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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Mannigfaltigkeit, Glanz, ein blendendes Wesen
hervorzubringen, das nichts Ideales hat; das Le-
der soll glänzen, die Sohle soll knarren, elendes
Reimwesen, diese Consonanz beim Auftritt; nichts,
davon wußten jene Alten, nichts.
Alfred. Ihr sprecht so als Kenner, daß ich
Euch fast beipflichten muß.
Zahn. Mein Seel, es sind ein Paar Stie-
feln von denen, die ehemals Minerva oder Mer-
kur getragen haben. Erinnern Sie sich nicht, daß
diese Personen mit Einem Schritt vom Olymp
hingelangten, wohin sie nur wollten, und wenn
es funfzig, sechzig Meilen waren? Wie läßt sich
denn das anders begreifen, als mit solchen Stie-
feln, wie wir sie hier vor Augen haben? Seitdem
hat ihre Kraft abgenommen, denn jedesmal, daß
sie geflickt, oder versohlt werden müssen, verlieren
sie eine Meile. Sehn Sie, so löst sich ja alles
vortreflich, einfach und symbolisch auf, ohne die
Fratzen vom Merlin und Zauberei, Ausgeburten
unsrer abergläubischen Vorfahren. Nun ich diese
Stiefeln wieder ausgebessert habe, machen sie von
jetzt nur sechs Meilen mit jedem Schritt. Ich
muß sie nur gleich an den Hof schicken, denn sie
kommen auf die Kunstausstellung.
Alfred. Was sind das für Stiefeln, welche
dorten hängen?
Zahn. Die kommen auch auf die Ausstel-
lung. Verstehn Sie, Herr Direktor, ich bin we-
gen meiner guten dauerhaften Arbeit weit und breit
berühmt; und warum? Ich habe mich nach den
Zweite Abtheilung.
Mannigfaltigkeit, Glanz, ein blendendes Weſen
hervorzubringen, das nichts Ideales hat; das Le-
der ſoll glaͤnzen, die Sohle ſoll knarren, elendes
Reimweſen, dieſe Conſonanz beim Auftritt; nichts,
davon wußten jene Alten, nichts.
Alfred. Ihr ſprecht ſo als Kenner, daß ich
Euch faſt beipflichten muß.
Zahn. Mein Seel, es ſind ein Paar Stie-
feln von denen, die ehemals Minerva oder Mer-
kur getragen haben. Erinnern Sie ſich nicht, daß
dieſe Perſonen mit Einem Schritt vom Olymp
hingelangten, wohin ſie nur wollten, und wenn
es funfzig, ſechzig Meilen waren? Wie laͤßt ſich
denn das anders begreifen, als mit ſolchen Stie-
feln, wie wir ſie hier vor Augen haben? Seitdem
hat ihre Kraft abgenommen, denn jedesmal, daß
ſie geflickt, oder verſohlt werden muͤſſen, verlieren
ſie eine Meile. Sehn Sie, ſo loͤſt ſich ja alles
vortreflich, einfach und ſymboliſch auf, ohne die
Fratzen vom Merlin und Zauberei, Ausgeburten
unſrer aberglaͤubiſchen Vorfahren. Nun ich dieſe
Stiefeln wieder ausgebeſſert habe, machen ſie von
jetzt nur ſechs Meilen mit jedem Schritt. Ich
muß ſie nur gleich an den Hof ſchicken, denn ſie
kommen auf die Kunſtausſtellung.
Alfred. Was ſind das fuͤr Stiefeln, welche
dorten haͤngen?
Zahn. Die kommen auch auf die Ausſtel-
lung. Verſtehn Sie, Herr Direktor, ich bin we-
gen meiner guten dauerhaften Arbeit weit und breit
beruͤhmt; und warum? Ich habe mich nach den
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[536/0545] Zweite Abtheilung. Mannigfaltigkeit, Glanz, ein blendendes Weſen hervorzubringen, das nichts Ideales hat; das Le- der ſoll glaͤnzen, die Sohle ſoll knarren, elendes Reimweſen, dieſe Conſonanz beim Auftritt; nichts, davon wußten jene Alten, nichts. Alfred. Ihr ſprecht ſo als Kenner, daß ich Euch faſt beipflichten muß. Zahn. Mein Seel, es ſind ein Paar Stie- feln von denen, die ehemals Minerva oder Mer- kur getragen haben. Erinnern Sie ſich nicht, daß dieſe Perſonen mit Einem Schritt vom Olymp hingelangten, wohin ſie nur wollten, und wenn es funfzig, ſechzig Meilen waren? Wie laͤßt ſich denn das anders begreifen, als mit ſolchen Stie- feln, wie wir ſie hier vor Augen haben? Seitdem hat ihre Kraft abgenommen, denn jedesmal, daß ſie geflickt, oder verſohlt werden muͤſſen, verlieren ſie eine Meile. Sehn Sie, ſo loͤſt ſich ja alles vortreflich, einfach und ſymboliſch auf, ohne die Fratzen vom Merlin und Zauberei, Ausgeburten unſrer aberglaͤubiſchen Vorfahren. Nun ich dieſe Stiefeln wieder ausgebeſſert habe, machen ſie von jetzt nur ſechs Meilen mit jedem Schritt. Ich muß ſie nur gleich an den Hof ſchicken, denn ſie kommen auf die Kunſtausſtellung. Alfred. Was ſind das fuͤr Stiefeln, welche dorten haͤngen? Zahn. Die kommen auch auf die Ausſtel- lung. Verſtehn Sie, Herr Direktor, ich bin we- gen meiner guten dauerhaften Arbeit weit und breit beruͤhmt; und warum? Ich habe mich nach den

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/545>, abgerufen am 23.11.2024.