Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.Erste Abtheilung. stimmung noch mehr vergessen möchte, und suchteschnell das Gespräch auf andre Gegenstände zu lenken. Doch Emil war unruhig und zerstreut geworden; hauptsächlich wendeten sich seine Blicke oft nach der obersten Gallerie, auf welcher die Bedienten, die das letzte Stockwerk bewohnten, vie- lerlei zu schaffen hatten. Wer ist die widerliche Alte, die dort so geschäftig ist, und so oft in ihrem grauen Mantel wieder kommt? fragte er endlich. Sie gehört zu meiner Bedienung, sagte die Braut; sie soll die Aufsicht über die Kammerjungfern und jüngeren Mägde führen. Wie kannst du solche Häßlichkeit in deiner Nähe dulden? erwiederte Emil. Laß sie, antwortete die junge Frau, wollen die Häßlichen doch auch leben, und da sie gut und redlich ist, kann sie uns von großem Nutzen seyn. Man erhob sich von der Tafel, und alles um- So heiter, sagte Emil, habe ich dich noch nie- Erſte Abtheilung. ſtimmung noch mehr vergeſſen moͤchte, und ſuchteſchnell das Geſpraͤch auf andre Gegenſtaͤnde zu lenken. Doch Emil war unruhig und zerſtreut geworden; hauptſaͤchlich wendeten ſich ſeine Blicke oft nach der oberſten Gallerie, auf welcher die Bedienten, die das letzte Stockwerk bewohnten, vie- lerlei zu ſchaffen hatten. Wer iſt die widerliche Alte, die dort ſo geſchaͤftig iſt, und ſo oft in ihrem grauen Mantel wieder kommt? fragte er endlich. Sie gehoͤrt zu meiner Bedienung, ſagte die Braut; ſie ſoll die Aufſicht uͤber die Kammerjungfern und juͤngeren Maͤgde fuͤhren. Wie kannſt du ſolche Haͤßlichkeit in deiner Naͤhe dulden? erwiederte Emil. Laß ſie, antwortete die junge Frau, wollen die Haͤßlichen doch auch leben, und da ſie gut und redlich iſt, kann ſie uns von großem Nutzen ſeyn. Man erhob ſich von der Tafel, und alles um- So heiter, ſagte Emil, habe ich dich noch nie- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0321" n="310"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Erſte Abtheilung</hi>.</fw><lb/> ſtimmung noch mehr vergeſſen moͤchte, und ſuchte<lb/> ſchnell das Geſpraͤch auf andre Gegenſtaͤnde zu<lb/> lenken. Doch Emil war unruhig und zerſtreut<lb/> geworden; hauptſaͤchlich wendeten ſich ſeine Blicke<lb/> oft nach der oberſten Gallerie, auf welcher die<lb/> Bedienten, die das letzte Stockwerk bewohnten, vie-<lb/> lerlei zu ſchaffen hatten. Wer iſt die widerliche<lb/> Alte, die dort ſo geſchaͤftig iſt, und ſo oft in ihrem<lb/> grauen Mantel wieder kommt? fragte er endlich.<lb/> Sie gehoͤrt zu meiner Bedienung, ſagte die Braut;<lb/> ſie ſoll die Aufſicht uͤber die Kammerjungfern und<lb/> juͤngeren Maͤgde fuͤhren. Wie kannſt du ſolche<lb/> Haͤßlichkeit in deiner Naͤhe dulden? erwiederte<lb/> Emil. Laß ſie, antwortete die junge Frau, wollen<lb/> die Haͤßlichen doch auch leben, und da ſie gut und<lb/> redlich iſt, kann ſie uns von großem Nutzen ſeyn.</p><lb/> <p>Man erhob ſich von der Tafel, und alles um-<lb/> gab den neuen Gatten, wuͤnſchte nochmals Gluͤck,<lb/> und draͤngte dann mit Bitten um die Erlaubniß<lb/> zum Ball. Die Braut umarmte ihn aͤußerſt freund-<lb/> lich und ſagte: meine erſte Bitte, Geliebter, wirſt<lb/> du mir nicht abſchlagen, denn wir haben uns alle<lb/> darauf gefreut: Ich habe ſo lange nicht getanzt,<lb/> und du ſelbſt haſt mich noch niemals tanzen ſehn.<lb/> Biſt du denn gar nicht neugierig darauf, wie ich<lb/> mich in dieſer Bewegung ausnehme?</p><lb/> <p>So heiter, ſagte Emil, habe ich dich noch nie-<lb/> mals geſehn. Ich will kein Stoͤrer eurer Freude<lb/> ſeyn, macht, was ihr wollt; nur verlange keiner<lb/> von mir, daß ich mich ſelbſt mit linkiſchen Spruͤn-<lb/> gen laͤcherlich machen ſoll.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [310/0321]
Erſte Abtheilung.
ſtimmung noch mehr vergeſſen moͤchte, und ſuchte
ſchnell das Geſpraͤch auf andre Gegenſtaͤnde zu
lenken. Doch Emil war unruhig und zerſtreut
geworden; hauptſaͤchlich wendeten ſich ſeine Blicke
oft nach der oberſten Gallerie, auf welcher die
Bedienten, die das letzte Stockwerk bewohnten, vie-
lerlei zu ſchaffen hatten. Wer iſt die widerliche
Alte, die dort ſo geſchaͤftig iſt, und ſo oft in ihrem
grauen Mantel wieder kommt? fragte er endlich.
Sie gehoͤrt zu meiner Bedienung, ſagte die Braut;
ſie ſoll die Aufſicht uͤber die Kammerjungfern und
juͤngeren Maͤgde fuͤhren. Wie kannſt du ſolche
Haͤßlichkeit in deiner Naͤhe dulden? erwiederte
Emil. Laß ſie, antwortete die junge Frau, wollen
die Haͤßlichen doch auch leben, und da ſie gut und
redlich iſt, kann ſie uns von großem Nutzen ſeyn.
Man erhob ſich von der Tafel, und alles um-
gab den neuen Gatten, wuͤnſchte nochmals Gluͤck,
und draͤngte dann mit Bitten um die Erlaubniß
zum Ball. Die Braut umarmte ihn aͤußerſt freund-
lich und ſagte: meine erſte Bitte, Geliebter, wirſt
du mir nicht abſchlagen, denn wir haben uns alle
darauf gefreut: Ich habe ſo lange nicht getanzt,
und du ſelbſt haſt mich noch niemals tanzen ſehn.
Biſt du denn gar nicht neugierig darauf, wie ich
mich in dieſer Bewegung ausnehme?
So heiter, ſagte Emil, habe ich dich noch nie-
mals geſehn. Ich will kein Stoͤrer eurer Freude
ſeyn, macht, was ihr wollt; nur verlange keiner
von mir, daß ich mich ſelbſt mit linkiſchen Spruͤn-
gen laͤcherlich machen ſoll.
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