Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweite Abtheilung.

Man trennte sich, weil Emilie ermüdet war,
Friedrich sehnte sich nach seinem einsamen Zim-
mer, auch Wilibald und Auguste sagten den
Uebrigen gute Nacht. Manfred entfernte sich
unter allerhand Vorwänden, um den fremden
Fuhrmann abzufertigen und den mürrischen Wal-
ther vom Gebirge herab zu holen, damit er ihn
am Morgen der Gesellschaft als einen neuen
Gast vorstellen könne. Clara war etwas ver-
legen, weil sie gern Rosalien das Geheimniß
entdeckt hätte, doch fürchtete sie Manfred, auch
war ihr Lothar im Wege. Dieser nahm das
Gespräch auf und sagte: wenige Tage haben
mir so reine Freude gemacht, als der heutige.
Die Menschen sind sonderbar und voller Wi-
dersprüche. Sie wollen in ferne Gegenden, in
vergangene Zeiten hinein geführt werden, alle
wünschen, daß ihnen der Traum des Lebens
sich auffrische, und wenn sie nun durch ein un-
schuldiges, heitres und bizarres Wesen in die
frohe Laune unsrer Vorfahren, die gewiß nicht
zu verachten waren, hinein gefahren werden,
so stellen sie sich ungeberdig, und wollen mit
aller Gewalt aussteigen. Sehn wir denn in
diesen Späßen, in dieser ungeschickten aber der-
ben Zusammensetzung, in dieser nicht vorneh-
men aber frischen Luftigkeit nicht auch eine in-
teressante Vorwelt, und steht es uns denn nicht
frei, noch weit mehr zu ahnden und mit unsrer
Phantasie zu erschaffen, als uns vom frohen
Zweite Abtheilung.

Man trennte ſich, weil Emilie ermuͤdet war,
Friedrich ſehnte ſich nach ſeinem einſamen Zim-
mer, auch Wilibald und Auguſte ſagten den
Uebrigen gute Nacht. Manfred entfernte ſich
unter allerhand Vorwaͤnden, um den fremden
Fuhrmann abzufertigen und den muͤrriſchen Wal-
ther vom Gebirge herab zu holen, damit er ihn
am Morgen der Geſellſchaft als einen neuen
Gaſt vorſtellen koͤnne. Clara war etwas ver-
legen, weil ſie gern Roſalien das Geheimniß
entdeckt haͤtte, doch fuͤrchtete ſie Manfred, auch
war ihr Lothar im Wege. Dieſer nahm das
Geſpraͤch auf und ſagte: wenige Tage haben
mir ſo reine Freude gemacht, als der heutige.
Die Menſchen ſind ſonderbar und voller Wi-
derſpruͤche. Sie wollen in ferne Gegenden, in
vergangene Zeiten hinein gefuͤhrt werden, alle
wuͤnſchen, daß ihnen der Traum des Lebens
ſich auffriſche, und wenn ſie nun durch ein un-
ſchuldiges, heitres und bizarres Weſen in die
frohe Laune unſrer Vorfahren, die gewiß nicht
zu verachten waren, hinein gefahren werden,
ſo ſtellen ſie ſich ungeberdig, und wollen mit
aller Gewalt ausſteigen. Sehn wir denn in
dieſen Spaͤßen, in dieſer ungeſchickten aber der-
ben Zuſammenſetzung, in dieſer nicht vorneh-
men aber friſchen Luftigkeit nicht auch eine in-
tereſſante Vorwelt, und ſteht es uns denn nicht
frei, noch weit mehr zu ahnden und mit unſrer
Phantaſie zu erſchaffen, als uns vom frohen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <sp who="#VAL">
                <pb facs="#f0252" n="242"/>
                <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
                <p>Man trennte &#x017F;ich, weil Emilie ermu&#x0364;det war,<lb/>
Friedrich &#x017F;ehnte &#x017F;ich nach &#x017F;einem ein&#x017F;amen Zim-<lb/>
mer, auch Wilibald und Augu&#x017F;te &#x017F;agten den<lb/>
Uebrigen gute Nacht. Manfred entfernte &#x017F;ich<lb/>
unter allerhand Vorwa&#x0364;nden, um den fremden<lb/>
Fuhrmann abzufertigen und den mu&#x0364;rri&#x017F;chen Wal-<lb/>
ther vom Gebirge herab zu holen, damit er ihn<lb/>
am Morgen der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft als einen neuen<lb/>
Ga&#x017F;t vor&#x017F;tellen ko&#x0364;nne. Clara war etwas ver-<lb/>
legen, weil &#x017F;ie gern Ro&#x017F;alien das Geheimniß<lb/>
entdeckt ha&#x0364;tte, doch fu&#x0364;rchtete &#x017F;ie Manfred, auch<lb/>
war ihr Lothar im Wege. Die&#x017F;er nahm das<lb/>
Ge&#x017F;pra&#x0364;ch auf und &#x017F;agte: wenige Tage haben<lb/>
mir &#x017F;o reine Freude gemacht, als der heutige.<lb/>
Die Men&#x017F;chen &#x017F;ind &#x017F;onderbar und voller Wi-<lb/>
der&#x017F;pru&#x0364;che. Sie wollen in ferne Gegenden, in<lb/>
vergangene Zeiten hinein gefu&#x0364;hrt werden, alle<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß ihnen der Traum des Lebens<lb/>
&#x017F;ich auffri&#x017F;che, und wenn &#x017F;ie nun durch ein un-<lb/>
&#x017F;chuldiges, heitres und bizarres We&#x017F;en in die<lb/>
frohe Laune un&#x017F;rer Vorfahren, die gewiß nicht<lb/>
zu verachten waren, hinein gefahren werden,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tellen &#x017F;ie &#x017F;ich ungeberdig, und wollen mit<lb/>
aller Gewalt aus&#x017F;teigen. Sehn wir denn in<lb/>
die&#x017F;en Spa&#x0364;ßen, in die&#x017F;er unge&#x017F;chickten aber der-<lb/>
ben Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung, in die&#x017F;er nicht vorneh-<lb/>
men aber fri&#x017F;chen Luftigkeit nicht auch eine in-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;ante Vorwelt, und &#x017F;teht es uns denn nicht<lb/>
frei, noch weit mehr zu ahnden und mit un&#x017F;rer<lb/>
Phanta&#x017F;ie zu er&#x017F;chaffen, als uns vom frohen<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[242/0252] Zweite Abtheilung. Man trennte ſich, weil Emilie ermuͤdet war, Friedrich ſehnte ſich nach ſeinem einſamen Zim- mer, auch Wilibald und Auguſte ſagten den Uebrigen gute Nacht. Manfred entfernte ſich unter allerhand Vorwaͤnden, um den fremden Fuhrmann abzufertigen und den muͤrriſchen Wal- ther vom Gebirge herab zu holen, damit er ihn am Morgen der Geſellſchaft als einen neuen Gaſt vorſtellen koͤnne. Clara war etwas ver- legen, weil ſie gern Roſalien das Geheimniß entdeckt haͤtte, doch fuͤrchtete ſie Manfred, auch war ihr Lothar im Wege. Dieſer nahm das Geſpraͤch auf und ſagte: wenige Tage haben mir ſo reine Freude gemacht, als der heutige. Die Menſchen ſind ſonderbar und voller Wi- derſpruͤche. Sie wollen in ferne Gegenden, in vergangene Zeiten hinein gefuͤhrt werden, alle wuͤnſchen, daß ihnen der Traum des Lebens ſich auffriſche, und wenn ſie nun durch ein un- ſchuldiges, heitres und bizarres Weſen in die frohe Laune unſrer Vorfahren, die gewiß nicht zu verachten waren, hinein gefahren werden, ſo ſtellen ſie ſich ungeberdig, und wollen mit aller Gewalt ausſteigen. Sehn wir denn in dieſen Spaͤßen, in dieſer ungeſchickten aber der- ben Zuſammenſetzung, in dieſer nicht vorneh- men aber friſchen Luftigkeit nicht auch eine in- tereſſante Vorwelt, und ſteht es uns denn nicht frei, noch weit mehr zu ahnden und mit unſrer Phantaſie zu erſchaffen, als uns vom frohen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/252
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 3. Berlin, 1816, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus03_1816/252>, abgerufen am 24.11.2024.