heben, sagte Elfriede, sie in meinem Kämmerchen wohl bewahren, und sie Morgens und Abends küssen, als wenn du es wärst. Die Sonne geht schon unter, sagte jene, ich muß jetzt nach Hause. Sie umarmten sich noch einmal, dann war Ze- rina verschwunden.
Am Abend nahm Marie ihr Kind mit einem Gefühl von Beängstigung und Ehrfurcht in die Arme; sie ließ dem holden Mädchen nun noch mehr Freiheit als sonst, und beruhigte oft ihren Gatten, wenn er, um das Kind aufzusuchen, kam, was er seit einiger Zeit wohl that, weil ihm ihre Zurückgezogenheit nicht gefiel, und er fürchtete, sie könne darüber einfältig, oder gar unklug wer- den. Die Mutter schlich öfter nach der Spalte der Mauer, und fast immer fand sie die kleine glän- zende Elfe neben ihrem Kinde sitzen, mit Spielen beschäftigt, oder in ernsthaften Gesprächen. Möch- test du fliegen können? fragte Zerina einmal ihre Freundin. Wie gerne! rief Elfriede aus. Sogleich umfaßte die Fee die Sterbliche, und schwebte mit ihr vom Boden empor, so daß sie zur Höhe der Laube stiegen. Die besorgte Mutter vergaß ihre Vorsicht, und lehnte sich erschreckend mit dem Kopfe hinaus, um ihnen nachzusehn, da erhob aus der Luft Zerina den Finger und drohte lächelnd, ließ sich mit dem Kinde wieder nieder, herzte sie, und war verschwunden. Es geschah nachher noch öfter, daß Marie von dem wunderbaren Kinde gesehen wurde, welches jedesmal mit dem Kopfe schüttelte oder drohte, aber mit freundlicher Geberde.
Die Elfen.
heben, ſagte Elfriede, ſie in meinem Kaͤmmerchen wohl bewahren, und ſie Morgens und Abends kuͤſſen, als wenn du es waͤrſt. Die Sonne geht ſchon unter, ſagte jene, ich muß jetzt nach Hauſe. Sie umarmten ſich noch einmal, dann war Ze- rina verſchwunden.
Am Abend nahm Marie ihr Kind mit einem Gefuͤhl von Beaͤngſtigung und Ehrfurcht in die Arme; ſie ließ dem holden Maͤdchen nun noch mehr Freiheit als ſonſt, und beruhigte oft ihren Gatten, wenn er, um das Kind aufzuſuchen, kam, was er ſeit einiger Zeit wohl that, weil ihm ihre Zuruͤckgezogenheit nicht gefiel, und er fuͤrchtete, ſie koͤnne daruͤber einfaͤltig, oder gar unklug wer- den. Die Mutter ſchlich oͤfter nach der Spalte der Mauer, und faſt immer fand ſie die kleine glaͤn- zende Elfe neben ihrem Kinde ſitzen, mit Spielen beſchaͤftigt, oder in ernſthaften Geſpraͤchen. Moͤch- teſt du fliegen koͤnnen? fragte Zerina einmal ihre Freundin. Wie gerne! rief Elfriede aus. Sogleich umfaßte die Fee die Sterbliche, und ſchwebte mit ihr vom Boden empor, ſo daß ſie zur Hoͤhe der Laube ſtiegen. Die beſorgte Mutter vergaß ihre Vorſicht, und lehnte ſich erſchreckend mit dem Kopfe hinaus, um ihnen nachzuſehn, da erhob aus der Luft Zerina den Finger und drohte laͤchelnd, ließ ſich mit dem Kinde wieder nieder, herzte ſie, und war verſchwunden. Es geſchah nachher noch oͤfter, daß Marie von dem wunderbaren Kinde geſehen wurde, welches jedesmal mit dem Kopfe ſchuͤttelte oder drohte, aber mit freundlicher Geberde.
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Die Elfen.
heben, ſagte Elfriede, ſie in meinem Kaͤmmerchen
wohl bewahren, und ſie Morgens und Abends
kuͤſſen, als wenn du es waͤrſt. Die Sonne geht
ſchon unter, ſagte jene, ich muß jetzt nach Hauſe.
Sie umarmten ſich noch einmal, dann war Ze-
rina verſchwunden.
Am Abend nahm Marie ihr Kind mit einem
Gefuͤhl von Beaͤngſtigung und Ehrfurcht in die
Arme; ſie ließ dem holden Maͤdchen nun noch
mehr Freiheit als ſonſt, und beruhigte oft ihren
Gatten, wenn er, um das Kind aufzuſuchen, kam,
was er ſeit einiger Zeit wohl that, weil ihm ihre
Zuruͤckgezogenheit nicht gefiel, und er fuͤrchtete,
ſie koͤnne daruͤber einfaͤltig, oder gar unklug wer-
den. Die Mutter ſchlich oͤfter nach der Spalte
der Mauer, und faſt immer fand ſie die kleine glaͤn-
zende Elfe neben ihrem Kinde ſitzen, mit Spielen
beſchaͤftigt, oder in ernſthaften Geſpraͤchen. Moͤch-
teſt du fliegen koͤnnen? fragte Zerina einmal ihre
Freundin. Wie gerne! rief Elfriede aus. Sogleich
umfaßte die Fee die Sterbliche, und ſchwebte mit
ihr vom Boden empor, ſo daß ſie zur Hoͤhe der
Laube ſtiegen. Die beſorgte Mutter vergaß ihre
Vorſicht, und lehnte ſich erſchreckend mit dem Kopfe
hinaus, um ihnen nachzuſehn, da erhob aus der
Luft Zerina den Finger und drohte laͤchelnd, ließ
ſich mit dem Kinde wieder nieder, herzte ſie, und
war verſchwunden. Es geſchah nachher noch oͤfter,
daß Marie von dem wunderbaren Kinde geſehen
wurde, welches jedesmal mit dem Kopfe ſchuͤttelte
oder drohte, aber mit freundlicher Geberde.
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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/436>, abgerufen am 22.11.2024.
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