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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Liebeszauber.
aus Verwirrung zu erretten und mit Anstand zu
bewirthen. Ueberlaß das ihm und deiner schönen
Braut.

Heute Morgen, noch vor Sonnenaufgang,
sagte Emil, wandelte ich durch das Gehölz; mir
war feierlich zu Muthe, ich fühlte recht im In-
nern, wie mein Leben nun bestimmt sey und ernst
werde, wie diese Liebe mir Heimath und Beruf
erschaffen hat. Ich kam dort der Laube vorüber;
ich hörte Stimmen: es war meine Geliebte in
einem traulichen Gespräch. Ist es nun, sagte eine
fremde Stimme, nicht so gekommen, wie ich gesagt
hatte? Gerade so, wie ich wußte, daß es gesche-
hen würde? Ihr habt euren Wunsch, darum seid
nun auch froh. Ich mochte nicht zu ihnen treten;
nachher ging ich der Laube näher, doch hatten sich
beide schon entfernt. Aber ich sinne und sinne:
was wollen diese Worte bedeuten?

Roderich sagte: sie mag dich vielleicht schon
längst geliebt haben, ohne daß du es wußtest; du
bist desto glücklicher.

Eine späte Nachtigall erhub jezt ihren Gesang
und schien dem Liebenden Heil und Wonne zuzu-
rufen. Emil wurde tiefsinniger. Komm mit mir,
um dich aufzuheitern, sagte Roderich, in das Dorf
hinunter, da sollst du ein zweites Brautpaar sehn,
denn du mußt dir nicht einbilden, daß du heut
allein Hochzeit feyerst. Ein junger Knecht ist in
Langeweile und Einsamkeit mit einer ältern garsti-
gen Magd zu vertraut geworden, und der Pinsel
hält sich nun für verpflichtet, sie zu seiner Frau

Liebeszauber.
aus Verwirrung zu erretten und mit Anſtand zu
bewirthen. Ueberlaß das ihm und deiner ſchoͤnen
Braut.

Heute Morgen, noch vor Sonnenaufgang,
ſagte Emil, wandelte ich durch das Gehoͤlz; mir
war feierlich zu Muthe, ich fuͤhlte recht im In-
nern, wie mein Leben nun beſtimmt ſey und ernſt
werde, wie dieſe Liebe mir Heimath und Beruf
erſchaffen hat. Ich kam dort der Laube voruͤber;
ich hoͤrte Stimmen: es war meine Geliebte in
einem traulichen Geſpraͤch. Iſt es nun, ſagte eine
fremde Stimme, nicht ſo gekommen, wie ich geſagt
hatte? Gerade ſo, wie ich wußte, daß es geſche-
hen wuͤrde? Ihr habt euren Wunſch, darum ſeid
nun auch froh. Ich mochte nicht zu ihnen treten;
nachher ging ich der Laube naͤher, doch hatten ſich
beide ſchon entfernt. Aber ich ſinne und ſinne:
was wollen dieſe Worte bedeuten?

Roderich ſagte: ſie mag dich vielleicht ſchon
laͤngſt geliebt haben, ohne daß du es wußteſt; du
biſt deſto gluͤcklicher.

Eine ſpaͤte Nachtigall erhub jezt ihren Geſang
und ſchien dem Liebenden Heil und Wonne zuzu-
rufen. Emil wurde tiefſinniger. Komm mit mir,
um dich aufzuheitern, ſagte Roderich, in das Dorf
hinunter, da ſollſt du ein zweites Brautpaar ſehn,
denn du mußt dir nicht einbilden, daß du heut
allein Hochzeit feyerſt. Ein junger Knecht iſt in
Langeweile und Einſamkeit mit einer aͤltern garſti-
gen Magd zu vertraut geworden, und der Pinſel
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[303/0314] Liebeszauber. aus Verwirrung zu erretten und mit Anſtand zu bewirthen. Ueberlaß das ihm und deiner ſchoͤnen Braut. Heute Morgen, noch vor Sonnenaufgang, ſagte Emil, wandelte ich durch das Gehoͤlz; mir war feierlich zu Muthe, ich fuͤhlte recht im In- nern, wie mein Leben nun beſtimmt ſey und ernſt werde, wie dieſe Liebe mir Heimath und Beruf erſchaffen hat. Ich kam dort der Laube voruͤber; ich hoͤrte Stimmen: es war meine Geliebte in einem traulichen Geſpraͤch. Iſt es nun, ſagte eine fremde Stimme, nicht ſo gekommen, wie ich geſagt hatte? Gerade ſo, wie ich wußte, daß es geſche- hen wuͤrde? Ihr habt euren Wunſch, darum ſeid nun auch froh. Ich mochte nicht zu ihnen treten; nachher ging ich der Laube naͤher, doch hatten ſich beide ſchon entfernt. Aber ich ſinne und ſinne: was wollen dieſe Worte bedeuten? Roderich ſagte: ſie mag dich vielleicht ſchon laͤngſt geliebt haben, ohne daß du es wußteſt; du biſt deſto gluͤcklicher. Eine ſpaͤte Nachtigall erhub jezt ihren Geſang und ſchien dem Liebenden Heil und Wonne zuzu- rufen. Emil wurde tiefſinniger. Komm mit mir, um dich aufzuheitern, ſagte Roderich, in das Dorf hinunter, da ſollſt du ein zweites Brautpaar ſehn, denn du mußt dir nicht einbilden, daß du heut allein Hochzeit feyerſt. Ein junger Knecht iſt in Langeweile und Einſamkeit mit einer aͤltern garſti- gen Magd zu vertraut geworden, und der Pinſel haͤlt ſich nun fuͤr verpflichtet, ſie zu ſeiner Frau

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/314>, abgerufen am 15.05.2024.