Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.Fortunat. dieses glühenden Weins, und ich fürchte, das Heim-weh quält Dich, wie wir angelangt sind. Fortunat. Edler Herr, wenn ich meine Mei- nung sagen darf, so scheint mir das Menschenge- schlecht aus ruhigen, bürgerlichen, einheimischen Menschen, und aus jenen zu bestehen, die den Zug- vögeln gleichen, denen der Trieb zu wandern mit dem Frühling und Herbst erwacht, da jene den Spaz- zen und Krähen ähnlich sind, die bei demselben Zaun und Strauch verharren, und Nachtigall, Drossel und Storch thöricht nennen. Mein Trieb, die Hei- math zu verlassen, die übrige zu Welt sehn, und in sie hineinzureisen, je ferner je lieber, ist seit lange übermächtig in mir. Dann bin ich auch nicht so ohne Unterricht, daß ich nicht wissen sollte, daß bei Euch, gnädigster Herr, die Sonne zwar nicht so heiß und lange scheint, daß Ihr aber dafür im Winter Eure Stuben warm und anmuthig zu ma- chen wißt, daß man bei Euch die Weine trinkt, die man auswärts baut, und besser als in Cypern und Spanien, daß man fröhlich lebt, und zwar nicht die Tafel in so großen Marmorsälen aufstellt, sie aber dafür in den hölzernen Zimmern um so besser besetzt. Kurz, gnädiger Herr, wenn Ihr mich ir- gend brauchen könnt, so ersuche ich euch nochmals demüthigst, laßt mir die Gnade widerfahren, mich zu Eurem Gefolge rechnen zu dürfen. Graf. Nun so folge mir denn, Fortunat, der Wind ist günstig, alles ist zur Abfahrt bereit. (gehn ab.) Fortunat. dieſes gluͤhenden Weins, und ich fuͤrchte, das Heim-weh quaͤlt Dich, wie wir angelangt ſind. Fortunat. Edler Herr, wenn ich meine Mei- nung ſagen darf, ſo ſcheint mir das Menſchenge- ſchlecht aus ruhigen, buͤrgerlichen, einheimiſchen Menſchen, und aus jenen zu beſtehen, die den Zug- voͤgeln gleichen, denen der Trieb zu wandern mit dem Fruͤhling und Herbſt erwacht, da jene den Spaz- zen und Kraͤhen aͤhnlich ſind, die bei demſelben Zaun und Strauch verharren, und Nachtigall, Droſſel und Storch thoͤricht nennen. Mein Trieb, die Hei- math zu verlaſſen, die uͤbrige zu Welt ſehn, und in ſie hineinzureiſen, je ferner je lieber, iſt ſeit lange uͤbermaͤchtig in mir. Dann bin ich auch nicht ſo ohne Unterricht, daß ich nicht wiſſen ſollte, daß bei Euch, gnaͤdigſter Herr, die Sonne zwar nicht ſo heiß und lange ſcheint, daß Ihr aber dafuͤr im Winter Eure Stuben warm und anmuthig zu ma- chen wißt, daß man bei Euch die Weine trinkt, die man auswaͤrts baut, und beſſer als in Cypern und Spanien, daß man froͤhlich lebt, und zwar nicht die Tafel in ſo großen Marmorſaͤlen aufſtellt, ſie aber dafuͤr in den hoͤlzernen Zimmern um ſo beſſer beſetzt. Kurz, gnaͤdiger Herr, wenn Ihr mich ir- gend brauchen koͤnnt, ſo erſuche ich euch nochmals demuͤthigſt, laßt mir die Gnade widerfahren, mich zu Eurem Gefolge rechnen zu duͤrfen. Graf. Nun ſo folge mir denn, Fortunat, der Wind iſt guͤnſtig, alles iſt zur Abfahrt bereit. (gehn ab.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <sp who="#GRAF"> <p><pb facs="#f0031" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fortunat</hi>.</fw><lb/> dieſes gluͤhenden Weins, und ich fuͤrchte, das Heim-<lb/> weh quaͤlt Dich, wie wir angelangt ſind.</p> </sp><lb/> <sp who="#FORT"> <speaker><hi rendition="#g">Fortunat</hi>.</speaker> <p>Edler Herr, wenn ich meine Mei-<lb/> nung ſagen darf, ſo ſcheint mir das Menſchenge-<lb/> ſchlecht aus ruhigen, buͤrgerlichen, einheimiſchen<lb/> Menſchen, und aus jenen zu beſtehen, die den Zug-<lb/> voͤgeln gleichen, denen der Trieb zu wandern mit<lb/> dem Fruͤhling und Herbſt erwacht, da jene den Spaz-<lb/> zen und Kraͤhen aͤhnlich ſind, die bei demſelben Zaun<lb/> und Strauch verharren, und Nachtigall, Droſſel<lb/> und Storch thoͤricht nennen. Mein Trieb, die Hei-<lb/> math zu verlaſſen, die uͤbrige zu Welt ſehn, und in<lb/> ſie hineinzureiſen, je ferner je lieber, iſt ſeit lange<lb/> uͤbermaͤchtig in mir. Dann bin ich auch nicht ſo<lb/> ohne Unterricht, daß ich nicht wiſſen ſollte, daß bei<lb/> Euch, gnaͤdigſter Herr, die Sonne zwar nicht ſo<lb/> heiß und lange ſcheint, daß Ihr aber dafuͤr im<lb/> Winter Eure Stuben warm und anmuthig zu ma-<lb/> chen wißt, daß man bei Euch die Weine trinkt,<lb/> die man auswaͤrts baut, und beſſer als in Cypern<lb/> und Spanien, daß man froͤhlich lebt, und zwar nicht<lb/> die Tafel in ſo großen Marmorſaͤlen aufſtellt, ſie<lb/> aber dafuͤr in den hoͤlzernen Zimmern um ſo beſſer<lb/> beſetzt. Kurz, gnaͤdiger Herr, wenn Ihr mich ir-<lb/> gend brauchen koͤnnt, ſo erſuche ich euch nochmals<lb/> demuͤthigſt, laßt mir die Gnade widerfahren, mich<lb/> zu Eurem Gefolge rechnen zu duͤrfen.</p> </sp><lb/> <sp who="#GRAF"> <speaker><hi rendition="#g">Graf</hi>.</speaker> <p>Nun ſo folge mir denn, Fortunat, der<lb/> Wind iſt guͤnſtig, alles iſt zur Abfahrt bereit.</p><lb/> <stage> <hi rendition="#et">(gehn ab.)</hi> </stage> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0031]
Fortunat.
dieſes gluͤhenden Weins, und ich fuͤrchte, das Heim-
weh quaͤlt Dich, wie wir angelangt ſind.
Fortunat. Edler Herr, wenn ich meine Mei-
nung ſagen darf, ſo ſcheint mir das Menſchenge-
ſchlecht aus ruhigen, buͤrgerlichen, einheimiſchen
Menſchen, und aus jenen zu beſtehen, die den Zug-
voͤgeln gleichen, denen der Trieb zu wandern mit
dem Fruͤhling und Herbſt erwacht, da jene den Spaz-
zen und Kraͤhen aͤhnlich ſind, die bei demſelben Zaun
und Strauch verharren, und Nachtigall, Droſſel
und Storch thoͤricht nennen. Mein Trieb, die Hei-
math zu verlaſſen, die uͤbrige zu Welt ſehn, und in
ſie hineinzureiſen, je ferner je lieber, iſt ſeit lange
uͤbermaͤchtig in mir. Dann bin ich auch nicht ſo
ohne Unterricht, daß ich nicht wiſſen ſollte, daß bei
Euch, gnaͤdigſter Herr, die Sonne zwar nicht ſo
heiß und lange ſcheint, daß Ihr aber dafuͤr im
Winter Eure Stuben warm und anmuthig zu ma-
chen wißt, daß man bei Euch die Weine trinkt,
die man auswaͤrts baut, und beſſer als in Cypern
und Spanien, daß man froͤhlich lebt, und zwar nicht
die Tafel in ſo großen Marmorſaͤlen aufſtellt, ſie
aber dafuͤr in den hoͤlzernen Zimmern um ſo beſſer
beſetzt. Kurz, gnaͤdiger Herr, wenn Ihr mich ir-
gend brauchen koͤnnt, ſo erſuche ich euch nochmals
demuͤthigſt, laßt mir die Gnade widerfahren, mich
zu Eurem Gefolge rechnen zu duͤrfen.
Graf. Nun ſo folge mir denn, Fortunat, der
Wind iſt guͤnſtig, alles iſt zur Abfahrt bereit.
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