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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Zweite Abtheilung.
Theater wieder zur Besinnung, und diese Dinge
könnten als selbstständige geschmackvoller ausge-
bildet werden. Aber wir erleben es noch, daß
Feuerwerk, Luftfahrt, Seiltänzerei und Reiter-
künste alles in einem Ritter- oder Zauberstück
auf dem Theater produzirt wird.

Die Feuerwerkskunst, sagte Theodor, ist
schon unerlaßlich. Vor einigen Jahren gefiel in
London ein Schauspiel ungemein, weil es mit
dem Sturm einer Vestung endigte und ein Theil
der Stadt und der Werke mit großer Wirkung
in die Luft gesprengt wurde. Der dumpfe Mü-
ßiggang ist dort auch so übersättigt, daß ein
andres Stück nur wegen Eines erhebenden Mo-
mentes den größten Zulauf hatte, indem auf
dem Theater selbst ein wirklicher großer Pudel
einen Menschen aus dem Wasser rettete. Fast
muß ich fürchten, daß jener Hund durch den
allgemeinen Applaus für seine gewöhnliche Be-
stimmung ist verdorben worden, und ausschlie-
ßend nur der Kunst hat leben mögen.

Nachher ist man auf das Raffinement ver-
fallen, fuhr Lothar fort, um den großen Mei-
sterwerken wieder einigen Geschmack abzugewin-
nen, unter den gewöhnlichen Schauspielern von
einem unmündigen Kinde den Lear und Macbeth
darstellen zu lassen.

Die Direktionen, fing Ernst wieder an, sa-
gen oft mit philosophischen Mienen, sie gäben
nur nothgedrungen dem Publikum nach, und

Zweite Abtheilung.
Theater wieder zur Beſinnung, und dieſe Dinge
koͤnnten als ſelbſtſtaͤndige geſchmackvoller ausge-
bildet werden. Aber wir erleben es noch, daß
Feuerwerk, Luftfahrt, Seiltaͤnzerei und Reiter-
kuͤnſte alles in einem Ritter- oder Zauberſtuͤck
auf dem Theater produzirt wird.

Die Feuerwerkskunſt, ſagte Theodor, iſt
ſchon unerlaßlich. Vor einigen Jahren gefiel in
London ein Schauſpiel ungemein, weil es mit
dem Sturm einer Veſtung endigte und ein Theil
der Stadt und der Werke mit großer Wirkung
in die Luft geſprengt wurde. Der dumpfe Muͤ-
ßiggang iſt dort auch ſo uͤberſaͤttigt, daß ein
andres Stuͤck nur wegen Eines erhebenden Mo-
mentes den groͤßten Zulauf hatte, indem auf
dem Theater ſelbſt ein wirklicher großer Pudel
einen Menſchen aus dem Waſſer rettete. Faſt
muß ich fuͤrchten, daß jener Hund durch den
allgemeinen Applaus fuͤr ſeine gewoͤhnliche Be-
ſtimmung iſt verdorben worden, und ausſchlie-
ßend nur der Kunſt hat leben moͤgen.

Nachher iſt man auf das Raffinement ver-
fallen, fuhr Lothar fort, um den großen Mei-
ſterwerken wieder einigen Geſchmack abzugewin-
nen, unter den gewoͤhnlichen Schauſpielern von
einem unmuͤndigen Kinde den Lear und Macbeth
darſtellen zu laſſen.

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gen oft mit philoſophiſchen Mienen, ſie gaͤben
nur nothgedrungen dem Publikum nach, und

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[419/0428] Zweite Abtheilung. Theater wieder zur Beſinnung, und dieſe Dinge koͤnnten als ſelbſtſtaͤndige geſchmackvoller ausge- bildet werden. Aber wir erleben es noch, daß Feuerwerk, Luftfahrt, Seiltaͤnzerei und Reiter- kuͤnſte alles in einem Ritter- oder Zauberſtuͤck auf dem Theater produzirt wird. Die Feuerwerkskunſt, ſagte Theodor, iſt ſchon unerlaßlich. Vor einigen Jahren gefiel in London ein Schauſpiel ungemein, weil es mit dem Sturm einer Veſtung endigte und ein Theil der Stadt und der Werke mit großer Wirkung in die Luft geſprengt wurde. Der dumpfe Muͤ- ßiggang iſt dort auch ſo uͤberſaͤttigt, daß ein andres Stuͤck nur wegen Eines erhebenden Mo- mentes den groͤßten Zulauf hatte, indem auf dem Theater ſelbſt ein wirklicher großer Pudel einen Menſchen aus dem Waſſer rettete. Faſt muß ich fuͤrchten, daß jener Hund durch den allgemeinen Applaus fuͤr ſeine gewoͤhnliche Be- ſtimmung iſt verdorben worden, und ausſchlie- ßend nur der Kunſt hat leben moͤgen. Nachher iſt man auf das Raffinement ver- fallen, fuhr Lothar fort, um den großen Mei- ſterwerken wieder einigen Geſchmack abzugewin- nen, unter den gewoͤhnlichen Schauſpielern von einem unmuͤndigen Kinde den Lear und Macbeth darſtellen zu laſſen. Die Direktionen, fing Ernſt wieder an, ſa- gen oft mit philoſophiſchen Mienen, ſie gaͤben nur nothgedrungen dem Publikum nach, und

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/428>, abgerufen am 19.05.2024.