Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweite Abtheilung.
Und wie man sich besinnet,
Das Auge thränenschwer,
Die Blüte Frucht gewinnet
Und ruft den Sommer her.
Was hilft es doch, zu flüchten
Zum grünen, kühlen Wald,
Wenn hier aus allen dichten
Zweigen ein Klaglied schallt?
Die Nachtgall will verkünden
Was Schmerz und Liebe sey,
Sie kann den Ton wohl finden
Und singt ihr Herze frei.
Bald werden stumm die Bäume,
Die Blumen blühen ab,
Erwachen alle Träume
Und sehn vor sich ein Grab.
Es fallen wie die Todten
Wunsch, Luft und Leben hin,
Verlieren gern den Othem,
Nach Sterben geht ihr Sinn.
Da wird erzeugt in Schmerzen
zuletzt der heiße Wein,
Er ist ein wildes Scherzen
Vom Tod sich zu befrein.
Nun fühl ich mich verloren
In finstrer Einsamkeit,
Es wird der Tod geboren,
Er bringt mir tiefes Leid.

Zweite Abtheilung.
Und wie man ſich beſinnet,
Das Auge thraͤnenſchwer,
Die Bluͤte Frucht gewinnet
Und ruft den Sommer her.
Was hilft es doch, zu fluͤchten
Zum gruͤnen, kuͤhlen Wald,
Wenn hier aus allen dichten
Zweigen ein Klaglied ſchallt?
Die Nachtgall will verkuͤnden
Was Schmerz und Liebe ſey,
Sie kann den Ton wohl finden
Und ſingt ihr Herze frei.
Bald werden ſtumm die Baͤume,
Die Blumen bluͤhen ab,
Erwachen alle Traͤume
Und ſehn vor ſich ein Grab.
Es fallen wie die Todten
Wunſch, Luft und Leben hin,
Verlieren gern den Othem,
Nach Sterben geht ihr Sinn.
Da wird erzeugt in Schmerzen
zuletzt der heiße Wein,
Er iſt ein wildes Scherzen
Vom Tod ſich zu befrein.
Nun fuͤhl ich mich verloren
In finſtrer Einſamkeit,
Es wird der Tod geboren,
Er bringt mir tiefes Leid.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0525" n="514"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweite Abtheilung</hi>.</fw><lb/>
            <lg n="14">
              <l>Und wie man &#x017F;ich be&#x017F;innet,</l><lb/>
              <l>Das Auge thra&#x0364;nen&#x017F;chwer,</l><lb/>
              <l>Die Blu&#x0364;te Frucht gewinnet</l><lb/>
              <l>Und ruft den Sommer her.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="15">
              <l>Was hilft es doch, zu flu&#x0364;chten</l><lb/>
              <l>Zum gru&#x0364;nen, ku&#x0364;hlen Wald,</l><lb/>
              <l>Wenn hier aus allen dichten</l><lb/>
              <l>Zweigen ein Klaglied &#x017F;challt?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="16">
              <l>Die Nachtgall will verku&#x0364;nden</l><lb/>
              <l>Was Schmerz und Liebe &#x017F;ey,</l><lb/>
              <l>Sie kann den Ton wohl finden</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ingt ihr Herze frei.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="17">
              <l>Bald werden &#x017F;tumm die Ba&#x0364;ume,</l><lb/>
              <l>Die Blumen blu&#x0364;hen ab,</l><lb/>
              <l>Erwachen alle Tra&#x0364;ume</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ehn vor &#x017F;ich ein Grab.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="18">
              <l>Es fallen wie die Todten</l><lb/>
              <l>Wun&#x017F;ch, Luft und Leben hin,</l><lb/>
              <l>Verlieren gern den Othem,</l><lb/>
              <l>Nach Sterben geht ihr Sinn.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="19">
              <l>Da wird erzeugt in Schmerzen</l><lb/>
              <l>zuletzt der heiße Wein,</l><lb/>
              <l>Er i&#x017F;t ein wildes Scherzen</l><lb/>
              <l>Vom Tod &#x017F;ich zu befrein.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="20">
              <l>Nun fu&#x0364;hl ich mich verloren</l><lb/>
              <l>In fin&#x017F;trer Ein&#x017F;amkeit,</l><lb/>
              <l>Es wird der Tod geboren,</l><lb/>
              <l>Er bringt mir tiefes Leid.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[514/0525] Zweite Abtheilung. Und wie man ſich beſinnet, Das Auge thraͤnenſchwer, Die Bluͤte Frucht gewinnet Und ruft den Sommer her. Was hilft es doch, zu fluͤchten Zum gruͤnen, kuͤhlen Wald, Wenn hier aus allen dichten Zweigen ein Klaglied ſchallt? Die Nachtgall will verkuͤnden Was Schmerz und Liebe ſey, Sie kann den Ton wohl finden Und ſingt ihr Herze frei. Bald werden ſtumm die Baͤume, Die Blumen bluͤhen ab, Erwachen alle Traͤume Und ſehn vor ſich ein Grab. Es fallen wie die Todten Wunſch, Luft und Leben hin, Verlieren gern den Othem, Nach Sterben geht ihr Sinn. Da wird erzeugt in Schmerzen zuletzt der heiße Wein, Er iſt ein wildes Scherzen Vom Tod ſich zu befrein. Nun fuͤhl ich mich verloren In finſtrer Einſamkeit, Es wird der Tod geboren, Er bringt mir tiefes Leid.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/525
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/525>, abgerufen am 22.11.2024.