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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
getrieben haben: in der Tonwelt sind sie für mich
die Gespenster, Larven und Furien, und so flattern
sie mir auch ums Haupt, und grinsen mich mit
entsezlichem Lachen an.

Nervenschwäche, sagte jener, so wie dein über-
triebener Abscheu gegen Spinnen und manch ande-
res unschuldiges Gewürm.

Unschuldig nennst du sie, sagte der Verstimmte,
weil sie dir nicht zuwider sind. Für denjenigen
aber, dem die Empfindung des Ekels und des Ab-
scheus, dasselbe unnennbare Grauen, wie mir, bei
ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch sein
ganzes Wesen zuckt, sind diese gräßlichen Unthiere,
wie Kröten und Spinnen, oder gar die widerwär-
tigste aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleich-
gültig und unbedeutend, sondern ihr Daseyn ist
dem seinigen auf das feindlichste entgegen gesetzt.
Wahrlich, man möchte über die Ungläubigen lächeln,
mit deren Imagination sich Gespenster und grau-
enhafte Larven, sammt jenen Geburten der Nacht
nicht vereinigen lassen, die wir in Krankheiten sehn,
oder die uns Dantes Gemählde zeigen, da die
gewöhnlichste Wirklichkeit um uns her die fürchter-
lichen verzerrten Musterbilder dieser Schrecken uns
vorhält. Sollten wir in der That das Schöne lieben
können, ohne uns vor diesen Fratzen zu entsetzen?

Warum entsetzen? fragte Roderich, warum
soll uns das große Reich der Gewässer und der
Meere gerade diese Furchtbarkeit vorhalten, an die
sich deine Vorstellung gewöhnt hat, und nicht viel-
mehr seltsame, unterhaltende und poßirliche Ver-

Erſte Abtheilung.
getrieben haben: in der Tonwelt ſind ſie fuͤr mich
die Geſpenſter, Larven und Furien, und ſo flattern
ſie mir auch ums Haupt, und grinſen mich mit
entſezlichem Lachen an.

Nervenſchwaͤche, ſagte jener, ſo wie dein uͤber-
triebener Abſcheu gegen Spinnen und manch ande-
res unſchuldiges Gewuͤrm.

Unſchuldig nennſt du ſie, ſagte der Verſtimmte,
weil ſie dir nicht zuwider ſind. Fuͤr denjenigen
aber, dem die Empfindung des Ekels und des Ab-
ſcheus, daſſelbe unnennbare Grauen, wie mir, bei
ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch ſein
ganzes Weſen zuckt, ſind dieſe graͤßlichen Unthiere,
wie Kroͤten und Spinnen, oder gar die widerwaͤr-
tigſte aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleich-
guͤltig und unbedeutend, ſondern ihr Daſeyn iſt
dem ſeinigen auf das feindlichſte entgegen geſetzt.
Wahrlich, man moͤchte uͤber die Unglaͤubigen laͤcheln,
mit deren Imagination ſich Geſpenſter und grau-
enhafte Larven, ſammt jenen Geburten der Nacht
nicht vereinigen laſſen, die wir in Krankheiten ſehn,
oder die uns Dantes Gemaͤhlde zeigen, da die
gewoͤhnlichſte Wirklichkeit um uns her die fuͤrchter-
lichen verzerrten Muſterbilder dieſer Schrecken uns
vorhaͤlt. Sollten wir in der That das Schoͤne lieben
koͤnnen, ohne uns vor dieſen Fratzen zu entſetzen?

Warum entſetzen? fragte Roderich, warum
ſoll uns das große Reich der Gewaͤſſer und der
Meere gerade dieſe Furchtbarkeit vorhalten, an die
ſich deine Vorſtellung gewoͤhnt hat, und nicht viel-
mehr ſeltſame, unterhaltende und poßirliche Ver-

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[280/0291] Erſte Abtheilung. getrieben haben: in der Tonwelt ſind ſie fuͤr mich die Geſpenſter, Larven und Furien, und ſo flattern ſie mir auch ums Haupt, und grinſen mich mit entſezlichem Lachen an. Nervenſchwaͤche, ſagte jener, ſo wie dein uͤber- triebener Abſcheu gegen Spinnen und manch ande- res unſchuldiges Gewuͤrm. Unſchuldig nennſt du ſie, ſagte der Verſtimmte, weil ſie dir nicht zuwider ſind. Fuͤr denjenigen aber, dem die Empfindung des Ekels und des Ab- ſcheus, daſſelbe unnennbare Grauen, wie mir, bei ihrem Anblick in der Seele aufgeht und durch ſein ganzes Weſen zuckt, ſind dieſe graͤßlichen Unthiere, wie Kroͤten und Spinnen, oder gar die widerwaͤr- tigſte aller Creaturen, die Fledermaus, nicht gleich- guͤltig und unbedeutend, ſondern ihr Daſeyn iſt dem ſeinigen auf das feindlichſte entgegen geſetzt. Wahrlich, man moͤchte uͤber die Unglaͤubigen laͤcheln, mit deren Imagination ſich Geſpenſter und grau- enhafte Larven, ſammt jenen Geburten der Nacht nicht vereinigen laſſen, die wir in Krankheiten ſehn, oder die uns Dantes Gemaͤhlde zeigen, da die gewoͤhnlichſte Wirklichkeit um uns her die fuͤrchter- lichen verzerrten Muſterbilder dieſer Schrecken uns vorhaͤlt. Sollten wir in der That das Schoͤne lieben koͤnnen, ohne uns vor dieſen Fratzen zu entſetzen? Warum entſetzen? fragte Roderich, warum ſoll uns das große Reich der Gewaͤſſer und der Meere gerade dieſe Furchtbarkeit vorhalten, an die ſich deine Vorſtellung gewoͤhnt hat, und nicht viel- mehr ſeltſame, unterhaltende und poßirliche Ver-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/291>, abgerufen am 22.11.2024.