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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Die schöne Magelone.
verschränkten Armen auf und nieder, bald langsam,
bald schnell, und die Zeit verfloß, ohne daß er be-
greifen konnte, wie die Stunden vorüber waren.
Er hörte nichts um sich her, denn eine innerliche
Musik übertönte das Flüstern der Bäume und das
rieselnde Plätschern der Wasserkünste. Tausendmal
sagte er sich in Gedanken den Namen Magelone
vor, und erschrack dann plözlich, weil er glaubte,
er habe ihn laut durch den Garten ausgerufen.
Gegen Abend erscholl in der Gegend eine süße Mu-
sik, und nun setzte er sich ins frische Gras hinter
einem Busche und weinte und schluchzte; es war
ihm, als wenn sich der Himmel umgewendet und
nun seine Schönheit und paradisische Seite zum
erstenmal herausgekehrt hätte; und doch machte ihn
diese Empfindung so unglücklich, unter allen Freu-
den fühlte er sich so gänzlich verlassen. Die Mu-
sik floß wie ein murmelnder Bach durch den stillen
Garten, und er sah die Anmuth der Fürstin auf
den silbernen Wellen hoch einher schwimmen, wie
die Wogen der Musik den Saum ihres Gewandes
küßten, und wetteiferten, ihr nachzufolgen; gleich
einer Morgenröthe schien sie in die dämmernde Nacht
hinein, und die Sterne standen in ihrem Laufe still,
die Bäume hielten sich ruhig und die Winde schwie-
gen; die Musik war jezt die einzige Bewegung,
das einzige Leben in der Natur, und alle Töne
schlüpften so süß über die Grasspitzen und durch
die Baumwipfel hin, als wenn sie die schlafende
Liebe suchten und sie nicht wecken wollten, als

I. [ 22 ]

Die ſchoͤne Magelone.
verſchraͤnkten Armen auf und nieder, bald langſam,
bald ſchnell, und die Zeit verfloß, ohne daß er be-
greifen konnte, wie die Stunden voruͤber waren.
Er hoͤrte nichts um ſich her, denn eine innerliche
Muſik uͤbertoͤnte das Fluͤſtern der Baͤume und das
rieſelnde Plaͤtſchern der Waſſerkuͤnſte. Tauſendmal
ſagte er ſich in Gedanken den Namen Magelone
vor, und erſchrack dann ploͤzlich, weil er glaubte,
er habe ihn laut durch den Garten ausgerufen.
Gegen Abend erſcholl in der Gegend eine ſuͤße Mu-
ſik, und nun ſetzte er ſich ins friſche Gras hinter
einem Buſche und weinte und ſchluchzte; es war
ihm, als wenn ſich der Himmel umgewendet und
nun ſeine Schoͤnheit und paradiſiſche Seite zum
erſtenmal herausgekehrt haͤtte; und doch machte ihn
dieſe Empfindung ſo ungluͤcklich, unter allen Freu-
den fuͤhlte er ſich ſo gaͤnzlich verlaſſen. Die Mu-
ſik floß wie ein murmelnder Bach durch den ſtillen
Garten, und er ſah die Anmuth der Fuͤrſtin auf
den ſilbernen Wellen hoch einher ſchwimmen, wie
die Wogen der Muſik den Saum ihres Gewandes
kuͤßten, und wetteiferten, ihr nachzufolgen; gleich
einer Morgenroͤthe ſchien ſie in die daͤmmernde Nacht
hinein, und die Sterne ſtanden in ihrem Laufe ſtill,
die Baͤume hielten ſich ruhig und die Winde ſchwie-
gen; die Muſik war jezt die einzige Bewegung,
das einzige Leben in der Natur, und alle Toͤne
ſchluͤpften ſo ſuͤß uͤber die Grasſpitzen und durch
die Baumwipfel hin, als wenn ſie die ſchlafende
Liebe ſuchten und ſie nicht wecken wollten, als

I. [ 22 ]
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[337/0348] Die ſchoͤne Magelone. verſchraͤnkten Armen auf und nieder, bald langſam, bald ſchnell, und die Zeit verfloß, ohne daß er be- greifen konnte, wie die Stunden voruͤber waren. Er hoͤrte nichts um ſich her, denn eine innerliche Muſik uͤbertoͤnte das Fluͤſtern der Baͤume und das rieſelnde Plaͤtſchern der Waſſerkuͤnſte. Tauſendmal ſagte er ſich in Gedanken den Namen Magelone vor, und erſchrack dann ploͤzlich, weil er glaubte, er habe ihn laut durch den Garten ausgerufen. Gegen Abend erſcholl in der Gegend eine ſuͤße Mu- ſik, und nun ſetzte er ſich ins friſche Gras hinter einem Buſche und weinte und ſchluchzte; es war ihm, als wenn ſich der Himmel umgewendet und nun ſeine Schoͤnheit und paradiſiſche Seite zum erſtenmal herausgekehrt haͤtte; und doch machte ihn dieſe Empfindung ſo ungluͤcklich, unter allen Freu- den fuͤhlte er ſich ſo gaͤnzlich verlaſſen. Die Mu- ſik floß wie ein murmelnder Bach durch den ſtillen Garten, und er ſah die Anmuth der Fuͤrſtin auf den ſilbernen Wellen hoch einher ſchwimmen, wie die Wogen der Muſik den Saum ihres Gewandes kuͤßten, und wetteiferten, ihr nachzufolgen; gleich einer Morgenroͤthe ſchien ſie in die daͤmmernde Nacht hinein, und die Sterne ſtanden in ihrem Laufe ſtill, die Baͤume hielten ſich ruhig und die Winde ſchwie- gen; die Muſik war jezt die einzige Bewegung, das einzige Leben in der Natur, und alle Toͤne ſchluͤpften ſo ſuͤß uͤber die Grasſpitzen und durch die Baumwipfel hin, als wenn ſie die ſchlafende Liebe ſuchten und ſie nicht wecken wollten, als I. [ 22 ]

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/348>, abgerufen am 25.11.2024.