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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Semmelziege.
Einst, als des Thorus heilig Lager uns umfing,
Am Himmel glanzvoll prangte Lunas keuscher
Schein,
Der goldnen Aphrodite Gab' erwünschend mir
Von silberweißen Armen ich umflochten lag,
Schon denkend, welch ein Wunderkind so holder
Nacht,
Welch Vaterlandserretter, kraftgepanzert, soll
Dem zarten Leib entsprießen nach der Horen Tanz,
Fühl ich am Rücken hinter mir gar sanften Schlag:
Da wähn' ich Liebsgekose neckt die Schulter mir,
Und lächle fromm die süße Braut und sinnig an:
Bald naht mir der Enttäuschung grauser Höllen-
schmerz,
Das Strickzeug tanzt auf meinem Rücken thätig
fort,
Ja stand das Werk just in der Ferse Beugung, wo
Der Kundigste, ob vielem Zählen, selber pfuscht.
Persiwein. Das ist aber himmelschreiend!
Semmelziege.
So ging ich von ihr, mit Verzweiflung rin-
gend wild,
Zum Wald hier kam ich, wo mein Schicksal sich
entschied.
Alfred. So gehts den Schwärmern fast
immer, die sich nicht zeitig in die Wirklichkeit fü-
gen lernen.
Stimme (von unten). Semmelziege!
Alfred. Was ist das?
Semmelziege. Der Bösewicht ruft, er hat
Zweite Abtheilung.
Semmelziege.
Einſt, als des Thorus heilig Lager uns umfing,
Am Himmel glanzvoll prangte Lunas keuſcher
Schein,
Der goldnen Aphrodite Gab' erwuͤnſchend mir
Von ſilberweißen Armen ich umflochten lag,
Schon denkend, welch ein Wunderkind ſo holder
Nacht,
Welch Vaterlandserretter, kraftgepanzert, ſoll
Dem zarten Leib entſprießen nach der Horen Tanz,
Fuͤhl ich am Ruͤcken hinter mir gar ſanften Schlag:
Da waͤhn' ich Liebsgekoſe neckt die Schulter mir,
Und laͤchle fromm die ſuͤße Braut und ſinnig an:
Bald naht mir der Enttaͤuſchung grauſer Hoͤllen-
ſchmerz,
Das Strickzeug tanzt auf meinem Ruͤcken thaͤtig
fort,
Ja ſtand das Werk juſt in der Ferſe Beugung, wo
Der Kundigſte, ob vielem Zaͤhlen, ſelber pfuſcht.
Perſiwein. Das iſt aber himmelſchreiend!
Semmelziege.
So ging ich von ihr, mit Verzweiflung rin-
gend wild,
Zum Wald hier kam ich, wo mein Schickſal ſich
entſchied.
Alfred. So gehts den Schwaͤrmern faſt
immer, die ſich nicht zeitig in die Wirklichkeit fuͤ-
gen lernen.
Stimme (von unten). Semmelziege!
Alfred. Was iſt das?
Semmelziege. Der Boͤſewicht ruft, er hat
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[468/0477] Zweite Abtheilung. Semmelziege. Einſt, als des Thorus heilig Lager uns umfing, Am Himmel glanzvoll prangte Lunas keuſcher Schein, Der goldnen Aphrodite Gab' erwuͤnſchend mir Von ſilberweißen Armen ich umflochten lag, Schon denkend, welch ein Wunderkind ſo holder Nacht, Welch Vaterlandserretter, kraftgepanzert, ſoll Dem zarten Leib entſprießen nach der Horen Tanz, Fuͤhl ich am Ruͤcken hinter mir gar ſanften Schlag: Da waͤhn' ich Liebsgekoſe neckt die Schulter mir, Und laͤchle fromm die ſuͤße Braut und ſinnig an: Bald naht mir der Enttaͤuſchung grauſer Hoͤllen- ſchmerz, Das Strickzeug tanzt auf meinem Ruͤcken thaͤtig fort, Ja ſtand das Werk juſt in der Ferſe Beugung, wo Der Kundigſte, ob vielem Zaͤhlen, ſelber pfuſcht. Perſiwein. Das iſt aber himmelſchreiend! Semmelziege. So ging ich von ihr, mit Verzweiflung rin- gend wild, Zum Wald hier kam ich, wo mein Schickſal ſich entſchied. Alfred. So gehts den Schwaͤrmern faſt immer, die ſich nicht zeitig in die Wirklichkeit fuͤ- gen lernen. Stimme (von unten). Semmelziege! Alfred. Was iſt das? Semmelziege. Der Boͤſewicht ruft, er hat

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/477>, abgerufen am 25.11.2024.