Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
suchte er seine Pfeife, Schwamm und Stein,
schlug mit Virtuosität schnell Feuer, und ver-
sicherte mich nachher in abgebrochenen rauchen-
den Pausen seiner Verzweiflung. Ich muste lachen,
und nur zum Glück daß mich der Rauch in ein
starkes Husten brachte, sonst hätt' ich dem guten
Menschen als ein unnatürlicher Barbar erschei-
nen müssen.

Es läßt sich wohl, sagte Theodor, alles
mit Grazie thun, ich kenne wenigstens einen
großen Philosophen, dem in seiner Liebenswür-
digkeit auch dies edel steht. Mit dem Caffee
wird nach der Mahlzeit eine lange Pfeife gebracht,
die der Bediente anzündet, es geschehn ruhig
und ohne alle Leidenschaft einige Züge, und eh
man noch die Unbequemlichkeit bemerkt, ist die
Sache schon wieder beschlossen. Aber schrecklich
sind freilich die kurzen, am Munde schwebenden
Instrumente, die jede Bewegung mit machen
müssen und sich jeder Thätigkeit fügen, die den
ganzen Tag die Lippen pressen und selbst die
Sprache verändern.

Mir ist es nicht unwahrscheinlich, sagte
Anton, daß diese Gewohnheit, die so überhand
genommen, die Menschen passiver, träger und
unwitziger gemacht hat. Wir sollen keinen Ge-
nuß haben, der uns unaufhörlich begleitet, der
etwas Stetiges wird, er ist nur erlaubt und
edel durch das Vorübergehende. Darum ver-
achten wir den Säufer, ob wir alle gleich gern

Einleitung.
ſuchte er ſeine Pfeife, Schwamm und Stein,
ſchlug mit Virtuoſitaͤt ſchnell Feuer, und ver-
ſicherte mich nachher in abgebrochenen rauchen-
den Pauſen ſeiner Verzweiflung. Ich muſte lachen,
und nur zum Gluͤck daß mich der Rauch in ein
ſtarkes Huſten brachte, ſonſt haͤtt' ich dem guten
Menſchen als ein unnatuͤrlicher Barbar erſchei-
nen muͤſſen.

Es laͤßt ſich wohl, ſagte Theodor, alles
mit Grazie thun, ich kenne wenigſtens einen
großen Philoſophen, dem in ſeiner Liebenswuͤr-
digkeit auch dies edel ſteht. Mit dem Caffee
wird nach der Mahlzeit eine lange Pfeife gebracht,
die der Bediente anzuͤndet, es geſchehn ruhig
und ohne alle Leidenſchaft einige Zuͤge, und eh
man noch die Unbequemlichkeit bemerkt, iſt die
Sache ſchon wieder beſchloſſen. Aber ſchrecklich
ſind freilich die kurzen, am Munde ſchwebenden
Inſtrumente, die jede Bewegung mit machen
muͤſſen und ſich jeder Thaͤtigkeit fuͤgen, die den
ganzen Tag die Lippen preſſen und ſelbſt die
Sprache veraͤndern.

Mir iſt es nicht unwahrſcheinlich, ſagte
Anton, daß dieſe Gewohnheit, die ſo uͤberhand
genommen, die Menſchen paſſiver, traͤger und
unwitziger gemacht hat. Wir ſollen keinen Ge-
nuß haben, der uns unaufhoͤrlich begleitet, der
etwas Stetiges wird, er iſt nur erlaubt und
edel durch das Voruͤbergehende. Darum ver-
achten wir den Saͤufer, ob wir alle gleich gern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="38"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;uchte er &#x017F;eine Pfeife, Schwamm und Stein,<lb/>
&#x017F;chlug mit Virtuo&#x017F;ita&#x0364;t &#x017F;chnell Feuer, und ver-<lb/>
&#x017F;icherte mich nachher in abgebrochenen rauchen-<lb/>
den Pau&#x017F;en &#x017F;einer Verzweiflung. Ich mu&#x017F;te lachen,<lb/>
und nur zum Glu&#x0364;ck daß mich der Rauch in ein<lb/>
&#x017F;tarkes Hu&#x017F;ten brachte, &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tt' ich dem guten<lb/>
Men&#x017F;chen als ein unnatu&#x0364;rlicher Barbar er&#x017F;chei-<lb/>
nen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Es la&#x0364;ßt &#x017F;ich wohl, &#x017F;agte Theodor, alles<lb/>
mit Grazie thun, ich kenne wenig&#x017F;tens einen<lb/>
großen Philo&#x017F;ophen, dem in &#x017F;einer Liebenswu&#x0364;r-<lb/>
digkeit auch dies edel &#x017F;teht. Mit dem Caffee<lb/>
wird nach der Mahlzeit eine lange Pfeife gebracht,<lb/>
die der Bediente anzu&#x0364;ndet, es ge&#x017F;chehn ruhig<lb/>
und ohne alle Leiden&#x017F;chaft einige Zu&#x0364;ge, und eh<lb/>
man noch die Unbequemlichkeit bemerkt, i&#x017F;t die<lb/>
Sache &#x017F;chon wieder be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Aber &#x017F;chrecklich<lb/>
&#x017F;ind freilich die kurzen, am Munde &#x017F;chwebenden<lb/>
In&#x017F;trumente, die jede Bewegung mit machen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ich jeder Tha&#x0364;tigkeit fu&#x0364;gen, die den<lb/>
ganzen Tag die Lippen pre&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Sprache vera&#x0364;ndern.</p><lb/>
        <p>Mir i&#x017F;t es nicht unwahr&#x017F;cheinlich, &#x017F;agte<lb/>
Anton, daß die&#x017F;e Gewohnheit, die &#x017F;o u&#x0364;berhand<lb/>
genommen, die Men&#x017F;chen pa&#x017F;&#x017F;iver, tra&#x0364;ger und<lb/>
unwitziger gemacht hat. Wir &#x017F;ollen keinen Ge-<lb/>
nuß haben, der uns unaufho&#x0364;rlich begleitet, der<lb/>
etwas Stetiges wird, er i&#x017F;t nur erlaubt und<lb/>
edel durch das Voru&#x0364;bergehende. Darum ver-<lb/>
achten wir den Sa&#x0364;ufer, ob wir alle gleich gern<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0049] Einleitung. ſuchte er ſeine Pfeife, Schwamm und Stein, ſchlug mit Virtuoſitaͤt ſchnell Feuer, und ver- ſicherte mich nachher in abgebrochenen rauchen- den Pauſen ſeiner Verzweiflung. Ich muſte lachen, und nur zum Gluͤck daß mich der Rauch in ein ſtarkes Huſten brachte, ſonſt haͤtt' ich dem guten Menſchen als ein unnatuͤrlicher Barbar erſchei- nen muͤſſen. Es laͤßt ſich wohl, ſagte Theodor, alles mit Grazie thun, ich kenne wenigſtens einen großen Philoſophen, dem in ſeiner Liebenswuͤr- digkeit auch dies edel ſteht. Mit dem Caffee wird nach der Mahlzeit eine lange Pfeife gebracht, die der Bediente anzuͤndet, es geſchehn ruhig und ohne alle Leidenſchaft einige Zuͤge, und eh man noch die Unbequemlichkeit bemerkt, iſt die Sache ſchon wieder beſchloſſen. Aber ſchrecklich ſind freilich die kurzen, am Munde ſchwebenden Inſtrumente, die jede Bewegung mit machen muͤſſen und ſich jeder Thaͤtigkeit fuͤgen, die den ganzen Tag die Lippen preſſen und ſelbſt die Sprache veraͤndern. Mir iſt es nicht unwahrſcheinlich, ſagte Anton, daß dieſe Gewohnheit, die ſo uͤberhand genommen, die Menſchen paſſiver, traͤger und unwitziger gemacht hat. Wir ſollen keinen Ge- nuß haben, der uns unaufhoͤrlich begleitet, der etwas Stetiges wird, er iſt nur erlaubt und edel durch das Voruͤbergehende. Darum ver- achten wir den Saͤufer, ob wir alle gleich gern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/49
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/49>, abgerufen am 22.11.2024.