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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.

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Der gestiefelte Kater.
Schlosser. Uns dünkt der Mensch aber
sehr langweilig.
Bötticher. Sie sind vielleicht nur verwöhnt,
meine Herren. Waren Sie denn nicht tief erschüt-
tert, in jener einzigen, unnachahmlichen Scene,
als dem Würdigsten seines Geschlechtes auf Be-
fehl des Tyrannen sein ehrwürdiger Bart ausge-
rauft ward? Nicht wahr, hier hätten Sie Ge-
schrei, Fußstampfen, Zähneknirschen erwartet? Wie
mancher Schreier unsrer Bühnen, der in Helden-
rollen gerühmt wird, hätte hier die ganze Kraft
seines Organs aufgeboten, um sich den Beifall
des Haufens zu ertoben? Nicht so unser großer
origineller Künstler. Da stand er, still, in sich
gezogen, seinen Schmerz zurück zwängend; wäh-
rend die rechte Hand in der aufgeknöpften Weste
unter dem Jabot ruhig steckt, ist die linke mit der
ausgestreckten Fläche nach oben gewandt, sie drückte
seinen Unwillen aus, und forderte gleichsam des
Himmels Unterstützung; sein Gesicht war ruhig,
fast lächelnd, in Verachtung gegen die Diener des
Tyrannen, nur eine zwinkelnde Bebung zuckte im
aufwärtsrollenden Auge, in der man sein ganzes
Gefühl erkannte, und nun ertönt aus gehobener
Brust das herzdurchschneidende Au, Mau, Miau,
so gedacht, so gezogen, so wimmernd klagend, daß
uns allen der Athem verging; doch das Gefühl
des Unwillens läßt sich nicht ganz zurückhalten,
und nun der plötzlich kühne Uebergang in jenen
Ausruf des Zornes, den der Narr ein Prusten
nannte, und vor dem selbst die schamlosen Des-
II. [ 14 ]
Der geſtiefelte Kater.
Schloſſer. Uns duͤnkt der Menſch aber
ſehr langweilig.
Boͤtticher. Sie ſind vielleicht nur verwoͤhnt,
meine Herren. Waren Sie denn nicht tief erſchuͤt-
tert, in jener einzigen, unnachahmlichen Scene,
als dem Wuͤrdigſten ſeines Geſchlechtes auf Be-
fehl des Tyrannen ſein ehrwuͤrdiger Bart ausge-
rauft ward? Nicht wahr, hier haͤtten Sie Ge-
ſchrei, Fußſtampfen, Zaͤhneknirſchen erwartet? Wie
mancher Schreier unſrer Buͤhnen, der in Helden-
rollen geruͤhmt wird, haͤtte hier die ganze Kraft
ſeines Organs aufgeboten, um ſich den Beifall
des Haufens zu ertoben? Nicht ſo unſer großer
origineller Kuͤnſtler. Da ſtand er, ſtill, in ſich
gezogen, ſeinen Schmerz zuruͤck zwaͤngend; waͤh-
rend die rechte Hand in der aufgeknoͤpften Weſte
unter dem Jabot ruhig ſteckt, iſt die linke mit der
ausgeſtreckten Flaͤche nach oben gewandt, ſie druͤckte
ſeinen Unwillen aus, und forderte gleichſam des
Himmels Unterſtuͤtzung; ſein Geſicht war ruhig,
faſt laͤchelnd, in Verachtung gegen die Diener des
Tyrannen, nur eine zwinkelnde Bebung zuckte im
aufwaͤrtsrollenden Auge, in der man ſein ganzes
Gefuͤhl erkannte, und nun ertoͤnt aus gehobener
Bruſt das herzdurchſchneidende Au, Mau, Miau,
ſo gedacht, ſo gezogen, ſo wimmernd klagend, daß
uns allen der Athem verging; doch das Gefuͤhl
des Unwillens laͤßt ſich nicht ganz zuruͤckhalten,
und nun der ploͤtzlich kuͤhne Uebergang in jenen
Ausruf des Zornes, den der Narr ein Pruſten
nannte, und vor dem ſelbſt die ſchamloſen Des-
II. [ 14 ]
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[209/0218] Der geſtiefelte Kater. Schloſſer. Uns duͤnkt der Menſch aber ſehr langweilig. Boͤtticher. Sie ſind vielleicht nur verwoͤhnt, meine Herren. Waren Sie denn nicht tief erſchuͤt- tert, in jener einzigen, unnachahmlichen Scene, als dem Wuͤrdigſten ſeines Geſchlechtes auf Be- fehl des Tyrannen ſein ehrwuͤrdiger Bart ausge- rauft ward? Nicht wahr, hier haͤtten Sie Ge- ſchrei, Fußſtampfen, Zaͤhneknirſchen erwartet? Wie mancher Schreier unſrer Buͤhnen, der in Helden- rollen geruͤhmt wird, haͤtte hier die ganze Kraft ſeines Organs aufgeboten, um ſich den Beifall des Haufens zu ertoben? Nicht ſo unſer großer origineller Kuͤnſtler. Da ſtand er, ſtill, in ſich gezogen, ſeinen Schmerz zuruͤck zwaͤngend; waͤh- rend die rechte Hand in der aufgeknoͤpften Weſte unter dem Jabot ruhig ſteckt, iſt die linke mit der ausgeſtreckten Flaͤche nach oben gewandt, ſie druͤckte ſeinen Unwillen aus, und forderte gleichſam des Himmels Unterſtuͤtzung; ſein Geſicht war ruhig, faſt laͤchelnd, in Verachtung gegen die Diener des Tyrannen, nur eine zwinkelnde Bebung zuckte im aufwaͤrtsrollenden Auge, in der man ſein ganzes Gefuͤhl erkannte, und nun ertoͤnt aus gehobener Bruſt das herzdurchſchneidende Au, Mau, Miau, ſo gedacht, ſo gezogen, ſo wimmernd klagend, daß uns allen der Athem verging; doch das Gefuͤhl des Unwillens laͤßt ſich nicht ganz zuruͤckhalten, und nun der ploͤtzlich kuͤhne Uebergang in jenen Ausruf des Zornes, den der Narr ein Pruſten nannte, und vor dem ſelbſt die ſchamloſen Des- II. [ 14 ]

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/218>, abgerufen am 07.05.2024.