verlieren, wo wir halb verrückt ſtets etwas Neues

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/132
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/132>, abgerufen am 06.05.2024.