Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Däumchen.
Alfred. Also bist Du kurirt und ein ver-
nünftiger Mensch geworden?
Semmelziege.
O Freund, dahin auf ewig sind die Tage,
Als ich des Adlers Fittig mir gewünscht,
Das Morgenroth zu rühren mit der Scheitel,
Erfüllung übervoll der Jugendtriebe
Ward mir, die Liebe fand die Gegenliebe.
Alfred. Das halte der Henker aus. Kerl,
laß Dich doch in verständliches Deutsch übersetzen.
Semmelziege.
So hört, vernehmt, erstaunt, erstarrt, versteint,
Und zittert, klagt, schluchzt, knirscht, schreit, heult und
weint!
Alfred. Adieu. Er ist ärger geworden als er
war.
Semmelziege.
Wie soll ichs sagen, welche Worte finden?
Vernehmt: da unten wohnt in kleiner Hütte,
Versteckt von Waiden, Birken, hellen Buchen,
Ein Bösewicht, der mit dem fremden Heer
Zum wilden Krieg, der unser Land verheert,
An dieses Ufer trat; wild, ungebändigt,
Entwich er von der Schaar als Marodeur,
Ließ sich in dieser Wildniß nieder, raubt,
Und als ich einst am schönen Frühlingsmorgen
Den Hain durchirrend wilde Blumen breche --
Alfred. Giebts auch Pilze dort?
Semmelziege. Rothgesprenkelte, blauge-
sprenkelte, und die grauen ebenfalls.
Alfred. Sind eben nicht die seltensten, ich
Daͤumchen.
Alfred. Alſo biſt Du kurirt und ein ver-
nuͤnftiger Menſch geworden?
Semmelziege.
O Freund, dahin auf ewig ſind die Tage,
Als ich des Adlers Fittig mir gewuͤnſcht,
Das Morgenroth zu ruͤhren mit der Scheitel,
Erfuͤllung uͤbervoll der Jugendtriebe
Ward mir, die Liebe fand die Gegenliebe.
Alfred. Das halte der Henker aus. Kerl,
laß Dich doch in verſtaͤndliches Deutſch uͤberſetzen.
Semmelziege.
So hoͤrt, vernehmt, erſtaunt, erſtarrt, verſteint,
Und zittert, klagt, ſchluchzt, knirſcht, ſchreit, heult und
weint!
Alfred. Adieu. Er iſt aͤrger geworden als er
war.
Semmelziege.
Wie ſoll ichs ſagen, welche Worte finden?
Vernehmt: da unten wohnt in kleiner Huͤtte,
Verſteckt von Waiden, Birken, hellen Buchen,
Ein Boͤſewicht, der mit dem fremden Heer
Zum wilden Krieg, der unſer Land verheert,
An dieſes Ufer trat; wild, ungebaͤndigt,
Entwich er von der Schaar als Marodeur,
Ließ ſich in dieſer Wildniß nieder, raubt,
Und als ich einſt am ſchoͤnen Fruͤhlingsmorgen
Den Hain durchirrend wilde Blumen breche —
Alfred. Giebts auch Pilze dort?
Semmelziege. Rothgeſprenkelte, blauge-
ſprenkelte, und die grauen ebenfalls.
Alfred. Sind eben nicht die ſeltenſten, ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0472" n="463"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Da&#x0364;umchen</hi>.</fw><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Al&#x017F;o bi&#x017F;t Du kurirt und ein ver-<lb/>
nu&#x0364;nftiger Men&#x017F;ch geworden?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#SEM">
                <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker><lb/>
                <p>O Freund, dahin auf ewig &#x017F;ind die Tage,<lb/>
Als ich des Adlers Fittig mir gewu&#x0364;n&#x017F;cht,<lb/>
Das Morgenroth zu ru&#x0364;hren mit der Scheitel,<lb/>
Erfu&#x0364;llung u&#x0364;bervoll der Jugendtriebe<lb/>
Ward mir, die Liebe fand die Gegenliebe.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Das halte der Henker aus. Kerl,<lb/>
laß Dich doch in ver&#x017F;ta&#x0364;ndliches Deut&#x017F;ch u&#x0364;ber&#x017F;etzen.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#SEM">
                <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker><lb/>
                <p>So ho&#x0364;rt, vernehmt, er&#x017F;taunt, er&#x017F;tarrt, ver&#x017F;teint,<lb/>
Und zittert, klagt, &#x017F;chluchzt, knir&#x017F;cht, &#x017F;chreit, heult und<lb/><hi rendition="#et">weint!</hi></p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Adieu. Er i&#x017F;t a&#x0364;rger geworden als er<lb/>
war.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#SEM">
                <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker><lb/>
                <p>Wie &#x017F;oll ichs &#x017F;agen, welche Worte finden?<lb/>
Vernehmt: da unten wohnt in kleiner Hu&#x0364;tte,<lb/>
Ver&#x017F;teckt von Waiden, Birken, hellen Buchen,<lb/>
Ein Bo&#x0364;&#x017F;ewicht, der mit dem fremden Heer<lb/>
Zum wilden Krieg, der un&#x017F;er Land verheert,<lb/>
An die&#x017F;es Ufer trat; wild, ungeba&#x0364;ndigt,<lb/>
Entwich er von der Schaar als Marodeur,<lb/>
Ließ &#x017F;ich in die&#x017F;er Wildniß nieder, raubt,<lb/>
Und als ich ein&#x017F;t am &#x017F;cho&#x0364;nen Fru&#x0364;hlingsmorgen<lb/>
Den Hain durchirrend wilde Blumen breche &#x2014;</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Giebts auch Pilze dort?</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#SEM">
                <speaker><hi rendition="#g">Semmelziege</hi>.</speaker>
                <p>Rothge&#x017F;prenkelte, blauge-<lb/>
&#x017F;prenkelte, und die grauen ebenfalls.</p>
              </sp><lb/>
              <sp who="#ALF">
                <speaker><hi rendition="#g">Alfred</hi>.</speaker>
                <p>Sind eben nicht die &#x017F;elten&#x017F;ten, ich<lb/></p>
              </sp>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0472] Daͤumchen. Alfred. Alſo biſt Du kurirt und ein ver- nuͤnftiger Menſch geworden? Semmelziege. O Freund, dahin auf ewig ſind die Tage, Als ich des Adlers Fittig mir gewuͤnſcht, Das Morgenroth zu ruͤhren mit der Scheitel, Erfuͤllung uͤbervoll der Jugendtriebe Ward mir, die Liebe fand die Gegenliebe. Alfred. Das halte der Henker aus. Kerl, laß Dich doch in verſtaͤndliches Deutſch uͤberſetzen. Semmelziege. So hoͤrt, vernehmt, erſtaunt, erſtarrt, verſteint, Und zittert, klagt, ſchluchzt, knirſcht, ſchreit, heult und weint! Alfred. Adieu. Er iſt aͤrger geworden als er war. Semmelziege. Wie ſoll ichs ſagen, welche Worte finden? Vernehmt: da unten wohnt in kleiner Huͤtte, Verſteckt von Waiden, Birken, hellen Buchen, Ein Boͤſewicht, der mit dem fremden Heer Zum wilden Krieg, der unſer Land verheert, An dieſes Ufer trat; wild, ungebaͤndigt, Entwich er von der Schaar als Marodeur, Ließ ſich in dieſer Wildniß nieder, raubt, Und als ich einſt am ſchoͤnen Fruͤhlingsmorgen Den Hain durchirrend wilde Blumen breche — Alfred. Giebts auch Pilze dort? Semmelziege. Rothgeſprenkelte, blauge- ſprenkelte, und die grauen ebenfalls. Alfred. Sind eben nicht die ſeltenſten, ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/472
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/472>, abgerufen am 20.05.2024.