Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Einleitung. vorüberrollenden Bache etwas Wasser, um sichzu erquicken, und wies den Wein ab, den ihm Ernst anbot, indem er sagte: ihr könnt es nicht wissen, wie erquickend, wie paradiesisch dem Gene- senden die kühle Woge ist, schon indem sie mein Auge sieht und mein Ohr murmeln hört, bin ich entzückt, ja Gedanken von frischen Wäldern und Wassern, von kühlenden Schatten säuseln immer- fort anmuthig durch mein ermattendes Gemüth und fächeln sehnsuchtvoll die Hitze, die immer noch dort brennt. Viel zu körperlich und schwer ist dieser süße, sonst so labende Wein, zu heiß und dürr, und würde mir alle Träume meines Innern in ihrem lieblichen Schlummer stören. Jeder nach seinem Geschmack, sagte Theo- Der Arzt verlangte, sagte Anton, ich sollte Unmöglich, sagte Ernst, kann im Zustand Einleitung. voruͤberrollenden Bache etwas Waſſer, um ſichzu erquicken, und wies den Wein ab, den ihm Ernſt anbot, indem er ſagte: ihr koͤnnt es nicht wiſſen, wie erquickend, wie paradieſiſch dem Gene- ſenden die kuͤhle Woge iſt, ſchon indem ſie mein Auge ſieht und mein Ohr murmeln hoͤrt, bin ich entzuͤckt, ja Gedanken von friſchen Waͤldern und Waſſern, von kuͤhlenden Schatten ſaͤuſeln immer- fort anmuthig durch mein ermattendes Gemuͤth und faͤcheln ſehnſuchtvoll die Hitze, die immer noch dort brennt. Viel zu koͤrperlich und ſchwer iſt dieſer ſuͤße, ſonſt ſo labende Wein, zu heiß und duͤrr, und wuͤrde mir alle Traͤume meines Innern in ihrem lieblichen Schlummer ſtoͤren. Jeder nach ſeinem Geſchmack, ſagte Theo- Der Arzt verlangte, ſagte Anton, ich ſollte Unmoͤglich, ſagte Ernſt, kann im Zuſtand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0036" n="25"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> voruͤberrollenden Bache etwas Waſſer, um ſich<lb/> zu erquicken, und wies den Wein ab, den ihm<lb/> Ernſt anbot, indem er ſagte: ihr koͤnnt es nicht<lb/> wiſſen, wie erquickend, wie paradieſiſch dem Gene-<lb/> ſenden die kuͤhle Woge iſt, ſchon indem ſie mein<lb/> Auge ſieht und mein Ohr murmeln hoͤrt, bin ich<lb/> entzuͤckt, ja Gedanken von friſchen Waͤldern und<lb/> Waſſern, von kuͤhlenden Schatten ſaͤuſeln immer-<lb/> fort anmuthig durch mein ermattendes Gemuͤth<lb/> und faͤcheln ſehnſuchtvoll die Hitze, die immer<lb/> noch dort brennt. Viel zu koͤrperlich und ſchwer<lb/> iſt dieſer ſuͤße, ſonſt ſo labende Wein, zu heiß<lb/> und duͤrr, und wuͤrde mir alle Traͤume meines<lb/> Innern in ihrem lieblichen Schlummer ſtoͤren.</p><lb/> <p>Jeder nach ſeinem Geſchmack, ſagte Theo-<lb/> dor, indem er einen herzhaften Trunk aus der<lb/> Flaſche that; es lebe die Verſchiedenheit der Geſin-<lb/> nungen! Womit aber haſt du dich in deiner<lb/> Krankheit beſchaͤftigen koͤnnen?</p><lb/> <p>Der Arzt verlangte, ſagte Anton, ich ſollte<lb/> mich durchaus auf keine Weiſe beſchaͤftigen, wie<lb/> denn die Aerzte uͤberhaupt Wunder von den Kran-<lb/> ken fodern; ich weiß nicht, welche Vorſtellungen<lb/> der meinige von den Buͤchern haben mußte, denn<lb/> er war hauptſaͤchlich gegen das Leſen eingenom-<lb/> men, er hielt es in meinem Zuſtande fuͤr eine<lb/> Art von Gift, und doch bin ich uͤberzeugt, daß<lb/> ich dem Leſen zum Theil meine Geneſung zu dan-<lb/> ken habe.</p><lb/> <p>Unmoͤglich, ſagte Ernſt, kann im Zuſtand<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [25/0036]
Einleitung.
voruͤberrollenden Bache etwas Waſſer, um ſich
zu erquicken, und wies den Wein ab, den ihm
Ernſt anbot, indem er ſagte: ihr koͤnnt es nicht
wiſſen, wie erquickend, wie paradieſiſch dem Gene-
ſenden die kuͤhle Woge iſt, ſchon indem ſie mein
Auge ſieht und mein Ohr murmeln hoͤrt, bin ich
entzuͤckt, ja Gedanken von friſchen Waͤldern und
Waſſern, von kuͤhlenden Schatten ſaͤuſeln immer-
fort anmuthig durch mein ermattendes Gemuͤth
und faͤcheln ſehnſuchtvoll die Hitze, die immer
noch dort brennt. Viel zu koͤrperlich und ſchwer
iſt dieſer ſuͤße, ſonſt ſo labende Wein, zu heiß
und duͤrr, und wuͤrde mir alle Traͤume meines
Innern in ihrem lieblichen Schlummer ſtoͤren.
Jeder nach ſeinem Geſchmack, ſagte Theo-
dor, indem er einen herzhaften Trunk aus der
Flaſche that; es lebe die Verſchiedenheit der Geſin-
nungen! Womit aber haſt du dich in deiner
Krankheit beſchaͤftigen koͤnnen?
Der Arzt verlangte, ſagte Anton, ich ſollte
mich durchaus auf keine Weiſe beſchaͤftigen, wie
denn die Aerzte uͤberhaupt Wunder von den Kran-
ken fodern; ich weiß nicht, welche Vorſtellungen
der meinige von den Buͤchern haben mußte, denn
er war hauptſaͤchlich gegen das Leſen eingenom-
men, er hielt es in meinem Zuſtande fuͤr eine
Art von Gift, und doch bin ich uͤberzeugt, daß
ich dem Leſen zum Theil meine Geneſung zu dan-
ken habe.
Unmoͤglich, ſagte Ernſt, kann im Zuſtand
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